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Kritik an schädlicher Israel-Lobby"Wir sind keine Antisemiten"

So lange die Israel-Lobby die US-Außenpolitik prägt, wird es in Nahost keinen Frieden geben. Mit dieser These entfachten die Autoren John Mearsheimer und Stephen Walt eine hitzige Debatte.

Dick Cheney vor dem American-Israel-Public-Affairs-Committee - laut Walt die "zweitmächtigste Lobby-Gruppe der USA". Bild: dpa

taz: Mr. Walt, Mr. Mearsheimer, was ist schlecht daran, dass sich die proisraelische Lobby in den USA für Israel einsetzt?

Stephen Walt: Nichts ist schlecht daran. Mehr noch: Was die Israel-Lobby tut, ist normal in der amerikanischen Politik. Es ist eine Interessengruppe wie viele andere. Aber die Politik, für die sich diese Lobby seit 30, 40 Jahren stark macht, ist nicht im nationalen Interesse der USA und, wie wir glauben, auch schädlich für Israel selbst.

Wenn man von Israel-Lobby redet, klingt mehr an, als wenn man von der Rentner-Lobby spricht. Man assoziiert damit schnell die jüdische Weltverschwörung

John Mearsheimer: Man nennt uns schon die Weisen von Zion.

Es gibt ja genug Antisemiten, die finden, die Juden haben zu viel Macht. Deuten Sie das denn nicht auch an?

John Mearsheimer: Aber überhaupt nicht! Wir haben auf vielen Seiten ausgeführt, dass es bei all dem nicht um Konspiration geht, sondern um normalen Politik-Lobbyismus. Die Israel-Lobby ist völlig legitim. Aber es ist auch völlig legitim, darüber zu reden, was sie tut.

Sie sagen, die Israel-Lobby sei besonders effizient. Warum ist sie das?

Stephen Walt: Es gibt einige sehr effiziente Lobbys. Die kubanische Lobby hat auch bemerkenswerten Einfluss. Eine kleine, aber professionelle Gruppe gut ausgebildeter Leute hat im politischen System der USA die Möglichkeit, viel Einfluss zu erlangen, vor allem, wenn sie ein spezielles Thema hat und wenn es keine Gegen-Lobby gibt, die ähnlich effizient ist. Natürlich gibt es eine arabisch-amerikanische Lobby, aber die ist sich nicht einig.

John Mearsheimer: Die Repräsentanten der Israel-Lobby sagen das ja selbst, sie prahlen mit ihrem Einfluss!

Wenn eine Lobbygruppe sagt: "Ich bin mächtig, ich bin mächtig!", ist das kein Beweis, dass sie es auch ist.

Stephen Walt: Wenn man mit Politikern in Washington spricht, gibt es keinen Zweifel, dass sie wirklich sehr einflussreich sind. Eine Studie unter Kongressmitarbeitern kam zu dem Ergebnis, dass Aipac, das American-Israel-Public-Affairs-Committee, die zweitmächtigste Lobby-Gruppe in den USA ist.

John Mearsheimer: Jeder weiß das. Warum gibt es eigentlich solch eine Kontroverse über unser Buch?

Ich bin sicher, das muss ich Ihnen nicht sagen! Einer der Gründe für die Effizienz der Lobby-Gruppen ist, dass sie ihren Kritikern Antisemitismus vorwerfen ...

John Mearsheimer: ...damit bringt man jede Kritik zum Schweigen. Und es führt zu einem sofortigen Themenwechsel. Man spricht nicht mehr über die Politik der Lobby oder eine bessere Nahostpolitik, sondern über Antisemitismus. Natürlich sind wir keine Antisemiten. So wenig wie Jimmy Carter und Tony Judt, gegen die dieser Vorwurf auch vorgebracht wurde.

Lassen Sie uns über Ihren Lobby-Begriff sprechen. Da gibt es einerseits den Kern wie das Aipac und die Anti-Defamation-League. Sie zählen aber auch liberale jüdische Gruppen dazu - und auch die Neocons, die sich zwar auch für Israel einsetzen, aber eine viel breitere ideologische Agenda haben. Ist das nicht ein schwammiger Lobby-Begriff?

Stephen Walt: Es ist ein breites Spektrum. Aber: Alle wollen die bedingungslose Unterstützung Israels durch die USA. Auch die liberaleren Gruppen sind nie dafür, dass die USA substanziellen Druck auf Israel ausüben, um Frieden zu erzwingen. Die Neokonservativen haben eine breitere programmatische Agenda - Export der Pax Americana -, aber die Überzeugung, dass für Amerika gut ist, was für Israel gut ist, ist eine ihrer Schlüsselüberzeugungen. Vergessen wir nicht, dass viele Neokonservative aus den proisraelischen Lobbygruppen kommen.

John Mearsheimer: Die Vertreter der Lobby wollen Amerika in eine streng proisraelische Richtung bringen. Insofern ist das nicht einfach die amerikanische Rechte. Es gibt Leute in der US-Rechten, die das nicht wollen. Gleichzeitig ist die Mehrheit der amerikanischen Juden eher liberal, also gar nicht auf Seite der Rechten.

Sie sagen, es hätte den Irakkrieg ohne die Lobby nicht gegeben. Ist das nicht ein bisschen simpel?

Stephen Walt: Nein, simpel ist, wie Sie das hier referieren. Die Idee, im Irak einzumarschieren, kam ganz gewiss nicht aus Israel. Es waren die Neokonservativen, die das seit 1998 propagierten. Sie sind an Clinton gescheitert, dann an Bush. Das gesamte politische Kraftfeld musste sich ändern, um die Invasion durchzusetzen. Also: Ohne Neocons - kein Krieg. Und: Ohne 9/11 - kein Krieg. Freilich: Als die Entscheidung für den Krieg getroffen war, haben die Lobby-Organisationen, Aipac etwa, geholfen, den Krieg zu "verkaufen". Übrigens auch die israelische Regierung.

John Mearsheimer: Wer war für den Krieg? War das Militär für den Krieg? Das Außenministerium? Die Öl-Lobby?

Die Neocons waren für den Krieg! Aber das ist ja gerade das Problem, dass Sie die Neocons, jüdische Hardliner-Organisationen und liberale jüdische Gruppen in einen Topf werfen, auf den Sie "Israel-Lobby" schreiben. Geht es nicht vielmehr darum, dass sich nach 9/11 ein obskures Bündnis von Neocons, proisraelischen Scharfmachern, christlichen Evangelikalen und der Bush-Regierung gebildet hat?

John Mearsheimer: Gewiss, aber die grundlegenden Probleme hatten wir auch in den Neunzigerjahren. Seit dem Krieg von 1967 waren wir nicht in der Lage, die Siedlungspolitik Israels zu stoppen, wir konnten keinen überlebensfähigen palästinensischen Staat etablieren. Auch Clinton konnte das nicht durchsetzen, er konnte nicht einmal weitere Siedlungen verhindern. Und das, während er einen Frieden aushandeln wollte. Was ist der Grund dafür? Die Lobby.

Clinton hat getan, was er konnte. Er ist gescheitert. Aber er hat es versucht.

John Mearsheimer: Aber er ist gescheitert, weil er nicht die Kraft hatte, die richtige Politik durchzusetzen. Hätte er es getan, stünden die USA heute besser da und Israel auch. Und warum hatte er die Kraft nicht? Der Grund ist die Lobby.

Sie sagen, die entschiedene Unterstützung Israels ist nicht im nationalen Interesse der USA, die sich damit in der arabischen Welt isolieren. Ist das kein etwas altmodischer Begriff von nationalem Interesse? Gibt es ein nationales Interesse, ohne die moralische Verpflichtung gegenüber dem jüdischen Staat nach dem Holocaust oder die Verbundenheit mit einer Gesellschaft, die grosso modo demokratische Werte teilt?

Stephen Walt: Ich denke, dass die bedingungslose Unterstützung Israels nicht im strategischen Interesse der USA ist. Es gibt eine starke moralische Begründung für die sichere Existenz Israels, aber keine für bedingungslose Unterstützung, was immer Israel macht. Wir sollen auch auf der Seite Israels stehen, weil es eine Demokratie ist, wenngleich nicht ganz so eine Demokratie, wie wir uns sie wünschen. Nur, es gibt viele Demokratien in der Welt, aber keine wird so unterstützt wie Israel. Vieles, was Israel tut, widerspricht demokratischen Werten und Menschenrechten. Die Kolonisierung Palästinas ist jedenfalls nichts, wofür man Israel auch noch belohnen müsste.

INTERVIEW: ROBERT MISIK

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5 Kommentare

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  • SM
    Süheyla Mogghadam

    Ich finde diese Diskussion mehr als nur überfällig und gut. Der vorwurf, diese Autoren würden mit Antisemitismus Geld verdienen, ist wirklich absurd. Erst Recht, wenn bedacht wird, wieviel Geld Israel und die USA mit den Kriegen verdienen, die sie gegen die muslmische Bevölkerung im Nahen Osten führen.

    Das hier immer mit zweierlei Maß gemesssen wird, ist ein Thema, das auf die Tagesordnung muss. Auch wenn befürchtet werden muss, dass Rechte versuchen werden, sich mit diesen Themen zu profilieren.

    Das Israel und die USA nun auch den Iran angreifen wollen, wegen möglicher Atombomeben, wie damals den Irak, wegen möglicher Massenvernichtungswaffen, die nie gefunden wurden, ist nicht hinnehmbar. Auch nicht, um das Existenzrecht Israels dort zu verteidigen und das Land vor "möglichen" Angriffen zu schützen.

    Was mich noch weiter am "Kritikverbot" der Israellobby stört, ist, dass der in Europa, von den Kolonialherren propagierte und letztlich die Menschen zerstörender Antisemitismus, den Leuten im Nahen Osten in die Schuhe geschoben wird.

    Schließlich müssen die Leute dort dafür herhalten, was hier für Fehler gemacht wurden und dennoch hält es niemand für angebracht, die Palästinenser ebenso stark an den Friedensverhandlungen zu beteiligen, wie Israel. Stattdessen werden die einen erpresst und die anderen dürfen kriegen uneingeschränkte Macht, um die Bevölkerung zu massakrieren, sie zu foltern, sie auszuhungern und sie zu bekriegen.

  • IW
    Ingo Way

    Das Wort ?normal? fällt beim Auftritt der beiden in Berlin sicher zwanzigmal. Eine Rednerin aus dem Publikum fragt, was denn Normalität bedeuten solle, angesichts der ganz und gar nicht normalen Situation ständiger Bedrohung, und wenn Israel nur dank amerikanischer Hilfe überhaupt überleben könne? Dies kontert Walt, indem er die Bedrohungslage in Abrede stellt. Die Terrorangriffe seien keineswegs eine Gefährdung für Israels Existenz. Und Ahmadinedschad wolle Israel überhaupt nicht vernichten, das sei ein Übersetzungsfehler gewesen. Stalin und Mao hätten die Atombombe schließlich auch nicht eingesetzt, also werde Ahmadinedschad das auch nicht tun.

     

    Sonst ist im Publikum vor allem Zufriedenheit zu spüren. Einige alte Diplomaten a.D. äußern zustimmend, sie hätten dem jeweiligen Außenminister ja schon immer gesagt, daß auch die deutschen Beziehungen zu Israel auf den Prüfstand müßten.

     

    Kritik wird nur noch an dem Cover der deutschen Ausgabe geübt. ?Das ist eindeutig antisemitisch?, sagt der Politologe Thomas Risse von der Freien Universität Berlin, der inhaltlich, wie er betont, keine Differenzen mit den Autoren hat. Das deutsche Cover zeigt eine US-Flagge mit Davidsternen für die einzelnen Bundesstaaten. Das gleiche graphische Element fand bereits für ein anderes Buch Verwendung: die Nazi-Propagandaschrift ?Kräfte hinter Roosevelt? von 1942. Diese Kritik kann Mearsheimer nicht nachvollziehen. Das Cover sei mit den Autoren abgesprochen, sie fänden es auch nach wie vor treffend und originell, von dem Nazi-Buch hätten sie nichts gewußt, und die Ähnlichkeit sei reiner Zufall. Überhaupt sei das ja wieder mal ein Beleg für unangemessene Antisemitismusvorwürfe.

  • CM
    Christian Münster

    Wenn ich Frankreich kritisiere, wird mir keine "Erbfeindschaft" vorgeworfen, wenn ich den Staat Israel, der ja auch andere Ethnien beherbergt, kritisiere, bin ich automatisch Antisemit.

    Nun gab es mehrere Genozide im Lauf der Geschichte, keine der betroffenen Ethnien holt die Keule des Vorwurfs so oft heraus, wie die Juden und der Staat Israel, obwohl sie mehr Entschädigung und Wohlwollen "kassiert" haben, wie jede andere Ethnie.

    Wann kontrolliert Herr Baradei Dimona; denn was dem einen Recht, ist dem anderen Billig.

    Egalite war eine der Forderungen der Franz. Revolution.

    Wer spricht von den Morden israelischer "Freiheits"-kämpfer an Arabern und Briten? Ich befürworte keinen einzigen Mord, nur sollte man beide gleich behandeln.

    Die Eleminierung palistinensischer "Freiheits"-kämpfer aaus Hubschraubern und Kampfjets wird von der westl. Welt als "Selbstverteidigung" akzeptiert, die Kassamraketen der Plästinenser nicht. Im Allgemeinen sind die Koleteralschäden gleich gross, nur die IDF tötet ihre Feinde und die Palis mangels Möglichkeit nur die Koleteralen.

  • F
    Flipper

    Warum Antisemitismus? Wenn sie auf ein Ungleichgewicht der Lobbies hinweisen, und auch zugleich, wie Lobbies im Interesse von anderen (Neocons z.B.) ihrerseits eingespannt werden. Eine sehr einfache Schwarz-Weiß-Sicht, sachliche Kritik einfach mit Antisemitismusmarketing abzustemplen.

    Wer andererseits Antisemit ist und Lobbykritik für seine Zwecke mißbraucht ist einfach dumm.

  • LB
    Leiba Bronstein

    Natürlich sind die keine Antisemiten. Die verdienen bloss Geld mit Antisemitismus.