Kritik an neuer Verfassung: Nagelprobe für Evo Morales
Beim Referendum über die neue Verfassung hofft Boliviens Präsident Evo Morales am Sonntag auf eine klare Mehrheit. Sein Amtsvorgänger Carlos Mesa hat jedoch einiges zu meckern.
Am Sonntag werden in Bolivien rund vier Millionen Wahlberechtigten zu den Urnen gehen, um über die Annahme der neuen Verfassung zu entscheiden. Präsident Evo Morales ist optimistisch und hofft auf einen "Weltrekord": "Mein großer Wunsch ist, dass die Bevölkerung die neue Verfassung mit 60, 70 oder 80 Prozent bestätigt," so Morales.
Eine Ablehnung wäre tatsächlich eine Überraschung. So ist vor allem die Höhe der Zustimmung die spannende Frage. Und die Latte liegt hoch. Die Diskussion über das Für und Wider der neuen Verfassung ist zu einem Referendum über die Regierung von Präsident Morales geworden. Nach Meinung der Opposition ist das auch kein Wunder, denn der größte Teil der Bevölkerung kenne den Verfassungstext mit seinen 411 Paragrafen überhaupt gar nicht. Der Entwurf ist ein Kompromiss zwischen der Regierung und Teilen der Opposition, der es immerhin gelang, rund 100 Änderungsvorschläge in den Entwurf einzuarbeiten.
Morales hat wiederholt unterstrichen, dass erstmals in der Geschichte des Landes die bisher ausgegrenzten Bevölkerungsteile wie die indigenen Völker ausdrücklich in die Verfassung aufgenommen werden. Zudem würde die Autonomie der einzelnen Provinzen gestärkt: "Sollte das Nein gewinnen, wird es keine unmittelbare Autonomie geben und die Provinzen, die auf die Autonomie hoffen, werden bis zum Jahr 2020 warten müssen. Sollte dagegen das Ja gewinnen, wird die Autonomie unmittelbar eintreten," so Morales.
Prominester Kritiker ist Morales' Amtsvorgänger Carlos Mesa (2003-2005). Mesa wird als möglicher Oppositionskandidat bei den nächsten Präsidentschaftswahlen gehandelt und hat sein Nein zum neuen Verfassungsentwurf angekündigt. Der Entwurf "ist nicht das Produkt eines transparenten und demokratischen Prozesses," sagt Mesa und spielt damit auf die Tatsache an, dass die Verfassungsgebende Versammlung zeitweise hinter verschlossenen Türen tagte und zudem kein Paragraf mit der vereinbarten Zwei-Drittel-Mehrheit beschlossen wurde.
Nach Mesas Auffassung ist das Hauptdefizit der neuen Verfassung jedoch, dass sie die Staatsbürger nach der Herkunft, der Hautfarbe oder der Sprache einordnet und sich damit der "Diskriminierung verschreibt." Der Text verstoße gar gegen Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, nach der alle Menschen frei und gleich geboren sind. Der Text stelle nicht alle Bürger gleich, sondern sieht für "pueblos originarios" Sonderrechte in Bezug auf das Wahlrecht und die politische Repräsentation sowie bei der Verfügung über Naturressourcen vor: Damit würden Bürger erster und zweiter Klasse geschaffen.
Nach den letzten Umfragen liegt die Zustimmung zur neuen Verfassung bei 65 Prozent, 16 Prozent sind dagegen und noch 19 Prozent sollen unentschlossen sein. Mit deren Votum hofft Morales darauf, den Sprung über die 80-Marke zu schaffen. Während die Zustimmung vor allem aus den Hochlandprovinzen La Paz, Oruro und Potosí zu erwarten ist, wird die Entscheidung der Bevölkerung in den oppositionellen Provinzen Santa Cruz, Beni, Pando und Tarija knapp ausfallen. Die Polarisierung zwischen dem indianisch geprägten Andenhochland und dem wohlhabenderen Osten des Landes wird sich auch mit einer neuen Verfassung nicht verringern.
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