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Kritik an der Scheinreform

■ Das Kabinett beschloß Blüms Gesundheitsreform „Abkassiermodell gegen Kranke und Behinderte“

Berlin (taz/ap/dpa) - Mit heftiger Kritik reagierten gestern SPD und Grüne im Bundestag auf die Kabinettsbeschlüsse zur Reform des Gesundheitswesens. Auch VertreterInnen der Ärzteschaft, der Gewerkschaften, der Kriegsopfer, von Sozialverbänden sowie der Pharmaindustrie lehnten die geplante Reform ab. Arbeitsminister Blüm verteidigte die am Vortag beschlossene Reform, die am 1.1.1988 in Kraft treten soll, als eine Grenzziehung zwischen „dem medizinisch notwendigen und dem allgemeinen Gesundheitskonsum“. Blüm: Auch künftig gelte das Prinzip: „Wer krank ist, wird geheilt.“ Die Versicherten müssen lediglich überlegen, ob sie „wegen jeder Bagatelle“ die Krankenkasse in Anspruch nehmen wollen. Dagegen kritisierte der SPD– Abgeordnete Dreßler die geplante Gesundheitsreform als ein „Abkassierungsmodell gegen Versicherte, Kranke, Behinderte und RentnerInnen“ und als „Acht–Milliarden–Opfer der kleinen Leute“. Die Grünen–Abgeordnete Wilms–Kegel sprach von einer Scheinreform, bei der „Krankheit bestraft“ werde, während an Ärzte, Krankenhäuser und Pharmaindustrie nur „unverbindliche Appelle“ zum Sparen gerichtet seien. Im einzelnen sieht der Koalitionsbeschluß von CDU/CSU und FDP zur Kostensenkung im Gesundheitswesen folgendes vor: die Einführung von Festbeiträgen bei Arzneimitteln, Brillen, Hörgeräten, Heil– und Hilfsmitteln sowie die Halbierung von Zuschüssen für Unterkunft und Verpflegung bei offenen Badekuren; den Wegfall von Leistungen wie Sterbegeld, bei umstrittenen Arzneimitteln, für Bäder und Massagen sowie für sogenannte „Bagatell“–Mittel wie Augenklappen und Ohrenbinden. Insgesamt sollen dadurch die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen um 14,5 Mrd. DM im Jahr gesenkt werden. Die Hälfte der Einsparungen soll zu einer Beitragssenkung bei den Versicherten führen, die andere für neue Aufgaben wie Unterstützung der häuslichen Pflege und Ausbau der Gesundheitsvorsorge verwendet werden. Fortsetzung auf Seite 2 Dazu gehört unter anderem die Einführung zahnärztlicher Vorsorgeuntersuchungen für Versicherte ab 18 Jahren und von Gesundheitsuntersuchungen für Versicherte über 35 Jahren vor allem auf Herz–, Kreislauf– und Nierenerkrankungen im Abstand von zwei Jahren. Außerdem sollen Ärzte Wirtschaftlichkeitsprüfungen unterzogen werden und die Pharmaindustrie soll einen Solidarbeitrag zahlen, der aber nach Blüms Angaben noch ausgehandelt werden muß. Die Einführung der Festbeiträge bei Arzneimitteln und medizinischen Hilfsmitteln bedeutet, daß die Versicherten zu den verordneten Mitteln die Differenz zuzahlen müssen. Vehement kritisierte der Vorsitzende des Verbands demokratischer Ärzte, Dr. Beck, gegenüber der taz die geplante Gesundheitsreform als bloße „Kostenverschiebung“ zu Lasten der sozial Schwachen, insbesondere zu Lasten der chronisch Kranken, Behinderten und Alten. Der Zusammenhang zwischen sozialer Lage, Arbeitssituation, Umwelt und Gesundheit sei völlig ignoriert worden. Die wahren Kostentreiber im Gesundheitssystem, nämlich die Medizinische Geräteindustrie und die Pharmaindustrie sowie die Laborärzte, Radiologen und andere Mediziner, blieben völlig verschont. Aufgrund der verstärkten Selbstbeteiligung für Versicherte prognostizierte er, daß künftig Arme und Reiche schon auf der Straße deutlich sichtbar würden - durch die Art ihrer Brillen, Gebisse oder Prothesen, die nur noch begrenzt bezahlt würden. GiH

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