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Kritik an VolkswirtschaftslehreNeue Ideen, bitte!

StudentInnen aus zehn kritischen Hochschulgruppen drängen auf eine Wende in der Volkswirtschaftslehre. Neue Ideen und neue Bücher sollen her.

Mal was anderes lesen wollen StudentInnen der VWL. Bild: luxuz / photocase.com

BERLIN taz | Vier Jahre nach der Pleite von Lehman Brothers merken nun auch die deutschen Ökonomen, dass es so nicht weitergehen kann. Bei ihrer Jahrestagung in Göttingen, gaben sich die 3.800 Mitglieder des Vereins für Socialpolitik (VfS), einen Ehrenkodex, der künftig ihre Finanzierungsquellen offenlegen soll. Vor allem junge Volkswirte beklagen aber noch ganz andere Missstände in ihrem Fach, das einer „geistigen Monokultur“ gleiche.

VWL-StudentInnen aus zehn kritischen Hochschulgruppen verfassten einen offenen Brief, in dem sie die Besetzung von 20 Prozent der Lehrstühle mit alternativen Ökonomen fordern. Grundsätzlich sollten abweichende Theorien, Methoden und Lehrbücher mehr Platz im Studium finden.

Volkswirte müssten mehr Kontakt zu anderen Disziplinen suchen und viel stärker ihre eigene Rolle und ihre Grundannahmen hinterfragen, so die Forderung. 60 Ökonomie-ProfessorInnen gehören zu den Erstunterzeichnern des Briefs. Auch sie kritisieren, die VWL habe vor lauter Mathe-Modellen ihren Kernauftrag vergessen, nämlich die Verteilung knapper Ressourcen für ein gutes Zusammenleben zu diskutieren.

Parallel zum Treffen des VfS, in dem die Wirtschaftswissenschaftler aus Deutschland, Österreich und er Schweiz organisiert sind, fand erstmals eine „Protesttagung“ statt. Ebenfalls in Göttingen diskutierten Hunderte mit Ökonomen wie Peter Bofinger und Heiner Flassbeck sowie dem ehemaligen Bundesfinanzminister Oskar Lafontaine (Die Linke) neue Ansätze in der VWL.

Oskar Lafontaine auf der Protesttagung in Göttingen im Gespräch mit VWL-StudentInnen. Bild: dpa

Nur Politiker und Astrologen schlecher

Die Finanzkrise hat die Ökonomen erschüttert: Wie konnten sie nur alle danebenliegen? Selbst Nobelpreisträger unter den Volkswirten rechneten mit ihrer Zunft ab: Sie hätte mit ihren Modellen die Finanzblasen erst ermöglicht. Das Vertrauen in Volkswirte ist seither am Tiefpunkt. In einer Umfrage des Roman-Herzog-Instituts schnitten 2010 nur Politiker schlechter ab – und Astrologen.

Das zeigt sich auch an den deutschen Unis: Hier ist die Zahl der VWL-Studenten in den letzten Jahren um ein Fünftel gesunken, 2011 waren es weniger als 20.000, während etwa 185.000 BWL studierten. Wer die Gesellschaft verstehen wolle, studiere inzwischen Soziologie oder Politikwissenschaften, sagt Thomas Dürmeier, Ökonom an der Uni Hamburg und Unterstützer des Briefs. „Dabei wird die Gesellschaft doch immer stärker durch die Ökonomie beeinflusst.“

Michael Burda, als VfS-Vorsitzender Empfänger des Protestbriefs, will den Unterzeichnern entgegenkommen. Die Forderung etwa, sich mehr mit der Geschichte des eigenen Fachs zu beschäftigen, unterstütze er voll. Er wolle aber die Mathematik nicht in Abrede stellen, sagte er der taz. „Wenn ich die mögliche Pleite eines Eurolandes untersuchen will, kann ich das nicht mit Geplauder lösen.“

Kritiker Thomas Dürmeier hält die VWL für strukturell gelähmt. „Volkswirte analysieren gern Monopole, aber dass bei ihnen selbst eines herrscht – das der neoklassischen Mathe-Modelle – scheint die allermeisten nicht zu stören.“ Politik und Gesellschaft müssten intervenieren, denn aus der Zunft selbst heraus sei keine rasche Besserung zu erwarten: „Auch in der VWL versagen die Selbstheilungskräfte des Marktes.“

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11 Kommentare

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  • RE
    Rudolf Eglhofer

    Volkswirtschaftslehre ist genau so out wie der -genosse, die -armee, der -computer und der -empfänger.

    Also weg mit der Vorsilbe und was Anständiges draus gemacht.

    PS:

    Der ca. 30-jährige Wirtschaftskundelehrer meines Sohnes labert noch vom BSP und nennt das BIP eine "unbedeutende Kennzahl".

    Typisch VWLer!

  • M
    Moebius

    Es wird so oder so noch eine ganze Weile dauern, bis echtes Umdenken einsetzt. Unsinn, den man in gutem Glauben und gründlich gelernt hat, verlernt man nicht so leicht wieder.

     

    @Richard Detzer: Halten Sie "Jenseits des Protokolls" ernsthaft für ein Buch über Ökonomie?

    Davon abgesehen gibt es jede Menge alternativer Ideen - einige immer noch sehr gut, andere neu und gut. Ich verweise an dieser Stelle mal auf Richard Koos Konzept der Bilanzrezession, das früheren Theorien über die Große Depression zu Beginn der 30er um Lichtjahre voraus ist.

     

    @VWLer: Mit VWL haben Sie nicht wirklich viel zu tun, oder? Viele Mainstreamökonomen hielten so etwas wie die Finanzkrise für ausgeschlossen, die korrekten Vorhersagen kamen von Vertretern anderer Theorien. Die "Wirtschaftsweisen" wurden eiskalt erwischt, abgesehen von Bofinger geben sie trotzdem die gleichen Rezepte ab, die mit zur Krise geführt haben: Privatisierung, Deregulierung... Und die meisten Gutachten der "Wirtschaftsweisen" kann man auch wirklich in die Tonne treten. Lesen Sie mal nach, wie weit die bei ihren Prognosen im Schnitt danebenlagen!

     

    @Sandra: Der Artikel drischt nicht Phrasen, sondern gibt schlicht die Meinung von einigen Studierenden und Ökonomen außerhalb des Mainstreams wieder. Man kann mit ihnen übereinstimmen oder nicht, aber das beeinflusst die Qualität des Artikels nicht.

  • S
    Sprachwächter

    .

    "Es gibt keine einzige Astrologin_en..."

     

    --> Haben Sie denn gar kein Sprachgefühl? Hier stimmt ja mal gar nichts.

     

    --> PC-Sprech at its best (das ist übrigens Ironie)

     

    --> Gestern traf Krut Tucholsky die biertrinkenden Studierenden.

  • S
    Sandra

    Selten so einen schlechten Artikel gelesen. Einfach mal Phrasen dreschen (und alles stark verallgemeinern), damit der Text einfach mal Sinn ergibt, ist nicht mein Ding. Schlechter Journalismus!

    (Ich glaube nicht, dass sich der Autor wirklich mit der Zunft auskennt über die er hier 'berichtet'.)

  • E
    Epikur

    @R.Detzer

     

    Sie sind wahrscheinlich nicht vom Fach, da es durchaus eine Fülle guter alternativer Ansätze aus dem heterodoxen Lager gibt...aber Hauptsache

    irgendetwas schreiben!

  • V
    Vorschlag

    @Richard Detzer

    Ich hab ne neue Idee:

    1. Zinslose Kredite, und statt dessen erhält die Bank eine Gewinnbeteiligung am Erfolg des Unternehmens.

    2. Kreditgeber und Kreditnehmer teilen gleichermaßen das Risiko.

    3. Keine Luftgeschäfte, sondern hinter jedem fremdfinanzierten Kauf oder Geschäftsprojekt steht ein reeller Gegenwert.

     

    Wenn alle 3 Bedingungen erfüllt sind, ist es nicht nur gerecht, sondern auch sicher.

  • O
    Oli

    Es gibt das alternative Memorandum und es gibt alternative Volkswirte in der Memorandumgruppe. Jenseits der Spitze dieser Gruppe findet sich aber wenig echte Unterstützung für eine alternative Betrachtung von Volkswirtschaft - da gebe ich den Unterzeichnern sofort recht.

     

    Und es ist auch so, dass die herkömmlichen Forschungsinstitute sich in Ideologie, in Politik und Gesetzen, derart verstrickt haben, dass vieles, was von dort an die Öffentlichkeit gebracht wird, Nichts anderes als Lobby-Arbeit für Interessen ist. Alleine die Wirtschaftswissenschaftler, die für die Initiative Neues Soziale Marktwirtschaft auftreten und auftraten, machen im Prinzip Front gegen Gesetze, die Beschäftigte, den Sozialstaat, Schutz vor Armut garantieren sollen. Solche Camouflage-PR-Kanonen konnten Teile der bekanntesten Ökonomen für sich gewinnen und haben damit sich Seriösität gegeben, die sie normalerweise nie verdient hätten. Und das ist im Prinzip weitaus mehr, als hier überhaupt angeführt wurde. Was ist überhaupt noch Wissenschaftlich an der Volkswirtschaftslehre, wenn die meisten Gutachten nur Bekanntes rapotieren und in den Prognosen häufig voll daneben liegen?

    Wo ist der Unterschied zwischen wirtschaftlichen Alltagswissen und volkswirtschaftlicher Expertise?

  • V
    VWLer

    "Die Finanzkrise hat die Ökonomen erschüttert: Wie konnten sie nur alle danebenliegen? Selbst Nobelpreisträger unter den Volkswirten rechneten mit ihrer Zunft ab"

     

    Also erstmal lagen nicht alle, sondern nur einige wie dieser Bofinger daneben. Und dann war es ja die Schuld der Politik wie Schröder und Merkel, nicht auf die Ratschläge und Warnungen der VWLer zu hören.

     

    Das der Euro scheitert, ist schon lange bekannt, weil seine Fehler und Schwächen bekannt sind. Wenn die Politiker aber nicht reagieren, können sich die Professoren den Mund fusselig reden. Ich erinnere mal an die Berichte der dt. Wirtschaftsweisen (VWL-Profs.) die sowohl Schröder als auch MErkel lächeln entgegen namen und in den Müll warfen.

  • P
    parteus

    Das Astrologen schlechter abschneiden ist jetzt aber mal massiv ungerecht.

     

    Es gibt keine einzige Astrologin_en die nicht den crash 2008 vorhergesagt hätte.

     

    Das war nämlich leicht. Und nun haben wir - behold - auch noch das Pluto-Uranus-Quadrat bis März 2015 rum.

     

    Bis dahin haben sich dann die Neoklassiker in Grund und Boden falsifiziert und es wird gemunkelt werden, dass es mal eine Finanzwirtschaft gab - aber keiner will davon gewußt haben.

     

    Also Jungs, packt ein, geht heim. Die Sause ist vorbei, hier gibts nix mehr zu holen.

  • N
    Nordlicht

    Hinzu kommt noch, dass nahezu alle VWL-Lehrstühle mit BWLern besetzt sind.

     

    Natürlich kann man bei einer Analyse nicht auf mathematische Instrumente verzichten. Doch der Einsatz dieser Instrumente setzt immer voraus, dass man weiß was man tut. Auch das 1 + 1 alles andere ist als 2 läßt sich mit Mathematik beweisen.

     

    Und hier liegt der Hund begraben. Der Neoliberalismus ist nur eine Ideologie die sich über das System Mathematik als Wissenschaft ausgibt.

     

    Würde man den Neoliberalismus als Wissenschaft ernst nehmen müsste man eine klare Aussage machen: Diese Theorie ist schon seit Jahren falsifiziert also durch Beaobachtung wiederlegt.

     

    Weiterhin ist zu Beobachten, dass speziell deutsche Ökonomen ausgesprochen Erkenntnisresitent sind und der Entwicklung 20 - 30 Jahre hinterhinken.

     

    Es gibt inzwischen große internationale Konferenzen zu denen kein deutscher Ökonom eingeladen wir. Kein Wunder. Man will sich durch den von diesen verbreiteten veralteten Blödsin nicht mehr langweilen lassen.

  • RD
    Richard Detzer

    Neue Ideen haben sie nicht. Aber neue Bücher konnen sie schon einmal drucken ("Jenseits des Protokolls", "Empört euch!").