Kritik an Straftatbestand Schwarzfahren: Mit der Bahn in den Knast
In Hamburg werden wieder mehr Schwarzfahrer registriert. Juristen wollen das Fahren ohne Ticket nicht länger als Straftat werten.
Ebenfalls aktuell ist die Debatte, ob das Delikt weiter als straffällige Handlung verfolgt werden sollte. Kritiker wie Jens Gnisa, Vorsitzender des Deutschen Richterbundes, treten dafür ein, das Schwarzfahren aus dem Strafgesetzbuch zu streichen und das Vergehen fortan als Ordnungswidrigkeit verurteilen – nicht zuletzt, um die Justiz zu entlasten.
Auch Heike Sudmann, Hamburger Bürgerschaftsabgeordnete und Verkehrsexpertin der Linken, macht sich für die Streichung stark: „Wir fordern das schon länger. Das bestehende Gesetz macht Menschen, die nicht nur aus Bock ohne Ticket fahren, zu vorbestraften Menschen.“ Sudmann kann sich dabei auch die „fahrscheinfreie“, also die kostenlose Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs vorstellen.
Kontrolleure bangen um ihre Eingriffsrechte
Noch aber wird fahrscheinlose Fahren nach Paragraf 265a Strafgesetzbuch (StGB) geahndet und bei Erstverstoß mit 60 Euro – das sogenannten erhöhten Beförderungsentgelt – sanktioniert. Bei dreimaligem Erwischtwerden kommt es dann zur Gerichtsverhandlung. Für den HVV-Sprecher Rainer Vohl ist der Straftatbestand ein wichtiges Instrument mit „Abschreckungspotenzial“: „Geldstrafen allein reichen nicht.“ Es müsse weiterhin die Möglichkeit geben, Anzeige zu erstatten und die Personalien aufzunehmen.
Einen „Prüfmarathon“ ließ der HVV 2017 durchführen. Bei der groß angelegten Aktion wurden an einem Tag 15.542 Fahrgäste kontrolliert.
Keine gültige Fahrkarte hatten 607 von ihnen bei sich. Das entsprach einer Quote von 3,9 Prozent Schwarzfahrern.
Insbesondere der letzte Punkt ist wichtig. Würde das fahrscheinlose Fahren im öffentlichen Nahverkehr nur noch als Ordnungwidrigkeit begriffen, dürften die Bahnkontrolleure keine Personen mehr festhalten. Nach dem sogenannten Jedermannsrecht in der Strafprozessordnung darf eine vorläufige Festnahme von jedermann durchführt werden, der andere auf frischer Tat bei strafrechtlich relevanten Handlungen ertappt. Wäre das Schwarzfahren nicht mehr strafbar im Sinne des StGB, hätten Kontrolleure sprichwörtlich wie rechtlich keine Handhabe mehr.
Gegenwärtig aber kann die Verurteilung von Schwarzfahrern nach dem StGB durchaus sonderbare Blüten treiben. Personen, die das erhöhte Beförderungsentgelt nicht zahlen können oder wollen, müssen in manchen Fällen gar eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen. Wie viele Menschen 2017 in Hamburg eine solche Strafe wegen Schwarzfahrens verbüßen mussten, ist nicht bekannt. Janina Fein, eine Sprecherin der Hamburger Justizbehörde, vertröstet hier auf wärmere Tage: „Die Zahlen werden im Frühjahr 2018 bekannt gegeben.“
Bekannt hingegen sind jetzt die Zahlen des HVV. Durch Schwarzfahrer verliere der Verkehrsbund jährlich 20 Millionen Euro. In einem „Prüfmarathon“, einer Großkontrolle vom letzten Jahr, wurden zudem weiße und schwarze Schafe unter den Hamburger Stadtteilen ermittelt. Dabei wurde eines klar: Schwarzfahren hat auch etwas mit sozialem Gefälle zu tun: mit 1,8 Prozent hatte Blankenese die wenigsten, Harburg mit 5,4 Prozent die meisten Schwarzfahrer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!