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Kristina Schröders Aussteiger-Hotline"Hilfe, ich bin links"

Den ganzen Radikalenscheiß und das ständige Beleidigtsein endlich hinter sich lassen - ein taz-Autor wendet sich dafür hilfesuchend an die Linksextremisten-Hotline.

Die mangelnde Radikalität ärgert mich manchmal so sehr, das ich mich in Gewaltfantasien reinsteigere. Bild: dpa
Interview von Helmut Höge

taz: Guten Tag, bin ich mit dem Verfassungsschutz verbunden? Ich bin Linksextremer und möchte aussteigen.

Verfassungsschutz: Das begrüße ich, aber wir sind nur für Rechtsextreme zuständig. Da müssen Sie sich an die Hotline des Familienministeriums wenden, ich gebe Ihnen mal die Nummer …

Hotline? Na, so eilig ist es nicht, ich bin jetzt seit 1967 Linksextremer, da kommt es auf eine Woche mehr oder weniger auch nicht mehr an.

Die heißt nur so. Die Nummer ist 0180 - 190 70 50.

Guten Tag, ist dort die Hotline für linksextreme Aussteiger?

Fiktiv telefoniert

Das fiktive Gespräch auf dieser erst demnächst besetzten Aussteiger-Hotline führte Helmut Höge

Familienministerium: Ja, Sie sind hier richtig, ich höre …

Ich bin immer noch Linksextremist und würde den ganzen Radikalenscheiß gerne hinter mich lassen. Alle meine früheren Genossen haben es auch geschafft. Ich erinnere nur an Hans-Christoph Buch, Peter Schneider, Joschka Fischer, Tom Koenigs, Götz Aly, Thomas Schmidt, Gerd Koenen. Was sagen Sie - oder hören Sie nur zu?

Nein, ich gebe zu bedenken, die eben von Ihnen Erwähnten, das sind alles mehr oder weniger prominente Linksextremisten - gewesen. Und die wollten was werden: prominent oder was auch immer. Was versprechen Sie sich von einem Ausstieg? Ich frage nach Ihrer Motivation.

Erst mal, dass ich nicht immer so beleidigt bin. Das fängt morgens beim Zeitunglesen an: mit diesem ganzen angepassten Seich. Die mangelnde Radikalität ärgert mich manchmal so sehr, das ich mich in Gewaltfantasien reinsteigere.

Ich verstehe. Ja, da sollten wir uns wirklich Gedanken darüber machen, wie man das abstellen kann. Sie würden damit wieder Lebensfreude zurückgewinnen.

Sie meinen, wie ich sie hatte, bevor ich lesen lernte?

Nein, ich meine einen Zustand, in dem man auch den "angepasstesten Seich", also das Oberflächlichste oder Verlogenste, gelassen zur Kenntnis nimmt.

Genau, und deswegen denke ich, ich muss raus aus dem Linksextremismus. Die Gesellschaft ist so reaktionär und gemein geworden, dass ich befürchten muss, damit vollends ins Abseits zu geraten …

Ja, darum geht es auch im Aussteigerprogramm für Neonazis von unseren Kollegen beim Verfassungsschutz. Nur die bekommen ihre aussteigewillige Klientel von ihren V-Leuten in den Leitungsgremien rechtsradikaler Organisationen quasi überstellt. Da handelt es sich meistens um Unzuverlässige, die die los sein wollen, ohne dass die sich dann in Wort und Tat gegen sie wenden. Das ist denen früher ein paar Mal passiert. Sie sind uns aber von keiner linken Organisation oder Partei empfohlen worden, oder?

Ich habe nie einer angehört.

Aber Linksextremist sein - und allein, ist das nicht ein Widerspruch?

Davon rede ich doch, dass meine Einstellung mich da reintreibt. Abgesehen davon gibt es neben einer Organisation oder Partei auch noch andere Kollektive, wenn auch kurzlebigere.

Können Sie mir welche nennen?

Es geht doch hier nicht um meine Einwanderung in die USA, ich wollte mit dem Aussteigerprogramm verbunden werden.

Das sind Sie, aber es macht doch auch in extremistischer Hinsicht einen Unterschied, ob Sie, jetzt nur mal als Beispiel, in einer vergrübelten Trotzki-Studiengruppe mitmachen oder beim eher aktionsorientierten Autonomen-Info "Interim" …

Und Sie würden lieber Aktivisten als Grübler zum Ausstieg raten?

Wir haben ja gerade erst damit angefangen. Dies ist auch ein Experiment unserer Ministerin. Also, nein, das würde ich nicht sagen. Es geht uns generell um Leute, die sich nach links verrannt haben - politisch gesehen.

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23 Kommentare

 / 
  • AB
    Arne Babenhauserheide

    @Erikius: Ich sehe da eine ganze Reihe sehr klare Aussagen drin. Die für mich schönste:

     

    „Sie würden damit wieder Lebensfreude zurückgewinnen.” → „Sie meinen, wie ich sie hatte, bevor ich lesen lernte?“

     

    Das ist mit die schönste Medienkritik, die ich in den letzten Jahren gelesen habe :)

     

    Wir werden täglich mit Unmengen weichspülsch… bombardiert, ohne uns der einfach entziehen zu können. Da erzählen Leute von unvermeidbaren (und daher für die Entscheidungsfindung irrelevanten) Kollateralschäden und Sachzwängen (weil sich niemand traut, die Alternativen auszusprechen; auch diejenigen nicht, die vollständig im Rahmen unseres Grundgesetzes bleiben), ohne dass auch nur ein Reporter kritisch gegenfragt (und das dann auch bringt).

     

    Es ist bereits jetzt so weit, dass Volker Pispers Dienstags um 11 im WDR 2 (PodCast) einen nützlicheren Nachrichtenüberblick bietet als viele Kurznachrichten. Der denkt nämlich noch nach, statt einfach nach zu plappern.

     

    Und das alles (und mehr) ist für mich in diesem einen Satz drin.

     

    Der Text ist einfach klasse!

    (das Online-Abo ist gut investiertes Geld)

  • C
    comax

    Sehr lustiger Artikel, danke. ;-)

    Wann kommt die Wahrheitsbewegungsausteigerhotline? Frei nach dem Motto:" Ich will aus der Wahrheitsbewegung aussteigen und mich jetzt lieber der Lüge zuwenden, was kann der Verfassungsschutz für mich tun? Ich bin ja sooo unzuverlässig!"

    *ich lach mich kaputt*

  • E
    Eike

    Meine Fresse, ist das wunderbar. Mehr davon und weniger von dem, von dem es in der taz in den letzten Jahren viel zu viel gab.

  • K
    Klingelhella

    Ich biete auch demnächst eine Heisslinie für Autoren an, die bei der taz aussteigen wollen.

     

    taz-Autor: Die mangelnde Radikalität meiner Zeitung geht mir auf den Wecker. Dafür habe ich mir nicht das Hirn in der Studenten-WG wunddiskutiert, dass ich jetzt ein Lifestyle-Blatt für Prenzlberg-Spießer gestalte!

     

    Ich: Dann meld dich mal bei der linksextremen Szene. Da ist grad eine Stelle frei geworden.

  • G
    gelderlander

    @rechtschreibnazi: Bitte keine Homophoben Attacken hier! Dich beschimpft ja auch keiner wegen Deines Baumschulabis....

     

    Interessant in dem Zusammenhang ist jedenfalls, was heute alles als "Linksextrem" gilt.

     

    Nahezu alles, was mit der Verteidigung von Menschen- & Bürgerrechte zu tun hat, wird als "Linksextrem" bezeichnet.

     

    und das Ministerium der Frau köhler ist wahrlich der richtige Ansprechpartner - wird sie selbst doch in rechten Foren und Blogs als Koriphäe hochgehalten..

  • H
    Hobi

    #

    X: hat da jemand schonmal angerufen?

    vor 10 Minuten

    #

    Y: es gibt sie wohl noch nicht...

    vor 9 Minuten · Gefällt mir Gefällt mir nicht mehr

    #

    Z: jep, ACD und IVR müssen noch installiert werden... "wenn Sie links sind drücken Sie die '1', wenn Sie linksextrem sind drücken Sie die '2',... " ;-)

     

    #

    X: Quatsch, ich hab da gerade angerufen. Das gibt es nicht und die haben auch keine Ahnung.

     

    #

    Y: seit wann nimmst du denn sowas so ernst? Ich fand es eine gute Satire und Unterhaltung...

    vor 2 Minuten

     

    #

    x: Ich hätte es Christina Schröder sogar zugetraut. Ich meine, 90% aller ernsten Nachrichten aus diesem Ministerium klingen wie Satire - wie soll man da unterscheiden?

    vor etwa einer Minute · Gefällt mir Gefällt mir nicht mehr · 1 Person Y gefällt das. ·

  • W
    Wolfgang

    Hilfe, bin ich links oder rechts?

    Bitte doch einmal erklären.

    Können Sie nicht?

    Ach dann bleibe ich doch lieber ganz gerade aus!!

  • NV
    Nicht veröffentlichen

    Ändert doch mal bitte:

     

    Die mangelnde Radikalität ärgert mich manchmal so sehr, das ich mich in Gewaltfantasien reinsteigere.

     

    Es heißt dass und nicht das.

  • D
    deviant

    "Was versprechen Sie sich von einem Ausstieg?"

     

    Wat isn ditte für ne scheissbourgeoise Frajestellung???

  • T
    tussydelite

    lieber helmut, mir gehts wie dir, komm doch in meine gruppe...!

  • U
    Uli

    Danke, Helmut!

    Wunderschöner Artikel. Vielleicht kriege ich ja eine Empfehlung von einer linken Organisation und darf dann aussteigen!

  • R
    Rechtschreibnazi

    "Das lass' ich hinter MICH!!"

    Klingt auch irgendwie... hm.. schwul. Lustig jedenfalls.

  • P
    Petra

    Herrlich, Mundart in der taz:

    "...und würde den ganzen Radikalenscheiß gerne hinter mich lassen...

     

     

    Laß es hinter dich!

  • E
    erikius

    Wo ist die Aussage (ist die Autorin dagegen, dass gewaltbereite Linke aussteigen - ergo linke Gewalt ist gut???), wo ist die Information?

    Klingt so ein bißchen wie der kleine Nils, nur ist der gelegentlich lustig und in seinen Aussagen besser strukturiert.

  • E
    EINE

    ja so ein experiment ist doch eine feine sache von unserer regierung.

    herrlich zu lesen, so am frühen morgen, da bleib ich doch lieber links.

  • M
    Martin

    Lustig. Wenn es so eine Hotline wirklich gibt, freue ich mich auf ein paar harmlose Telefonstreiche bei denen,

  • MN
    Mein Name

    Endlich nach einer langen Zeit wieder ein tazisches Zuckerstück. Vielen Dank

  • G
    Georg

    Eine großartige Idee, wobei man das noch weiter satirisch hätte ausbauen können...

  • DS
    Das System hat keine Eier und K. Schröder schon gar nicht

    Schön, dass Helmut Höge sich von der aktuellen "konkret" hat inspirieren lässt, diesen heißen Scheiss zu inspizieren!

  • L
    laughingoutloud

    wuahaha.. köstlich.. mehr!

  • T
    tyler

    haha. *kicher* ist das wirklich echt? so richtig kein fake? ich meine na gut - auch als fake entbehrt es nicht einer gewissen komik, aber wenn das tatsächlich realität sein sollte...

  • T
    tsaimath

    "Nur die bekommen ihre aussteigewillige Klientel von ihren V-Leuten in den Leitungsgremien rechtsradikaler Organisationen quasi überstellt. Da handelt es sich meistens um Unzuverlässige, die die los sein wollen, [...]"

     

     

    Klingt das nur für mich so als wollten die V-Männer die Unzuverlässigen loswerden?

    Ist vermutlich anders geeint aber naja, man weiß ja nie...

  • T
    Trotzki

    Man ist das witzig! Ein echter Schenkelklopfer! Da sieht man mal, was mit großen Worten angekündigt ist "Austeigerprogramm für Linksextremisten", sit inwahrheit ein Organ um Menschen die sich "nach Links verirthaben" ideologisch umzupolen.

    Wobei die Fragen der Frau eher darauf hinweisen, dass sie zum Nachrichtendienst gehört. Nach dem Motto. Welche Linksextremistischen Organisationen gibt es sonst noch so zum ausspionieren!

     

    Hach, herlich. DANKE liebe Taz für dieses herrliche "Interview".