piwik no script img

Krisentreffen auf höchster Ebene

■ Begegnung zwischen Kohl und de Maiziere noch in dieser Woche / Koalitionskrise nach Kompromißantrag in der Volkskammer noch nicht vom Tisch / Streit um Beitritt aufgeschoben

Berlin (dpa/afp) - Vor dem Hintergrund der anhaltenden Regierungskrise in der DDR wird Ministerpräsident Lothar de Maiziere voraussichtlich in dieser Woche in Österreich mit Bundeskanzler Helmut Kohl zusammentreffen. Entsprechende Pläne de Maizieres verlauteten am Montag in Bonn. Kohl hat in St. Gilgen seinen Sommerurlaub angetreten, de Maiziere beginnt am Mittwoch einen offiziellen Österreich-Besuch.

Bisher hatte vor allem die CDU/CSU immer wieder darauf hingewiesen, daß es allein Sache der DDR sei, über Beitritt und Wahlverfahren zu entscheiden. Heute tritt nun im Kanzleramt der Kabinettsausschuß Deutsche Einheit unter Leitung von Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) erneut zur Vorbereitung des Einigungsvertrages zusammen. Bei der Sitzung dürfte diesmal auch der Ostberliner Kompromiß vom Sonntag ein Thema sein. In der Volkskammerdebatte am Sonntag über den Beitrittstermin der DDR zur Bundesrepublik kamen am Abend zwei Anträge zur Abstimmung: SPD und Liberale brachten in einem letzten Versuch, ein einheitliches Wahlgebiet durchzusetzen, doch noch ihren eigenen Antrag ein. In offener Abstimmung lehnte die Volkskammer daraufhin mit den Stimmen von CDU, DSU, PDS und Bündnis 90 den Antrag auf Beitritt vor der Wahl ab.

Die CDU legte ihrerseits den zweiten Kompromißvorschlag de Maizieres vor. Der CDU-Text erhielt in namentlicher Abstimmung 166 Ja- und 82 Nein-Stimmen bei 17 Enthaltungen. Zwar ist das Stimmverhalten bei namentlicher Abstimmung erst nach Veröffentlichung des Protokolls zu ermitteln. Die Stimmenverhältnisse legen jedoch den Schluß nahe, daß die SPD gegen den Antrag votierte und die Liberalen sich enthielten, während alle anderen Parteien dem Vorschlag zustimmten.

Dem Kompromißvorschlag zufolge sollen sich die Ausschüsse für Deutsche Einheit beider deutscher Parlamente noch im Juli gemeinsam mit dem Wahlmodus befassen und die Regierungen beider Staaten einen gesonderten Wahlvertrag aushandeln. Damit ist die Frage des Wahlmodus‘ von der des Beitritts getrennt. Folglich sehen SPD und Liberale in diesem Vorschlag keinen zufriedenstellenden Kompromiß, da der Beitrittstermin weiter offen bleibt.

Beide Fraktionen hatten im Vorfeld der Volkskammertagung das Ultimatum gestellt, bis Sonntag müsse über den Beitrittstermin entschieden werden. Ob sie nun ihre Drohung wahrmachen, aus der Regierung auszutreten, entscheidet sich auf den Fraktionssitzungen am Dienstag. Für SPD-Chef Thierse kann nur ein Einlenken de Maizieres die Koalition noch retten.

In Bonn hielt der Parteienstreit über Wahlrecht und Beitrittstermin weiter an. Die Grünen plädierten angesichts der Auseinandersetzungen für eine Phase des Nachdenkens und eine Verschiebung der Wahl. Die Fraktionssprecherin Antje Vollmer erklärte in Bonn, mit dem Kompromiß in Ost-Berlin sei nun auch die Entscheidung über das „Königsrecht der Demokratie“, das Wahlrecht, nach Bonn verschoben worden, wo ohnehin alles diktiert werde. Mit Demokratie und Selbstbestimmung habe das zwar wenig zu tun, „aber mit dem skrupellosen Kampf um die Macht in Gesamtdeutschland“. Die gerade errungene Demokratie werde beschädigt. Unbeschädigt ist nach Ansicht des Ostberliner Regierungssprechers Mathias Gehler der Zeitplan für die deutsche Vereinigung. Trotz Regierungskrise soll der Vereinigungsvertrag bis Ende August endgültig ausgearbeitet sein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen