Krise in Griechenland: Helfer von rechts
Athens Innenstadt verslumt. Dort spielt die rechtsextreme Partei Chrysi Avgi den Krisenmanager. Die wenigen verbliebenen Griechen applaudieren ihnen. Ein Besuch.
ATHEN taz | Konstantinos’ Laden befindet sich an der Kapodistrioustraße, nur wenige Schritte hinter dem Omonoiaplatz im Herzen Athens. Der 32-jährige Rahmenmacher sitzt in seinem Atelier und wartet auf Kundschaft. Ein Atelier von bescheidenem Ausmaß, höchstens fünfzig Quadratmeter groß. Trotz der zentralen Lage läuft das Geschäft schlecht.
„Wer traut sich denn noch hierher?“, fragt der schlanke Mann mit den blauen Augen und dem dunkelblonden kurzen Haar. „Gucken Sie sich doch um! Unsere Kunden sagen schon am Telefon, sie hätten Angst, in den Laden zu kommen!“
Athens Innenstadt rund um den Omonoiaplatz ist von hoher Kriminalität geprägt. „Es ist dramatisch“, sagt Konstantinos. Drogenhandel, Prostitution, Einbrüche, Raubüberfälle seien an der Tagesordnung. Vor seinem Laden stünden fast täglich schwarze Prostituierte. „Die gehen direkt vor unseren Augen auf den Strich, in aller Öffentlichkeit“, schimpft der Geschäftsmann.
„Auch sonst benehmen sie sich unter Niveau, urinieren zum Beispiel einfach auf die Straße.“ Er rufe zwar mehrmals täglich die Polizei, doch wenn sie dann käme, versteckten sich die Prostituierten und seien kurze Zeit später wieder da.
„Der Staat hat uns im Stich gelassen“
„Die Einzigen, die uns helfen, sind die Leute von der Chrysi Avgi“, stellt Konstantinos klar. „Der Staat hat uns im Stich gelassen.“ Die Rechtsradikalen sorgten allein durch ihre Anwesenheit und tägliche Patrouillen für Recht und Ordnung. Konstantinos klingt bitter. „Nur vor den Wahlen gab es plötzlich ein paar spektakuläre Polizeirazzien. Doch jetzt nimmt alles wieder seinen Lauf!“
heißt wörtlich: goldene Morgenröte. Chef der rechtsextremen Partei ist Nikolaos Michaloliakos, ein Anhänger des griechischen Faschisten Ioannis Metaxas, Hitler-Verehrer und Holocaustleugner. In einem Fernsehinterview sorgte er am Dienstag für Empörung, weil er darin erneut die Existenz von Gaskammern und Krematorien in den Konzentrationslagern des Zweiten Weltkrieges bestritten hat.
1985 gegründet, trat Chrysi Avgi erstmals 1993 im Namensstreit mit Mazedonien in Erscheinung. Bei den Kommunalwahlen von 2010 errang die Partei in Athen 5,3 Prozent der Stimmen. Bei den Parlamentswahlen vom 6. Mai erreichte sie, trotz des Boykotts durch die griechischen Medien, knapp 7 Prozent der Stimmen und damit 21 Mandate. Laut Umfragen dürfte es die Partei bei Neuwahlen - wenn auch mit unter 6 Prozent - erneut ins Parlament schaffen.
Konstantinos’ Laden ist eines der wenigen verbliebenen Geschäfte im Omonoiaviertel. „Mein Großvater hat das Atelier 1957 eröffnet, und gäbe es nicht unsere Stammkunden von damals, hätten wir schon längst dichtgemacht.“
Dabei war das Viertel um den Omonoiaplatz, einem der zentralsten Plätze der Stadt, noch vor wenigen Jahrzehnten eine schöne Gegend; die Athener verabredeten sich sonntags um die Ecke an der Apotheke Bakakos, um bis zur Altstadt zu flanieren oder in einem der zahlreichen Cafés einen Kaffee zu trinken.
Heute erinnert nichts mehr an diese Zeiten: Ein paar Schritte von Konstantinos’ Laden entfernt verkauft ein farbiger Dealer Heroin an einen mageren jungen Mann. Dessen Körper ist übersät von kleinen und größeren Verletzungen, seine Jeans ist zerrissen und dreckig.
Auf der anderen Straßenseite warten zwei Prostituierte auf ihre Freier. 20 Euro fordern sie. „An schlechten Tagen nur 10“, sagt eine der beiden in gebrochenem Griechisch. Eine Gruppe arabisch aussehender junger Männer kommt vorbei und mustert die Frauen. Überhaupt scheint außer den Junkies die griechische Bevölkerung diesen Ort längst verlassen zu haben.
Konstantinos gehört mit zu den letzten Verbliebenen. „Selbst wenn ich aufgeben wollte: Wer würde denn den Laden kaufen oder mieten wollen? Unser Besitz hat jeden Wert verloren!“
Hungrig und ohne Hoffnung
Außer den illegalen Einwanderern, die sich dort winzige Wohnungen mit Dutzenden ihrer Landsleute teilen, möchte keiner freiwillig in den heruntergekommenen Innenstadtbezirk ziehen. Viele Griechen sehen die illegalen Einwanderer als Bedrohung an: Es seien zu viele, noch dazu hungrig und hoffnungslos.
Schätzungen der Internationalen Organisation für Migration (kurz IOM) zufolge überqueren rund fünfhundert Einwanderer täglich die griechisch-türkische Grenze am Fluss Evros. Die meisten von ihnen landen in Athen. Doch während sie sich früher mit Aushilfsjobs über Wasser halten konnten, gibt es in Zeiten der Krise nichts für sie. Die Situation sei außer Kontrolle, gesteht Daniil Esdras vom Athener Büro der IOM ein.
Es sind diese Zustände und ein Gefühl der Ohnmacht, die die Menschen dazu verleiten, ihre Hoffnung in die rechtsextreme Partei Chrysi Avgi zu legen. Denn die „Chrysavgites“ – wie sich die Chrysi-Avgi-Leute nennen – gelten als die Einzigen, die Stadtteile wie das von Konstantinos nicht aufgegeben haben. „Alle hier haben die Chrysi Avgi gewählt. Wenn Ihnen jemand etwas anderes erzählt, dann lügt er“, sagt Konstantinos.
Die Zentrale
Nur zehn Minuten zu Fuß von Konstantinos’ Atelier entfernt befindet sich die Zentrale der rechtsextremen Partei – direkt gegenüber dem Athener Hauptbahnhof. Auf der Seitenfassade steht mit großer, schon von Weitem erkennbarer Schrift der Name der Organisation, daneben sieht man ihr Emblem, den antiken Mäander, ein altgriechisches Symbol, das dem Hakenkreuz sehr ähnlich sieht.
Auf den Balkons wehen große griechische Fahnen. Vor der Eingangstür steht eine Gruppe junger Männer, die meisten mit kurzen Haaren oder kahlrasierten Köpfen und schwarzen Shirts. Sie sind durchtrainiert, unter ihren Shirts gucken Tätowierungen – vor allem Schriftzüge – hervor. An der Klingel der Parteizentrale steht mit Filzstift geschrieben die Abkürzung „X. A.“: für Chrysi Avgi, sonst nichts.
Die Treppen führen direkt zur ersten Etage und zu einer Art Minibuchhandlung mit rechtsextremen Büchern, Accessoires und T-Shirts der Organisation sowie CDs aus der NSBM-Szene (Abkürzung für: Nationalsozialistischer Black Metal), darunter auch CDs der griechischen Band Der Stürmer, benannt nach der gleichnamigen deutschen Zeitung der NS-Zeit.
Es werden immer mehr
„Das ziehen sich einige rein“, sagt Michalis, ein stattlicher junger Mann. „Ich persönlich höre solche Musik nicht“, sagt er und lächelt. Der 38-Jährige trägt ein dunkelblaues Polo-Shirt und macht einen netten Eindruck. Dass es die Chrysi Avgi ins Parlament geschafft hat, macht Michalis stolz. Er habe nichts anderes erwartet.
„Ein Spaziergang auf den Straßen Athens reicht aus, um zu sehen, dass die Leute, die uns unterstützen, immer mehr werden. Sie wollen eine Stimme hören, die sich tatsächlich um ihre Probleme kümmert!“
Hinter einer Art Tresen stapeln sich die Kartons. Es herrscht großes Durcheinander. Drei Etagen hat das Gebäude, doch nur zwei davon würden zurzeit genutzt, erklärt Veta, eine schlanke junge Frau mit schulterlangen schwarzen Haaren. „Hinter dieser Tür ist das Büro unseres Anführers“, sagt sie und zeigt auf eine verschlossene Tür.
Hilfe nur für Griechen
Veta ist 32 Jahre alt und arbeitslos. An ihrem Hals hängt ein Mäander-Anhänger. In der Zentrale kümmert sie sich um die Kleiderspenden, die Bürger vorbeibringen. „Wir geben sie dann an bedürftige Griechen“, erklärt sie. „Aber nur an Griechen!“
Seit Längerem kehrt die rechtsextreme Organisation ihre soziale Seite in Gegenden hervor, die der Staat vernachlässigt: Die Chrysavgites teilen Lebensmittel und Kleidung aus, begleiten alte Menschen zur Bank, patrouillieren nachts in Gegenden mit hoher Kriminalität und sind immer da, wenn sie von Griechen gerufen werden.
„Ich bin kein Rassist“, sagt der stattliche Michalis, „aber ich bin ein Nationalist und will nicht zusehen, wie diese Menschen mein Land ruinieren. Sie sind illegal hier und kommen aus Ländern, in denen ein Menschenleben nichts zählt. Sie sind fähig, jemanden für nur 50 Euro umzubringen. Für mich sind sie wie Tiere. Ich kann sie nicht tolerieren!“ Er schüttelt den Kopf.
Übergriffe der Rechten
Was diese Intoleranz gegenüber den Einwanderern bedeutet, weiß Daniil Esdras von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) nur zu gut. Dutzende Flüchtlinge und Illegale suchen täglich die Büros der Organisation im Athener Stadtteil Alimos auf – vor allem Menschen aus Afghanistan, Pakistan und Bangladesch.
„Viele kommen verletzt zu uns, mit gebrochenen Armen oder Beinen. Sie flehen uns an, hier übernachten zu dürfen, weil die meisten auf der Straße leben und dort täglich den Übergriffen von Rechtsextremen ausgesetzt sind!“
Auch Yunus Muhammadi wird täglich damit konfrontiert. Der Vorsitzende der afghanischen Gemeinschaft Athens war in seiner Heimat als Arzt tätig. Seit zehn Jahren lebt er nun als politischer Flüchtling in Aghios Panteleimonas, einem anderen Problemviertel im Herzen Athens, wo die Chrysi Avgi besonders aktiv ist.
Pause vor der Wahl
„Vor den Wahlen gab es täglich Übergriffe von den Rechtsradikalen. Viele meiner Landsleute wurden einfach so zusammengeschlagen, einer war so schwer am Kopf verletzt, dass er seinen Verstand verlor.“ In der Wahlkampfzeit hörten die Übergriffe plötzlich auf, berichtet Yunus.
„Die Leute kamen schon verwundert in unser Büro und fragten, was los sei. Wir klärten sie dann auf, dass wir bald Wahlen haben und die Chrysi Avgi uns wahrscheinlich deshalb in Ruhe lässt!“
Dass die Rechtsradikalen diesmal fast sieben Prozent der Stimmen erhielten, schockiert Yunus Muhammadi. „Für ein Land wie Griechenland, das im Zweiten Weltkrieg unter der Besatzung der Nationalsozialisten gelitten hat, ist das wirklich traurig“.
Proteststimmen
Muhammadi glaubt nicht, dass über Nacht etwa eine halbe Million Griechen zu Neonazis und Faschisten geworden seien. „Die meisten haben die Rechtsextremen aus Protest gewählt. Sie wollten die zwei großen Parteien damit abstrafen für die Situation, in der sich das Land heute befindet. Und für die Unsicherheit, die sie empfinden.“
Aus Protest und Unsicherheit hat auch der 32-jährige Konstantinos gewählt. Mit der Ideologie der Partei kann er nichts anfangen. „Ich bin kein Neonazi. Außerdem bin ich auch nur halber Grieche. Mein Vater ist Pole. Wie könnte ich wollen, dass alle Ausländer das Land verlassen?
Aber im Moment ist Chrysi Avgi unsere einzige Hoffnung!“ Er schäme sich ein bisschen, sagt Konstantinos und lächelt verlegen. „Sagen Sie bitte keinem, dass ich Chrysi Avgi gewählt habe, ja?“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen