Krise im Berliner ÖPNV: Die BVG lernt Empathie
Mit einem „Stabilitätskonzept“ will der BVG-Vorstand das Unternehmen in Fahrt bringen. Bis neue Wagen rollen, vergeht allerdings noch einige Zeit.
![Straßenbahn der BVG in der Nacht Straßenbahn der BVG in der Nacht](https://taz.de/picture/7413561/14/imago778902352-1.jpeg)
Wie schon öfters in den vergangenen Monaten spart der BVG-Vorstand auch diesmal nicht mit Selbstkritik. „Insbesondere Fahrgäste der U-Bahn konnten sich nicht mehr auf das versprochene Angebot verlassen“, heißt es zu Beginn der ausführlichen Pressemitteilung des Unternehmens vom Freitag.
„Überdurchschnittlich viele Fahrten“ seien ausgefallen, „weil die alte Fahrzeugflotte technisch anfällig ist und zeitweise hohe Krankenstände für Engpässe sorgten“. Auch das „in die Jahre gekommene Informationssystem“ habe die Unzufriedenheit vieler Fahrgäste geschürt.
Um letzteren Missstand im Rahmen des nun versprochenen „Kurswechsels“ abzustellen, sollen die „Hintergrundsysteme grundlegend erneuert“, aber auch kurzfristig Verbesserungen eingeführt werden.
„Empathische Live-Ansagen“
So gebe es seit einigen Tagen schon in allen Bussen Störmeldungen und Umsteigeverbindungen in Echtzeit, im kommenden Jahr sollen auch die Fahrgäste der U-Bahn und ab 2026 die der Straßenbahn davon profitieren. Die Leitstellen würden personell aufgestockt, an immer mehr Bus- und Tramhaltestellen digitale Fahrpläne angeboten.
Besonderes Schmankerl: Im Januar soll auf den U-Bahn-Linien 1 bis 4 ein Test starten, bei dem Mitarbeitende „situative und empathische Live-Ansagen bei Störungen und Ausfällen“ machen, und das „möglichst auf Deutsch und Englisch“. Aktuell werden Wartende bei Zugausfällen oder Fahrgäste in steckengebliebenen Zügen oft lange im Unklaren darüber gelassen, was der Grund für die Verspätung ist und wann es tatsächlich weitergeht.
Unter dem Punkt „Team BVG stärken“ verspricht der aktuell zweiköpfige Vorstand – Vorsitzender Henrik Falk und Personalvorständin Jenny Zeller-Grothe – die Fortsetzung der laufenden Rekrutierungsoffensive, um die gelichteten Reihen im Personal zu schließen.
Tatsächlich werde schon zum Ende dieses Jahres „trotz der schwierigen betrieblichen Lage“ ein Plus von rund 360 bei der Zahl der Mitarbeitenden stehen. 2.400 Personen habe man bis November bereits eingestellt, im kommenden Jahr sollen 800 neue Mitarbeitende für den Fahrdienst und 300 für die Werkstätten gewonnen werden.
KI-generierte Schichtpläne
Aus der Zunahme der Bewerbungen – mit 34.200 im November liege man schon deutlich über der Rekordzahl von 30.000 im Vorjahr – schließen Falk und Zeller-Grothe, dass die BVG immer noch ein attraktiver Arbeitgeber ist. Um das abzusichern und „Mitarbeitende nachhaltig an die BVG zu binden“, soll ein ganzes „Maßnahmenbündel“ greifen, darunter „individualisiert gestaltete und perspektivisch KI-generierte Schichtpläne“.
Auch in den anstehenden Tarifverhandlungen werde es darum gehen, auf dem umkämpften Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig zu bleiben: „Die Rahmenbedingungen und auch die Bezahlung“ müssten „natürlich stimmen, um im Wettbewerb um Mitarbeitende in Berlin-Brandenburg bestehen zu können“, so Zeller-Grothe.
Der ganz große Knackpunkt ist und bleibt allerdings der stark überalterte und entsprechend pannenanfällige Fuhrpark. Seit Jahren wartet die BVG auf U-Bahn-Nachschub im Rahmen der Großbestellung beim Schweizer Hersteller Stadler Rail.
Und so lautet nun das Versprechen: Nach der Lieferung von 18 „Test- und Schulungsfahrzeugen“ der Kleinprofil-Baureihe JK im Frühjahr und Sommer 2025 starten ab September die Serienlieferung und der Einsatz im Fahrgastbetrieb, voraussichtlich auf der U2 und U3. Bis Jahresende 2025 sollen „im Idealfall“ schon 140 neue Wagen im Einsatz sein – was dann doch weniger nach einem Versprechen als nach einem frommen Wunsch klingt.
Warten auf die Großprofil-Baureihe
Bei der Großprofil-Baureihe J für die Linien 5 bis 9 soll die Serienlieferung dagegen erst im Sommer 2026 starten. Bis Ende 2026 wären demnach alle bestellten 236 Wagen dieses Typs bei der BVG. Allzu viel ist das noch nicht.
Gut, dass der BVG-Aufsichtsrat unter Vorsitz von Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) am Donnerstag den zweiten „Fahrzeugabruf“ aus dem Rahmenvertrag mit Stadler freigegeben hat, wodurch weitere 108 J-Wagen bestellt werden können. Ende 2027 sollen insgesamt schon 484 neue Waggons auf allen Linien im Einsatz sein. Der Rahmenvertrag sieht die maximale Lieferung von 1.500 Waggons vor.
Bei der Tram klingt der Aufwuchs bescheidener, allerdings ist hier auch die Überalterung des Bestands etwas weniger dramatisch. In den kommenden beiden Jahren sollen schon einmal 20 der neuen, 50 Meter langen „Urbanliner“-Straßenbahnen des Stadler-Konkurrenten Alstom und 50 neue E-Busse auf die Straße kommen.
In Marienfelde und Schöneweide werden dazu neue Bus-Betriebshöfe gebaut, bei der Straßenbahn startet der Neubau in Adlershof, und das stillgelegte Gelände in Niederschönhausen soll reaktiviert werden.
Kritik von den Grünen
Also wird doch noch alles gut? Eher nicht, meinen Antje Kapek und Oda Hassepaß, die verkehrspolitischen Sprecherinnen der Grünen-Fraktion: Das Stabilitätskonzept werde „die aktuelle Krise nicht lösen“, glauben sie. Viele der Maßnahmen, gerade die Aufholjagd beim Fuhrpark und den Betriebshöfen, seien „längst angekündigt oder überfällig“ gewesen.
„Ohne Investitionen in eine bessere Bezahlung für das Personal und eine Rückkehr zum im Verkehrsvertrag vereinbarten Fahrplan bei Bus und Bahn bleibt Stabilität ein wackliges Versprechen“, so die beiden Grünen. Das vorgestellte Maßnahmenpaket bekämpfe nur Symptome.
Dass es Anfang 2025 eine Rückkehr zum Normalfahrplan geben werden, wie der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) versprochen hat, sei dagegen angesichts der jüngsten Haushaltskürzungen völlig unrealistisch: „Mit dieser Politik nimmt der Senat der BVG nicht nur die Möglichkeit, dringend notwendige Verbesserungen umzusetzen, sondern gefährdet die Mobilität in Berlin insgesamt.“
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