Krise des Einzelhandels: Nur ein schwacher Trost
Trotz Inflation lief das Weihnachtsgeschäft deutlich besser als erwartet. Entwarnung für den krisengeplagten Einzelhandel gibt es dennoch nicht.
Von Krisenstimmung ist in der Galeria-Filiale am Alexanderplatz am Dienstagvormittag wenig zu spüren. Trotz der ausladenden sechs Etagen ist das Kaufhaus gut gefüllt, die Schlangen vor den Kassen sind lang. In der Spielzeugabteilung bestaunt ein Junge ein lebensgroßes Lego-Motorrad, eine Frau sucht vergeblich nach einer freien Mitarbeiterin, um ein Spielzeugauto umzutauschen. Wenn sie schon mal hier ist, wolle sie die Gelegenheit nutzen, um ein paar Schnäppchen bei den zahlreichen Sonderangeboten zu machen, die es nach Weihnachten gibt, sagt sie der taz.
Zum Jahresende zieht der Einzelhandel eine verhalten positive Bilanz für das Weihnachtsgeschäft. Man liege dieses Jahr nur „knapp unter“ dem Vor-Corona-Niveau von 2019, sagt Nils Busch-Petersen, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg.
Angesichts des durch die Inflation, Energiekrise und den Angriffskrieg auf die Ukraine stark gesunken Konsumklimas war der Einzelhandel mit deutlich düstereren Erwartungen ins Weihnachtsgeschäft gestartet. Doch die hätten sich zum Glück nicht bewahrheitet. „Wer die Erwartungen nicht zu hoch schraubt, kann auch nicht enttäuscht werden“, so Busch-Petersen gegenüber der taz. Je nach Branche macht der Einzelhandel bis zu einem Drittel seines Umsatzes in der Weihnachtszeit.
Auch wenn die Feiertage vorüber sind, gilt die letzte Woche des Jahres als Abschluss des Weihnachtsgeschäfts. Gutscheine und Retouren locken die Kund:innen in die Warenhäuser, oft lassen sie dann ein paar mehr Euro da. Dass das Weihnachtsgeschäft trotz Krisen kein Totalausfall war, liege vor allem daran, dass Weihnachtseinkäufe wie Spielzeuge fest eingeplante Posten seien, mutmaßt Busch-Petersen. Gelitten habe vor allem die Bereitschaft zu Spontankäufen im Rest des Jahres.
Von einer Krise in die Nächste
Nach über zwei entbehrungsreichen Pandemiejahren erhoffte sich der Einzelhandel in diesem Jahr eigentlich einen Befreiungsschlag. Doch stattdessen schlitterte die Branche in eine ganze Reihe neuer Krisen. Nicht nur die schwindende Kaufkraft, auch steigende Energie- und Betriebskosten und gestörte Lieferketten belasten die Einzelhändler zusätzlich. Im Gegensatz zur Pandemie gäbe es in diesem Jahr auch beim zuvor boomenden Internethandel Einschnitte: „Auch der Onlinehandel bekommt es mit der sinkenden Konsumlaune zu tun“, so Busch-Petersen.
Deutlichster Verlierer in diesem Jahr ist der Warenhauskonzern Galeria-Karstadt-Kaufhof. Ende Oktober, kurz vor der Weihnachtsgeschäft, begab sich der Warenhauskonzern zum zweiten Mal innerhalb weniger Jahre in ein Schutzschirmverfahren, eine Art Insolvenzverfahren in Eigenregie. Zuletzt kündigte die Geschäftsführung in einem internen Schreiben kurz vor Weihnachten die Schließung von 90 der 131 Galeria-Filialen in Deutschland an. Eine offizielle Zahl soll Ende Januar vom Insolvenzverwalter im Rahmen des Sanierungsplans vorgestellt werden.
Fragt man die Beschäftigten in der Filiale am Alexanderplatz, wollen nur die wenigsten über ihre Situation mit der Presse sprechen. Ein Mitarbeiter gibt sich pessimistisch. Dass Weihnachtsgeschäft lief zwar gut, aber es sei kein Vergleich zu den Vorkrisenjahren. „Ich glaube nicht, dass wir das Vor-Corona-Niveau nochmal erreichen“. Ob sich die Insolvenz im Arbeitsalltag bemerkbar mache? Dazu möchte er in der aktuellen Situation lieber nichts sagen.
Im Zuge des Insolvenzverfahrens hat die Geschäftsführung zunächst einen Einstellungsstopp verhängt. Da sonst für das Weihnachtsgeschäft zusätzliche Aushilfen eingestellt werden, fürchteten die Beschäftigten Überlastung – doch Anfang Dezember ruderte Galeria zurück und hob den Stopp auf. Ob es angesichts der Erkältungswelle trotzdem zu Personalengpässen kam, ließ die Pressestelle des Konzerns bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
Neue Konzepte
Die Krise des Warenhauskonzerns steht stellvertretend für eine Branche im Umbruch. Auch Nils Busch-Petersen rechnet nicht damit, dass eine Rückkehr in die Vorkrisensituation möglich sein wird. „Wir werden uns neu definieren müssen, aber das wird uns gelingen“, gibt er sich optimistisch, der Einzelhandel habe sich bislang immer anpassen können. Schon jetzt gebe es einen deutlichen Rückgang der Einzelhandelsflächen in den Innenstädten, so Busch-Petersen. „Wir werden kleinere Brötchen backen müssen.“
Sowohl der Verbandschef und die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi als auch der Galeria-Eigentümer Signa weisen auf neue Konzepte hin, wenn es um die Zukunft des Einzelhandels geht. So soll das schon im letzten Sanierungsverfahren vorgestellte Konzept „Galeria 2.0“ das Warenhaus erlebnisorientierter machen und Vor-Ort-Kauf und Onlineshop verbinden.
Doch nach den bislang durchgesickerten Details zu urteilen, setzt Galeria-Eigentümer Signa vor allem auf einen harten Sparkurs: Lohnverzicht, Reduktion der Belegschaft, Filialschließungen und harte Mietverhandlungen mit den Immobilieneigentümer:innen. Einzelhandelsexpert:innen befürchten, dass Galeria durch den Sparkurs seinen größten Wettbewerbsvorteil aufgibt: kompetente Vor-Ort-Beratung.
Eigentümer Signa scheint hingegen vor allem auf eine Wertsteigerung der im eigenen Besitz befindlichen Galeria-Immobilien und eine Verkleinerung der Verkaufsflächen zu setzen. In Berlin sollen sowohl am Ku’damm, am Hermannplatz als auch am Leopoldplatz die Immobilien aufwendig abgerissen, umgebaut und erweitert werden. Wenn überhaupt, sollen die Filialen nur in stark verkleinerter Form zurückkehren. Der zusätzliche Platz ist dann vor allem für Büroflächen vorgesehen.
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