Krise beim Kinderhilfswerk: Unicef-Schlammschlacht geht weiter
Die zurückgetretene Vorsitzende Simons bekräftigt ihre Kritik am Kinderhilfswerk, während ihr Interims-Nachfolger sich hinter den umstrittenen Geschäftsführer stellt.
Nach dem Rücktritt von Heide Simonis ist das Deutschen Komitee für Unicef um Schadensbegrenzung bemüht. Nachdrücklich stellte sich der neue Unicef-Interimsvorsitzende Reinhard Schlagintweit hinter den umstrittenen Geschäftsführer Dietrich Garlichs. Für dessen Rücktritt sehe er "nicht den allergeringsten Grund". Juristisch habe sich Garlichs nichts zuschulden kommen lassen. Viele Vorwürfe stammten "aus sumpfigen Quellen", kritisierte Schlagintweit, der vor dem Amtsantritt von Heide Simonis bereits zwölf Jahre Unicef Deutschland vorstand. Ein Neuanfang mit Garlichs sei "absolut" möglich.
Laut Carmen Creutz, die die gut 120 Unicef-Regionalgruppen im Vorstand vertritt, hat es bei Regionaltreffen von ehrenamtlichen Mitarbeitern vor der Krisensitzung vom Samstag sowohl Forderungen nach dem Rücktritt von Simonis als auch von Garlichs gegeben. Viele Vertreter hätten auch den Rückzug von beiden verlangt. Auch sie sei wie Simonis der Ansicht, dass Unicef transparenter werden müsse, so Creutz. Um das zu erreichen, hätten die Regionalgruppen einen Forderungskatalog aufgestellt. Danach solle unter anderem die Mitgliedschaft im Vorstand zeitlich begrenzt werden. Wie auch ihr Mitvorständler, der Fernsehjournalist Rolf Seelmann-Eggebert, betonte Creutz allerdings, eine Zusammenarbeit mit Simonis sei nicht mehr möglich.
Unterdessen hat Unicef einräumen müssen, die Ergebnisse eines Gutachtens der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG geschönt zu haben. Dass KPMG Fehler auf der betrieblichen Ebene als Unregelmäßigkeiten bezeichnet habe, sei Unicef zu hart erschienen, sagte der Sprecher des Kinderhilfswerks, Rudi Tarneden. "Das eine ist Wirtschaftsprüferdeutsch, das andere normales Deutsch", so Tarneden. "Nun versucht man, mit diesem Wort Politik zu machen." Die Frankfurter Rundschau hatte am Montag ein Schreiben an Unicef von Mitte Januar veröffentlicht, in dem der zuständige KPMG-Abteilungsleiter Dieter John einen "Widerspruch zwischen unseren Feststellungen und der Unicef-Presseerklärung" kritisierte. Unicef hatte als Quintessenz der Sonderuntersuchung geschrieben, es habe keine Unregelmäßigkeiten gegeben: "Die gemachten Vorwürfe sind falsch." Dagegen betonte John: "Die in unserer Zusammenfassung aufgeführten Verstöße sind Unregelmäßigkeiten."
Auch Simonis bekräftigte ihre Kritik. Die festgestellten Mängel seien keine "Peanuts", sagte sie. Unicef sei "ein Unternehmen mit hohem moralischem Anspruch gegen sich selbst und gegen andere". Deshalb brauche das Kinderhilfswerk mehr Transparenz und eine stärkere Einbindung der Mitglieder. Scharfe Kritik an Unicef äußerte Rupert Neudeck vom Hilfswerk Grünhelme. "Man kann die Arbeit bei den Armen nicht vernünftig machen, wenn man für sich selbst den Tarifwohlstand oder sogar deutlich mehr in Anspruch nimmt", sagte Neudeck.
Der ZDF-Fernsehjournalist Steffen Seibert will sich trotz der Querelen weiter für Unicef engagieren. "Meine Arbeit für Unicef ist davon nicht beeinträchtigt", sagte Seibert. Die Kritik an dem Kinderhilfswerk hält er für überzogen: "Da wird ein Skandal vorgegaukelt, der in der Substanz überhaupt nicht besteht." Es habe keine strafrechtlich relevanten Verfehlungen der Unicef-Führung gegeben.
Auch der Schauspieler Dieter Pfaff will Unicef weiter helfen. "Das nicht zu tun wäre Quatsch gegenüber den Kindern in der Welt, für die Unicef kämpft", sagte Pfaff. Die Arbeit der Unicef-Mitarbeiter vor Ort sei hervorragend. "Das sind die wahren Helden unserer Zeit."
Mitarbeit: Lars Gaede
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Rückzug von Marco Wanderwitz
Die Bedrohten
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül