: Krise Christi?
■ Umstrittene Schrift zum katholischen Ereignis des Jahres zeigt das Verhältnis Jesu zu Maria in neuem Licht
Kurz vor Beginn des deutschen Katholikentages sorgte eine psychoanalytische Untersuchung über Jesus Christus für viel Aufruhr in den gläubigen Reihen. In dem Buch Marias Sohn wird der Heiland von dem Psychoanalytiker Michael Ballhorn salopp gesagt - auf die Couch gelegt. Anhand der vier überlieferten Evangelien zeichnet Ballhorn ein staunenmachendes Bild der Christusseele.
Ballhorn mißt den Messias, der ja vor allem als Sohn von sich reden macht, mit der Latte des Ödipus (Sohn begehrt Mutter, fürchtet aber gleichzeitig die Rache des Vaters/Besitzers). Gewöhnlich endet die ödipale Phase mit der nachhaltigen Verdrängung des Inzestwunsches. Bei Jesus hingegen vermutet Ballhorn eine mißlungene Bewältigung des psychischen Konflikts, was unweigerlich zu einer hysterischen Neurosenstruktur geführt habe.
Nüchtern konstatiert Ballhorn, daß Jesus, Maria und Joseph ein typisch ödipales Dreieck bilden, worauf noch die christliche Lehre in der heiligen Dreifaltigkeit verschoben, aber dennoch unmißverständlich hinweise. Ballhorns zentrale These lautet, daß Jesus nie das inzestuöse Begehren Maria gegenüber aufgegeben habe. Konsequent lehnt Jesus alle Beziehungen zum weiblichen Geschlecht ab. Auch die 12 Jünger sind ja alles andere als Frauen. Die interessante Frage, ob es sich dabei um eine latent homosexuelle Gemeinschaft handelt, läßt Ballhorn leider außen vor. Die Beziehung zum Vater Josef war von leidenschaftlicher Konkurrenz um die Mutter geprägt, was den Sohn in größenwahnsinninge Phantasien trieb. Schießlich sei es Jesus zur fixen Idee geworden, Maria zu beweisen, daß er der überlegene Liebhaber sei, um sie so dem Josef auszuspannen. Als prägnantes Beispiel führt Ballhorn die Speisung der Fünftausend an: „Brot ist ein uraltes Fruchtbarkeitssymbol, während Fisch ein ebenso uraltes Phallussymbol darstellt. Auf wundersame Weise vermehrt der Bergprediger die vorhandenen Brote und Fische, um so den Fünftausend Essen zu besorgen. Andersherum: Jesus tut nichts anderes, als es den Fünftausend mit fruchtbaren Phallussymbolen zu besorgen, und was das heißt, darüber gibt der Vulgärjargon freilich hinlänglich Auskunft.“ Fürwahr die Omnipotenz in Person.
Ähnliches zeigt sich auch in berühmt gewordenen Sprüchen. So sagt Jesus einmal: „Ich bin der Weinstock und ihr seid die Reben.“ Das griechische Wort für Reben hat aber noch eine zweite, obszöne Bedeutung und bezeichnet die Hoden. Ballhorn übersetzt demgemäß mit: „Ich bin der Geilstock und ihr seid die Klöten - Jesus will damit sagen: Mit mir kann es keiner aufnehmen.“
Die Tragödie von Jesus besteht darin, daß es kein Ankommen gegen den Vater gibt. Nicht umsonst ist Josef von Beruf Zimmermann, ein Mann also, der den ganzen lieben langen Tag nagelt. Mit der Zeit nimmt der Haß auf Josef, den Besitzer Marias, vollkommen abstruse Formen an. Alle Mittel sind dem verprellten Liebhaber nun recht, Josef aus der Welt zu schaffen. So redet er sich ein, Josef sei gar nicht sein Vater.
Ein ganz anderer, nämlich Gott, habe Maria geschwängert, allerdings ohne sie zu berühren. Maria muß Jungfrau bleiben. Nur so einen „Vater“ mag Jesus noch akzeptieren. Denn dergestalt wäre der Weg frei, Marias Erstbesitzer und -beschläfer zu werden. Ballhorn kommentiert den Vorgang lapidar: „Dies ist der Durchbruch des totalen Relitätsverlustes.“ Weiter heißt es: „Die Unfähigkeit, die Realität der Vaterschaft Josefs anzuerkennen, zwingt den verzweifelten Sohn zur Errichtung eines perfekten Wahngebäudes. Wir haben es hier mal wieder mit einem psychischen Trick zu tun, der die niederschmetternden Erfahrungen der Realität ableugnet.“
Ballhorn untermauert seine aufsehenerregenden Thesen mit faktenreichem Wissen und analytischem Sachverstand. Am Ende steht die faszinierende Erkenntnis, Ödipus habe bei der Stiftung des Christentums Pate gestanden.
Dralle
„Marias Sohn oder Religion als Therapie“ von Michael Ballhorn. Erschienen im Gehlbehn-Verlag, Mannheim 24DM
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