: Kripo ermittelt wegen Verdachts auf Scheinehe
Polizeiliche Einsatzprotokolle beweisen Schnüffelpraxis gegenüber „Mischehen“ / Nach Ermittlungen des Standesamts und Durchleuchtung durch die Ausländerbehörde tritt bei „begründetem Verdacht auf mißbräuchliche Heirat“ die Kripo auf den Plan ■ Aus Göttingen Reimar Paul
Ohne Wissen der Betroffenen ermittelt die Kriminalpolizei gegen Eheleute, die im Verdacht stehen, „nur zum Schein“ geheiratet zu haben. Das bewies am Donnerstag der Göttinger Ausländerbeirat durch die Veröffentlichung polizeilicher Einsatzprotokolle. Bereits seit dem Dezember 1981 sind niedersächsische Standesbeamte angehalten, eine Eheschließung zwischen deutschen und ausländischen Verlobten daraufhin zu überprüfen, ob die Heirat „einem außerhalb des Wesens der Ehe liegenden Zweck (z.B. Aufenthaltserlaubnis)“ dienen soll. Der entsprechende Erlaß des Hannoveraner Innenministeriums nennt als Verdachtsmomente für eine Schein - oder Papierehe u.a. die folgenden Kriterien:
„1. Der ausländische Verlobte ist Asylbewerber ...
2. Der ausländische Verlobte ist Angehöriger eines Entwicklungslandes ...
6. Zwischen dem deutschen und dem ausländischen Verlobten besteht ein außergewöhnlicher Altersunterschied ...“
Gelangt das Standesamt „aufgrund seiner Ermittlungen“ zu der Überzeugung, daß „eine mißbräuchliche Heirat“ beabsichtigt ist, muß es „die Vornahme der Eheschließung ablehnen“. Den Ehepartnern bleibt in diesem Fall nur der Weg vors Amtsgericht. Aber auch nach erfolgter Heirat geht die Durchleuchtung der Intimsphäre weiter. Bevor eine Aufenthaltsgenehmigung erteilt wird, müssen sich die frisch Vermählten einer getrennten Anhörung bei der kommunalen Ausländerbehörde unterziehen. Das Verhör beinhaltet Fragen nach Zeitpunkt und Dauer der Bekanntschaft ebenso wie Nachforschungen über Größe und Einrichtung der gemeinsamen Wohnung, finanzielle Verhältnisse usw. Bestehen immer noch Bedenken, daß mit der Heirat eine Aufenthaltsberechtigung „erschlichen“ werden soll, tritt im Zuge der Amtshilfe die Kripo auf den Plan. Sie soll ermitteln, inwieweit das Zusammenleben der verdächtigen Eheleute normalen, ehelichen Gepflogenheiten entspricht.
Aus einem der jetzt veröffentlichten Einsatzvermerke des 5. Göttinger Kommissariats vom 11.11.1988 geht beispielsweise hervor, wie die Beamten, nachdem ihnen „auf Klingeln und Klopfen nicht geöffnet“ wurde, von einem „Etagenbalkon Einsicht in die Wohnung von Frau (...)“ nahmen. Das Beobachtungsergebnis: „Im Raum ist keine Person aufhältig... An Bekleidungsgegenständen sind lediglich solche zu sehen, die einer Frau zuzuordnen sind.“ Ein anderes Kripo-Papier protokolliert minutiös die Vorgänge im Standesamt bei einer vermuteten Scheinheirat: „Gegen 10.50 Uhr können bei einem Blick durch das Fenster in das Amtszimmer ... insgesamt vier oder fünf Schwarzafrikaner festgestellt werden... Einer der Männer trägt einen Blumenstrauß, Weiße sind in der Gruppe nicht zu sehen.“
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