■ Kriminalstatistik aktiviert Scharfmacher und Weichspüler: Als Gesamtkunstwerk ein Flop
Die alljährlich präsentierte Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) des Bundeskriminalamtes ist die einzige zur Verfügung stehende Datenquelle, um Aussagen zur Kriminalitätslage und -entwicklung zu treffen. Ihre Zahlen liefern das Rohmaterial für die politische Auseinandersetzung um die Innere Sicherheit. Ein Abbild der Wirklichkeit ist sie nicht, eher ein „Segel“, in das der Wind aus sehr unterschiedlichen Richtungen blasen kann. Ein in der PKS registrierter Anstieg oder Rückgang von Straftaten muß nicht bedeuten, daß es tatsächlich Veränderungen gab; sie weisen lediglich auf ein verändertes Anzeigeverhalten der Bevölkerung und aktuelle polizeiliche Schwerpunktsetzungen in der Strafverfolgung hin.
Der Polizei ist dieses Problem durchaus bewußt, und in den Vorbemerkungen zur PKS wird es meist auch eingeräumt – in der öffentlichen Präsentation allerdings findet es keine Erwähnung mehr. Im Gegenteil, die PKS wird rücksichtslos instrumentalisiert, um ein (partei-)politisch besonders willkommenes Thema am Leben zu halten oder den eigenen Kurs in der Innen- und Rechtspolitik zu legitimieren.
Genau so muß es verstanden werden, wenn ein Ministerialer seinem Innenminister plötzlich anhand der PKS vorrechnet, daß es 1996 mit 49 Prozent die höchste Aufklärungsquote seit 1969 gegeben habe – ein klarer Sieg für Kanthers harten Kurs!? Oder wenn die Ausländerbeauftragte seit Jahren im Gegenzug darauf hinweist, daß die gesonderte Ausweisung der sogenannten Ausländerkriminalität in der PKS nicht aussagefähig, dafür politisch aber höchst brisant sei. Verschwiegen wird von ihr dabei wiederum, daß es durchaus einen gewissen Zusammenhang zwischen Zunahme von Armutsmigration und Zunahme von Kaufhausdiebstählen oder Raubdelikten gibt.
Angesichts der interessengeleiteten Interpretation des Zahlenwerks sind selbst viele Experten in den Innenministerien und Polizeiführungen über die PKS- Präsentation nicht mehr sonderlich glücklich: „Als Gesamtkunstwerk ist die Statistik ein Flop“, so die treffende Einschätzung in einem norddeutschen Innenministerium. Mit kritischen Randnotizen ist es jedoch nicht getan. Die Polizeiliche Kriminalstatistik, besser „Polizeiliche Arbeitsstatistik“, ist ein Mittel zur Messung der internen Arbeitsbelastung und -kontrolle, nicht der politischen Auseinandersetzung. Sie gehört aus dem Verkehr gezogen.
Otto Diederichs
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