Kriminalität: Harte Rocker auf Landpartie
Mit der Gründung eines Bandidos-Clubs in Hohen Neuendorf zeigt sich: Brandenburg wird Aktionsfeld krimineller Berliner Motorradclubs.
Sie lieben es martialisch: "Wer hier klaut, stirbt - Bandidos MC Berlin", steht auf dem gelb-roten Aufkleber an der Tür. Was sich allerdings dahinter tut, bleibt verborgen: Schwarze Folien und Planen verhängen die Fenster und Türen des kleinen Geschäftsraums im Brandenburgischen Hohen Neuendorf, unmittelbar an der Grenze zu Reinickendorf.
Erst am vergangenen Donnerstag hat die Berliner Polizei zwei Angehörige der Bandidos festgenommen. Die 48 und 38 Jahre alten Männer sollen im August 2006 zusammen mit fünf bis sechs Komplizen ein Lokal in Wedding überfallen haben.
Dabei wurden nach Angaben der Staatsanwaltschaft Gäste zusammengeschlagen. Auch sollen die Tatverdächtigen Benzin als Brandbeschleuniger bei sich gehabt haben. Offenbar wollten sie den Wirt unter Druck setzen und das Lokal übernehmen. Gegen die Männer wird wegen gefährlicher Körperverletzung und versuchter Brandstiftung ermittelt.
Ursprünglich war die Festnahme schon für Mittwoch geplant. Offenbar wurde eine anberaumte Razzia aber im Vorfeld verraten. Nach Polizeiangaben wurde eine interne Prüfung des Vorfalls eingeleitet. Ermittelt werde gegen Unbekannt wegen des Verdachts auf Verrat von Dienstgeheimnissen.
Die Motorradrocker sind keineswegs ein Stadtrandphänomen. Erst am Donnerstag kontrollierte die Polizei 45 Rocker - am Hackeschen Markt. Laut Augenzeugen gehörten sie dem Gremium "MC Chapter Berlin" an. DDP, TAZ
Direkt an der Bundesstraße nach Berlin liegt der Laden inmitten einer kleinen Laden- und Wohnzeile. Hinter den dunklen Planen ziehen sich rote Gitter vom Boden bis zur Decke, über der Tür blinkt eine Kamera. Wer so haust, pflegt ein ausgeprägtes Sicherheitsbedürfnis. Nicht ohne Grund: Denn die neuen Mieter haben keineswegs nur Freunde. Es sind die Bandidos, ein berüchtigter Motorradclub, der hier sein neues "Clubhaus" einrichten möchte.
"Die sind schon fleißig am Ausbauen", bestätigt ein Ermittler des Berliner Landeskriminalamts (LKA). Seit Ende des vergangenen Jahres seien die Biker dabei, den zuvor leer stehenden Geschäftsraum zu ihrem Clubhaus umzubauen. Mit weitreichenden Folgen: Denn mit dem Hohen Neuendorfer Ableger etablieren die Bandidos bereits ihr viertes "Chapter", die höchste Organisationsstufe der Rocker, in Brandenburg.
Das dürfte den seit Jahren schwelenden Konflikt der Bandidos mit den rivalisierenden "Hells Angels" weiter anheizen. Beide Rockergruppen sehen Brandenburg als wichtiges Einfallstor nach Ostdeutschland. Die Polizei sieht die Entwicklung mit Sorge: Man stelle ständige Bemühungen der Motorradclubs fest, in Brandenburg ihren Einflussbereich auszuweiten, berichtet Toralf Reinhardt, Sprecher des Brandenburger Landeskriminalamts.
Seit 1999 gibt es einen Ableger der ursprünglich aus den USA stammenden Bandidos in Berlin. Heute haben sich drei Bandidos-Chapter in der Hauptstadt etabliert: "Berlin", "Eastgate" und "Centro". In Brandenburg existierten bisher mit den Gruppierungen in Perleberg, Lauchhammer und Cottbus ebenfalls drei Sektionen. Hier sind es aber vor allem "Supporter-Clubs", niedriger gestellte Unterstützergruppen, die für die großen Chapter in Berlin agieren.
In einem gemeinsamen Kriminalitätslagebild der Berliner und Brandenburger LKAs konstatieren die Ermittler, dass "faktisch alle stark expandierenden Rockerclubs in den benachbarten Bundesländern unter Berliner Führung stehen". Und das mit steigendem Erfolg: Seit 2003 habe sich die Mitgliederzahl der Rocker in der Region auf heute etwa 400 verdoppelt. "Diese wachsende Tendenz ist weiter gegeben", heißt es aus LKA-Kreisen. Ein Verdienst, der vor allem auf den Mobilisierungserfolgen der Rocker in Brandenburg beruht. "Die Supporter-Clubs schießen in Brandenburg wie Pilze aus dem Boden", stöhnt ein Ermittler.
Doch während für einige Lederkuttenträger die Motorradclubs nur ein Freizeitvergnügen darstellen, zeigen andere Mitglieder einen deutlichen Hang zum Kriminellen. Die Berliner Polizei rechnet die Biker der organisierten Kriminalität zu. Immer wieder hat es bei Razzien gegen Klubhäuser und Mitglieder der Bandidos Waffenfunde gegeben. Die Rocker werden mit Drogen- und Waffenhandel sowie Türsteher- und Prostitutionsgeschäften in Verbindung gebracht.
Damit stehen die Bandidos in direkter Konkurrenz zu den verfeindeten "Hells Angels", die in Berlin mit zwei Gruppen vertreten sind. Der Kampf zwischen den Banden um die Bewachung von Clubs und deren Versorgung mit Rauschgift wird immer wieder mit Schlägereien und Messerstechereien ausgetragen. Im November 2006 verhinderte die Polizei mit einem Großeinsatz das Aufeinandertreffen von Bandidos und Hells Angels in Cottbus und nahm 130 Rocker in Gewahrsam. Im vergangenen Mai kam es zu einem ersten Todesfall in der blutigen Auseinandersetzung, als im nordrhein-westfälischen Ibbenbüren mutmaßlich Bandidos einen Hells Angel erschossen. Man müsse auch für Berlin und Brandenburg feststellen, so der LKA-Kriminalitätslagebericht, dass sich "Angehörige von Hells Angels und Bandidos zunehmend auf gewalttätige Auseinandersetzungen vorbereiten und auch vor der Anwendung von Schusswaffen nicht zurückschrecken beziehungsweise das Ableben ihrer Opfer billigend in Kauf nehmen."
Die Chapter-Gründung der Bandidos in Hohen Neuendorf dürfte nicht zur Befriedung der Lage beitragen. "Mit dem neuen Sitz in Oberhavel wird natürlich auch ein Gebietsanspruch nach außen vertreten", so ein Ermittler. Das Hohen Neuendorfer Chapter ist eine Abspaltung der Berliner Centro-Gruppe. Die im Kern sechs Mitglieder wollen nach LKA-Informationen künftig unter dem Namen "El Este" (der Osten) firmieren. Hohen Neuendorf werde dabei als gedankliche Verlängerung des Berliner Nordostens verstanden, den die Bandidos für sich beanspruchen.
Der Miteigentümer des an die Bandidos vermieteten Ladens zeigte sich wenig erfreut: Er habe nichts von der Rockerzugehörigkeit seines Mieters gewusst. "Da stehen mir alle Nackenhaare hoch, wenn ich das höre", so Jan Christeinicke. Es sei lediglich die Rede von einer privaten Nutzung des Geschäfts als Billardraum gewesen.
Tatsächlich seien ein Flippertisch und ein großer Flatscreen-Fernseher ins Gebäude getragen worden, berichten Anwohner. Schon länger habe man über die neuen Gäste gerätselt, die meist nur abends und an Wochenenden aufgetaucht seien. Junge, "bullige" Männer, "vielleicht Anfang dreißig" hätten in dem Laden gewerkelt, schwarze Autos mit Berliner Kennzeichen vor der Tür gestanden. "Jedenfalls haben die Geld", raunt eine Nachbarin.
Bei den Bandidos selbst will man sich nicht zu den Expansionsplänen äußern. Die Polizei sieht die Bestrebungen umso kritischer - ist aber vielleicht nicht ganz unschuldig an den aktuellen Erfolgen der Rocker. Immer wieder kommt es zu Ungereimtheiten im Umgang mit den Motorradclubs. Eine für den vergangenen Mittwoch geplante Großrazzia mit 130 Beamten im Weddinger Clubhaus der Berliner Bandidos musste kurzfristig abgebrochen werden - offenbar waren die Rocker vorab über die Durchsuchung informiert worden. Es wurde ein Ermittlungsverfahren wegen des Verrats von Dienstgeheimnissen eingeleitet.
In Brandenburg stehen die Biker dagegen nicht einmal unter Beobachtung, wie LKA-Sprecher Toralf Reinhardt bestätigt. Begangene Straftaten würden erst nachträglich dem Rockermilieu zugeordnet und ausgewertet. Weil in der Hauptstadt regelmäßig Razzien gegen die Motorradclubs durchgeführt und größere Zusammenkünfte verhindert werden, treffen sich die Banden zunehmend in Brandenburg. Bei einem der größten Zusammentreffen hatten sich im Oktober 2006 im südbrandenburgischen Lauchhammer über 1.000 Bandidos versammelt.
Auch die Hells Angels versuchen ihren Einfluss in der Mark geltend zu machen: In Cottbus kam es in den letzten Jahren immer wieder zu Zusammenstößen zwischen beiden Clubs. Im vergangenen Sommer lieferten sich die Rivalen dort Messerstechereien, bei denen auch Schusswaffen zum Einsatz kamen.
Durch das neue Chapter in Hohen Neuendorf könne es nun auch in Nordbrandenburg zu "Dissonanzen mit den Hells Angels" kommen, spekulieren Berliner Ermittler. Auch Brandenburgs Polizeisprecher Rudi Sonntag räumt eine allgemeine Verlagerung der Aktivitäten der Rockerszene von Berlin nach Brandenburg ein. Man wolle daher in Zusammenarbeit mit den Berliner Behörden an neuen Strategien arbeiten. "Wir befinden uns in einem Prozess der Neubewertung der Lage", so Sonntag. Beim Berliner LKA spricht man von einer Null-Toleranz-Regel: "Wir werden die kleinste gesetzliche Überschreitung ahnden. Und sei es nur, dass eine Motorradkolonne geschlossen über eine rote Ampel fährt."
In Hohen Neuendorf wird derweil bereits mit Sorge auf die neuen Gäste geblickt. Andere sehen die Ansiedlung dagegen pragmatisch. In seinen Laden sei bereits mehrfach eingebrochen worden, berichtet ein Geschäftsinhaber in Nachbarschaft zum neuen Bandidos-Domizil. Nun hätten die Jungs versprochen, ein Auge auf seinen Laden zu werfen. Der Mann zieht die Schultern hoch: "Da kann man nichts gegen sagen."
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