Kriminalbiologe über Parawissenschaften: "Vampire haben meine Sympathie"
"Warum blieb die Uhr stehen, als Opa starb?" Unter diesem Motto erforscht ein Kongress Ende der Woche das Übersinnliche. Kriminalbiologe Mark Benecke ist einer der Experten.
taz: Herr Benecke, beim Kongress der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Erforschung von Parawissenschaften (GWUP) werden Sie einen Vortrag zur "Spontanen menschlichen Selbstentzündung" (SHC) halten. Dabei sollen Menschen ganz plötzlich von innen heraus verbrennen und nur die äußeren Gliedmaßen übrig bleiben. Wie erforschen Sie so etwas?
Mark Benecke: Früher konnten wir keine Fälle direkt angucken, sondern unsere Informationen nur aus der Literatur und den Polizeiakten rausziehen. Dann haben die Leute angefangen, mir zu schreiben und mich auf Fälle hinzuweisen, schließlich konnten wir sogar eine Frau in Belgien besuchen, die eine solche "Selbstentzündung" überlebt hatte. Darüber werde ich auch meinen Vortrag halten.
Normalerweise glaube ich Zeugen zwar nichts, dort war aber die eigene Familie dabei, dazu ein ganz unbeteiligter Mensch und die Leute im Krankenhaus, daran gibt es also nichts zu rütteln. Auch durch die Presse ging es nicht. Das Ganze ist vor zirka vier Jahren geschehen, und wir haben bis jetzt an der Aufklärung gearbeitet. Wir haben in den letzten Jahren auch neue Zündquellen für diese Fälle gefunden, beispielsweise aus Brandbomben des Zweiten Weltkriegs.
Mark Benecke geboren 1970, ist einer der bekanntesten Forensiker Deutschlands und als Kommentator von Kriminalfällen und Autor auch durch Print, Funk und Fernsehen bekannt. Er ist Mitglied der GWUP, der "Gesellschaft zur wissenschaftlichen Erforschung von Parawissenschaften", die u.a. das Magazin "Der Skeptiker" herausbringt und Kongresse abhält, der nächste vom 21. bis 23. Mai in Hamburg.
Nach einer Idee des Bühnenzauberers James Randi führt die GWUP Versuche zur Aufklärung durch - wenn jemand unter objektiven Bedingungen paranormale Fähigkeiten beweist, bekommt er eine Million Dollar auf die Hand. Das hat noch niemand geschafft.
Wenn man sich für "SHC" oder andere mysteriöse Geschichten interessiert, braucht man nur im Internet zu schauen, dort findet man wissenschaftliche Aufklärung. Wieso glauben trotzdem so viele Menschen an solchen Quark?
Das war schon immer so. Bei der SHC hat der Chemiker Justus von Liebig schon 1850 ein Experiment gemacht, das bewies, dass diese Selbstentzündung gar nicht "von innen heraus" stattfinden kann. Aber bei paranormalen Sachen sagen die Menschen immer: "Das ist etwas anderes." Das nennen wir Immunisierung.
Den Effekt kennt man aus dem Alltag: Eine Freundin sucht sich einen idiotischen Typen aus. Dann kann man ihr vorhalten: Ganz objektiv - der Typ war im Knast, der hat seine Freundinnen regelmäßig geschlagen, der lügt, der schneidet sich nicht die Fußnägel … Aber sie wird antworten: Nein, der bessert sich gerade, das merke ich auch schon … Immunisierung gegen Tatsachen eben.
Die Paranormalgläubigen machen das immer so, wenn etwas widerlegt ist, gehen sie einen Schritt zurück und legen eine neue Theorie drauf. Aber der Grund dafür, dass Menschen überhaupt an Übersinnliches glauben, ist: weil es einfacher ist. Bis du den Grund für eine Sache weißt, musst du erst mal etwas verstanden haben, etwa wie Verbrennungen chemisch funktionieren. Für die meisten Menschen ist es leichter, eine Art Glaubenssystem zu nutzen, als sich darüber Gedanken zu machen, wie die Welt sonst funktioniert.
Ich finde es viel anstrengender, diese vagen Dinge zu glauben, als etwas zu glauben, das bewiesen wurde.
Sind Sie in Berlin-Brandenburg aufgewachsen? In dieser Region zum Beispiel sind Glaubenssysteme nicht so fest verwurzelt, es gibt nicht überall diesen klerikalen oder religiösen Unterton.
Südosteuropa dagegen war früher viel mehr abgekoppelt vom Rest der Welt als Teile Deutschlands. Darum haben die Menschen sich dort eben ihre eigenen Erklärungen gemacht. Wie die Kinder es heute immer noch tun, wenn sie denken: Wenn ich mich unter der Bettdecke verstecke, kann der Geist mich nicht sehen.
Wird der Glaube, egal ob konfessionelle Kirchen oder Übersinnliches, nicht auch dann immer besonders stark, wenn es den Leuten schlecht geht? So wie beim Prinzip des Jüngsten Gerichts: Man wird später dafür gerächt, dass einem Unrecht geschah …
Stimmt. Aber diesen Esotrend gibt es schon lange und ist ein Unikat: Deutschland ist das einzige Land, in dem Homöopathie so stark ist. Dieser Trend mit dem Spirituellen, Esoterischen stammt noch aus den 20ern, wurde von den Nazis dann teilweise gefördert, brach in den 50ern und 60ern ein wenig zusammen, und spätestens mit den Hippies kam das wieder. Man wollte wieder eine Alternative zum Gegebenen haben.
Grundsätzlich sind aber alle monotheistischen Religionen Erlöserreligionen, Judentum, Christentum, Muslime … Den Leuten geht es eben überall relativ schlecht, oder sie empfinden das so.
Dann müssten aber doch unter reichen Menschen oder beim Adel besonders viele Atheisten zu finden sein …
Nein, die benutzen das als Machtmittel. Die glauben da auch nicht ernsthaft dran. Je höher man in den Strukturen guckt, desto stärker wird das als Machtpotenzial genutzt. Es gibt kein Land außer Deutschland, in dem der Staat die Kirchensteuer erhebt. Diese historisch merkwürdige kirchliche Verflechtung mit dem Staat hier widerspricht jeder Logik einer modernen westlichen Welt.
Natürlich ist Religion nicht nur, aber auch ein Unterdrückungsmittel. Für die Armen, Schwachen bedeutet sie, dass sie später emporgehoben oder eben "erlöst" werden, aber bis dahin müssen sie noch malochen. Da hat man wieder das Element der Ausbeutung.
Ist das für Sie als Skeptiker ein Grund, das Gespräch abzubrechen, wenn Sie jemand nach Ihrem Sternzeichen fragt? Oder können Sie das wissenschaftlich-empirisch lockersehen?
Bei mir in der Nähe ist eine Pizzeria, und den sternzeichengläubigen Besitzern höre ich durchaus zu, weil man etwas lernen kann: Erstens glauben die an Erlösung, sind also belohnungsmotiviert. Zweitens kann es sein, dass Menschen von einer politischen Entwicklung enttäuscht sind und sich darum dem Glauben zuwenden. Und drittens haben sie ja vielleicht wirklich etwas Interessantes gelesen. Gunter Sachs hat mal in einem Buch scheinbar bewiesen, dass Sternzeichen tatsächlich einen Einfluss auf das Leben haben.
Das Irre ist: Auch als Naturwissenschaftler kann man zuerst nicht erkennen, wo der Fehler ist. Er weist mit soliden statistischen Methoden ohne selektive Wahrnehmung nach, dass Sternzeichen den Charakter beeinflussen. Das wurde sehr kompliziert zu beweisen, dass da doch Fehler in der Statistik sind, Mathematiker haben das gemacht.
Da wird es aber erst interessant, das ist wie bei Kriminalfällen. Man muss üben, kriminalistisch und ganz vorurteilsfrei zu denken. Es geht oft um Methoden. Ich hab bei den Skeptikern mal diesen Film analysiert, in dem angeblich ein Alien seziert wird, und zwar unter der Prämisse: Wie weist man nach, dass der Film ein Fake ist, und nicht: Es gibt keine Aliens. Denn ob es Aliens gibt, weiß ich nicht, das ist ja völlig unprüfbar.
Wie stehen Sie zu der Subkultur, die sich als Vampire bezeichnet?
Die haben meine Sympathie. Diese Subkultur habe ich mir angeguckt, weil ich die irgendwie mag, die hören die gleiche Musik wie ich. Ich habe mal deren ganze Szenenaufsplitterung rausgearbeitet: Es gibt ja diese "Blut-Vampire", blood play, also Spiele mit Blut, die sogenannten Psychic Vampyres, die Energie von anderen Menschen "aussaugen", dann die romantischen Vampire und die, die sich für Vampirfilme interessieren.
Da braucht man aber eine neue Definition von Vampirismus: nicht mehr nur Blut saugen und untot sein …
Ja, da gibt es wilde Fälle. Bei der Bild-Zeitung hat mal einer angerufen und behauptet, er könne relativ viel Blut trinken. Und die haben mich dann gebeten, das nachzuprüfen. Nach einem Fingerhut Blut wird einem normalerweise schlecht. Der Typ hatte sich aber einfach da reingesteigert, hatte sich ein bisschen dran gewöhnt und konnte vielleicht eine halbe Tasse trinken. Das sind aber die absoluten Ausnahmen.
Was kann die GWUP beim Kongress gegen den ganzen Humbug machen?
Donnerstag ist Publikumstag, da werden Themen verhandelt, die jeden interessieren. Da können Skeptiker, aber auch Esoteriker kommen. Der zweite Teil der Konferenz ist spezieller, da geht es dann etwa um die richtigen Tests, um nachzuweisen, dass kein Mensch Strahlen vom Handy oder einem Kristall wahrnehmen kann. Immerhin gibt es ja diesen "One million dollar paranormal challenge", aber noch niemand ist mit der Million nach Hause gegangen.
Wenn Leute Yoga machen und sagen, ich spüre, dass mein Körper eine Änderung erfährt, dass ich Energien empfange - darüber schimpfe ich nicht. Solange man nur für sich selbst spricht, ist das in Ordnung. Die Probleme fangen ja erst an, wenn Leute andere beeinflussen oder Geld aus der Tasche ziehen wollen, diese alternativen pseudoreligiösen Glaubenssysteme, das nervt!
Ich bin da im Ganzen recht liberal. Ist mir auch egal, ob Kinder an den Weihnachtsmann glauben. Sollen sie doch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Bisheriger Ost-Beauftragter
Marco Wanderwitz zieht sich aus Politik zurück