Kriegsdienstverweigerer in Deutschland: Einmal Bund, immer Bund
Offiziere dürfen den Kriegsdienst verweigern. Doch wollen sie die Truppe verlassen, führen sie einen fast aussichtslosen Kampf gegen die Behörden.
Kaiser hat nicht irgendeinen Beruf: Er ist Offizier, sein Arbeitgeber ist die Bundeswehr – und die will ihn nicht gehen lassen. Sein Antrag auf Kriegsdienstverweigerung wurde abgelehnt. Wie Kaiser geht es vielen Soldaten. Sie wollen die Armee verlassen, dürfen aber nicht.
Seit die Wehrpflicht 2011 ausgesetzt wurde, ist die Bundeswehr de facto eine Berufsarmee: Der Anteil der hauptberuflichen und Zeitsoldaten stieg von rund 75 Prozent auf über 90 Prozent. Junge Männer müssen nicht mehr verweigern, um dem „Bund“ zu entgehen. Heute stellen nur Soldaten, die die Armee vorzeitig verlassen wollen, Antrag auf Verweigerung. Und deren Zahl schnellt in die Höhe.
Besonders in den Führungsetagen kehren mehr und mehr dem Bund den Rücken: 2003 wollten neun Offiziere und Unteroffiziere gehen – 2012 waren es 327. Das geht aus einer kleinen Anfrage von Abgeordneten der Linkspartei und der Grünen aus dem vergangenen Jahr hervor. Lange wurde die meisten Militärmüden einfach durchgewunken – doch je mehr Anträge gestellt werden, desto höher steigt die Zahl der Ablehnungen.
Verweigern wird immer schwerer. Das bekommt auch Wehrrechtsanwalt Gerhard Meyer zu spüren. In mehr als zehn Jahren Berufserfahrung vertrat er etwa 200 Soldaten. „Wenn man eine Ausbildung bei der Bundeswehr bekommen hat, ist eine Verweigerung mittlerweile fast unmöglich“, sagt er.
Zweifel kamen schon zu Beginn
Nach der Schule, mit 18 Jahren, erschien Josef Kaiser im Kreiswehrersatzamt zur Musterung. Der Karriereberater der Bundeswehr machte ihm die Offizierslaufbahn schmackhaft: ein sicherer Job, kostenloses Studium und dabei schon Geld verdienen. Außerdem glaubte Kaiser damals, durch seine Arbeit bei der Bundeswehr „seinen Beitrag zu Stabilität und Frieden“ zu leisten, wie er heute sagt.
Rechtslage: Auch aktive Soldaten haben laut Grundgesetz das Recht, den Kriegsdienst zu verweigern. Dazu müssen sie einen Lebenslauf und eine ausführliche Begründung einreichen.
Kriterien: Anerkannt werden Verweigerer, wenn ein Gewissenskonflikt vorliegt, der den Dienst an der Waffe verbietet. Das ist laut Bundesverwaltungsgerichts (1985) der Fall, wenn das Töten von Menschen „nur aus dem an den Kategorien von ’Gut‘ und ’Böse‘ orientierten Grundverständnis“ missbilligt wird.
Behörde: Das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (früher: Bundesamt für den Zivildienst) gehört zum Bundesfamilienministerium und ist nicht nur für verweigernde Soldaten, sondern auch für den Bundesfreiwilligendienst zuständig.
Ablauf: Es gilt das „4-Augen-Prinzip“: Ein Sachbearbeiter bespricht die Begründung mit einem Juristen. Lehnen diese die Verweigerung ab, kann Widerspruch eingelegt werden. Das kann zu einer mündlichen Anhörung führen. Ergeht dort ebenfalls ein negativer Bescheid, besteht die Möglichkeit, auf Anerkennung klagen. Wird diese Klage abgewiesen, muss der Soldat weiter bei der Bundeswehr bleiben. (fot)
Wie alle Offiziersanwärter lernt Kaiser in sechs Monaten Grundausbildung Marschieren und Schießen. Es folgen neun Monate Offizierslehrgänge. Schließlich spendiert die Bundeswehr ihrer zukünftigen Führungsmannschaft ein Studium an einer ihrer zwei Universitäten in München und Hamburg.
Kaiser macht seinen Master in Elektroinformationstechnik in Regelstudienzeit – die ist kurz, in vier Jahren muss der Abschluss her. Doch noch während des Studiums schlichen sich Zweifel ein. In seiner Verweigerung schrieb Kaiser von derben Kameraden, die „scharf darauf sind, auf einen Menschen zu schießen“.
Zudem brachte eine Krankheit seines Vaters ihn dazu, über den Tod nachzudenken. Für ein paar Semester studierte er in China. Seitdem besteht die Welt für ihn „nicht mehr nur aus Schwarz und Weiß“. Die Bundeswehr habe er zunehmend als zu „bipolar“ empfunden.
Noch bevor Kaiser mit einem Master in der Tasche zurück zur Truppe musste, fasste er den Entschluss zu verweigern. Im September 2013 schickte er sechs eng bedruckte Seiten an das Bundesamt für zivilgesellschaftliche Aufgaben in Köln, das für Verweigerungen von Soldaten zuständig ist (siehe Kasten).
Die Bundeswehr hat ein Interesse daran, junge Offiziere wie Josef Kaiser zu halten. Schließlich hat sie viel in die Ausbildung der Rekruten investiert. Viele Studiengänge, besonders die technischen, sind renommiert – und die Rekruten wurden darüber aufgeklärt, was die Verpflichtung bedeutet, die sie unterschrieben haben.
Der Bund braucht Nachwuchs
Zudem braucht die Armee jetzt, wo der nicht mehr automatisch in die Kasernen gespült wird, mehr denn je qualifizierten Nachwuchs. Untersuchungen gehen davon aus, dass rund 13 Prozent der Offiziersposten unbesetzt sind. Verweigerungen fast fertig ausgebildeter Rekruten sind das Letzte, was der Bund in dieser Situation braucht.
Um Interessenkonflikte zu vermeiden, laufen Verweigerungen über das Kölner Bundesamt für zivilgesellschaftliche Aufgaben, eine Unterstelle des Familienministeriums. Dort kümmern sich sechs Sachbearbeiter um die Verweigerungsanträge. Doch wie unabhängig ist das Amt tatsächlich von der Bundeswehr?
Zumindest eine Parallele ist deutlich: Mit Beginn der Bundeswehrreform und den steigenden Verweigerungen stiegen auch die Ablehnungen. 2008 verweigerten 19 Offiziere, 14 schieden dadurch vom Dienst aus. Im Jahr darauf kamen sogar alle 13 Antragsteller durch. Das änderte sich mit der Reform: 2012 wurden fast ein Drittel der Anträge abgelehnt. Die betroffenen Soldaten müssen weiter für die Bundeswehr arbeiten.
„Sie sind nicht berechtigt, den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern“, schrieb das Bundesamt im Dezember 2013 auch Josef Kaiser. Und: „In Ihrem Fall bestehen Zweifel an der Wahrheit der Angaben.“ Er legte Widerspruch gegen die Ablehnung ein – erfolglos. Pfuscht die Bundeswehr dem Amt ins Handwerk?
Nein, beteuert die Bundesregierung als Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Linkspartei. Bei Treffen zwischen Verteidigungsministerium und Bundesamt „wurde lediglich die Verfahrensweise des Bundesamtes erläutert“. Auf Anfrage der taz dementieren sowohl das Ministerium als auch die Bundeswehr, Einfluss genommen zu haben. Das Bundesamt für zivile Aufgaben teilt schriftlich mit, keine Vorgaben erhalten zu haben.
Trotzdem scheint der Kontakt zwischen der Behörde und der Armee enger zu sein als oft beteuert. So komme es vor, dass die Vorgesetzten eines Verweigerers über den aktuellen Stand schneller Bescheid wissen als der Verweigerer selbst, so Wehrrechtsanwalt Meyer: „Ich bin immer wieder überrascht, wie gut die Kommunikationskanäle zwischen den beiden sind.“
Josef Kaiser klagt jetzt vor dem Verwaltungsgericht Kassel, damit er als als Kriegsdienstverweigerer anerkannt wird. Zur Verhandlung wird es vermutlich im Herbst kommen. Wie er streiten aktuell 66 Soldaten mit dem Bundesamt vor Gericht über ihre Verweigerung.
Der schleppende Prozess hat Kaiser zugesetzt. Die Bundeswehr, die ihm weiter sein volles Gehalt zahlt, schob ihn aufs Abstellgleis, auf einen der wenigen Jobs, der nicht mittelbar mit Waffen zu tun hat: „Konferenzraum aufschließen, Protokolle schreiben, Telefondienst.“ Die stupide Arbeit hat ihn inzwischen krank gemacht, ein Arzt attestierte ihm eine Depression, aktuell ist Kaiser krankgeschrieben.
Sven Pape hat geklagt und verloren. Ähnlich wie Kaiser studierte auch er bei der Bundeswehr, verweigerte gegen Ende seines Masters, wurde abgelehnt – und klagte. Seinen Prozess verlor er letzten Sommer in Hamburg. „Die wollen ein Exempel an uns statuieren“, glaubt er. Die Bundeswehr habe ein Interesse daran, dass die Verweigerung unter den Offizieren als aussichtslos gilt, damit so viele wie möglich es gar nicht erst versuchen.
Ausweg Dienstunfähigkeit
Pape ist einer von wenigen Verweigerern, die offen über ihren Fall reden: Auf seinem Blog http://muffinm4n.wordpress.com schreibt er, warum er unbedingt die Armee verlassen will – und was er im Streit mit den Behörden erlebte. Auch an Pape nagte die Situation, machte ihn depressiv – wie Kaiser kann er seit langem nicht mehr arbeiten. Seine letzte Perspektive: Entlassung als dienstunfähig.
Inzwischen beschäftigt auch die Bundeswehr die gestiegene Zahl der Verweigerer. Offiziell gibt es dazu keine Stellungnahmen. Doch aus Bundeswehrkreisen heißt es, es werde vor allem über den Aufbau der Offiziersausbildung nachgedacht.
Nach sechs Monaten Grundausbildung sind die meisten Anwärter bis zum Ende ihres Hochschulstudiums nicht mehr in der Truppe. Wenn sie anschließend merken, dass das Militär nicht das Richtige für sie ist, haben sie ihre Ausbildung bereits genossen, für eine Verweigerung ist es meistens zu spät.
Davon profitieren weder Bundeswehr, die teure, unmotivierte Quittierer weiter durchziehen muss, noch die Offiziere, die zu einem Job gezwungen werden, den sie nicht machen wollen. Vielmehr treibt der jetzige Zustand manche Verweigerer zu radikalen Schritten.
Weil sich tatsächlich herumgesprochen hat, wie schwer die Bundeswehr es potenziellen Aussteigern macht, zog Philipp Zimmermann* die letzte Konsequenz – und verpatzte absichtlich seine Unilaufbahn. „Ich bin nicht mehr zu meinen Prüfungen gegangen, hab das Studium nicht bestanden, dann schmeißen sie einen von alleine raus“, sagt er. Zum Abschied gab es das reguläre Ausscheidergeld. Und: anders als die normalen Verweigerer muss er die Kosten für seine Ausbildung nicht zurückzahlen. Die kann immerhin je nach Studiendauer zwischen 10.000 und 50.000 Euro kosten.
Tausende Euros, die Josef Kaiser nicht hat, die er trotzdem jederzeit zahlen würde. „Natürlich verstehe ich die Bundeswehr, die haben in mich investiert und wollen mich nicht leichtfertig verlieren. Aber ich kann mein Gewissen nicht ausschalten“, sagt Kaiser. Ja, es sei ein Fehler gewesen, erst so spät zum Ende seines Studiums seine Verweigerung einzureichen. Er sagt, er sei bereit, seinen Dienst abzuarbeiten – aber eben nicht in der Bundeswehr.
* Name geändert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen