: Krieg in Kurdistan nähert sich Berlin
■ Demonstration am Samstag für die Unabhängigkeit Kurdistans/ In Berlin wächst die Feindseligkeit zwischen Türken und Kurden/ Anschlag auf Bank
Berlin. Die Überfälle der türkischen Armee auf Kurdensiedlungen beschäftigen mehr und mehr auch die Berliner. Am Samstag demonstrierten rund 1.000 Deutsche, Kurden und Türken, darunter viele Autonome und Maoisten, auf dem Kudamm für die Unabhängigkeit Kurdistans. Auf Transparenten forderten sie keine weiteren deutschen Waffenlieferungen an die Türkei sowie einen Abschiebestopp in die Bürgerkriegsregion.
Die Meldungen von erneuten militärischen Angriffen der türkischen Armee haben am Wochenende die angespannte Stimmung zwischen den rund 40.000 Kurden und 120.000 Türken in Berlin weiter aufgeheizt. »Der Krieg schwappt über«, meinte ein Sprecher des kurdischen Kulturzentrums BOTAN, das am Samstag im »Haus am Köllnischen Park« mit über 1.000 Teilnehmern das Neujahrsfest Newroz beging. Ein kurdischer AEG-Fließbandarbeiter berichtete dort, daß ihn türkische Arbeitskollegen mehrfach als »kurdisches Schwein« und »Terroristen« beschimpft hätten. »Die Türken in unserer Klasse ärgern uns jetzt«, sagten die Weddinger Gesamtschüler Mustafa (15) und Ahmet (14). Der Student Gökhan Asa warf den türkischen Massenmedien vor, durch einseitige Berichterstattung und Leugnen der Massaker an der kurdischen Zivilbevölkerung zur Eskalation beizutragen. Allerdings habe es auch früher schon Spannungen gegeben. Noch vor einem Jahr habe sich das türkische Konsulat geweigert, den kurdischen Vornamen eines Kindes in den Paß der Eltern einzutragen. Aus Angst vor Repression und Ausgrenzung verleugnen viele Kurden ihre Identität.
Im Gegenzug fühlen sich Berliner Türken von den Angriffen auf türkische Banken, die aus dem Umfeld der kurdischen Befreiungsorganisation PKK kommen, persönlich bedroht. In der Nacht zum Samstag wurde in der Kreuzberger Adalbertstraße zum dritten Mal eine Filiale der Pamuk- Bank überfallen. Nach Polizeiangaben hatten rund 20 kurdische Jugendliche auf der Straße Barrikaden errichtet und die anrückenden Beamten mit Steinen und Molotowcocktails beworfen. »Warum soll ich mich für Kurden einsetzen, wenn die unsere Geschäfte kaputtmachen und zum Boykott aufrufen?« empört sich der türkische Lebensmittelhänder Süleymann Yüksel aus der Hermannstraße. Der Döner-Verkäufer im benachbarten Imbiß findet es »richtig, daß diese Terroristen erschossen werden«. Zwar war das Wort »Kurde« für viele konservative Türken schon immer ein rotes Tuch, doch scheinen sie nun mit ihren Gedanken nicht mehr hinter dem Berg zu halten.
Bei der Merhzahl der Kurden steigt damit wiederum die Bereitschaft, Anschläge auf türkische Einrichtungen zu verteidigen. »Einerseits ist Gewalt niemals richtig, andererseits soll der türkische Staat wissen, daß wir den Krieg nicht hinnehmen«, meinte ein Mitglied der »Union der patriotischen Intelektuellen Kurdistans«. »Wenn meine Schwester in Kurdistan getötet wird, werde auch ich Angriffe machen«, pflichtet ihm der Arbeiter Yrnuk bei. Insgesamt scheinen unter den Berliner Kurden Berührungsängste zur PKK abzunehmen. Dem Vernehmen nach ist jedoch ein Bündnis von »revolutionären« und »reformerischen« Kurdengruppen nicht zu erwarten.
Um den Teufelskreis der Eskalation zu durchbrechen, setzen sowohl Kurden als auch Türken auf das Engagement der Deutschen. Während organisierte Kurden jedoch ausbleibenden Protest der links-alternativen Szene gegen die türkische Regierung beklagen, schimpfen viele Türken auf die »deutsche Kurdenparteilichkeit«, die sie mit Türkenfeindlichkeit gleichsetzen. »Genscher ist nicht unser Mann«, meint der türkische Kaufmann Murat Ozhan, der am liebsten eine Demo gegen den Außenminister organisieren würde. Unterdessen geben sich immer mehr kurdische Jugendliche, für die ihre nationale Herkunft bislang kaum eine Rolle spielte, als Kurden zu erkennen. Micha Schulze
Für heute abend ruft ein Bündnis von Kurdengruppen, AL, PDS und Bündnis 90 zur einer »Großdemo gegen das Massaker in Kurdistan« auf. Beginn ist um 18 Uhr am Adenauerplatz.
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