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Kreuzüber mit Bierflasche

■ Im „Moments“ zeigten „Tortoise“ und „The Sea And Cake“, was „Bonanza“ und die Südsee verbindet

Selig ist, wer in mehreren Bands spielt, denn der kann auf Tournee Vor- und Nachgruppe zugleich stellen. Der Multiinstrumentalist John McEntire könnte ein ganzes Festival mit vier Bands veranstalten, ohne zwischendurch die Bühne zu verlassen, denn in mindestens so vielen Bands spielt er mit. Mit den zwei bekanntesten gastierte er am Ostermontag im „Moments“.

Als „The Sea And Cake“ die Bühne betraten, sahen sie in ihren Holzfällerhemden und mit ihren Tätowierungen zunächst aus, als würden sie sogleich bodenständig losrocken. Das taten sie aber nicht, sondern standen erst einmal mit ernsten Mienen herum. Kaum ein Gesichtsmuskel regte sich auch, als sie zu spielen anfingen. Diese Band bestand aus Musikern, die in erster Linie Musik machen wollten, und so starrten sie angestrengt auf ihre Instrumente, als hätten sie Angst, der nächste Saitenanschlag könnte der falsche sein. Wurde er aber nie. Was stattdessen kam, überraschte immer wieder aufs neue. Mit Gitarren, Baß und Schlagzeug wurde Rock und Jazz kreuzüber gespielt, ohne daß daraus berechenbarer Crossover in strikt zugewiesenen Nischen für dieses und jenes Element wurde. Erwartete man, daß der nächste Takt einen Hauch von einer Spur langsamer als der vorangegangene wurde, wurde die Band eine entschiedene Spur schneller und umgekehrt. Verschrecken tat das keinesfalls, alles paßte perfekt zusammen. Es war sogar Platz für nach authentischer Südsee klingenden Surfgitarren und den zaghaften Gesangsversuchen eines Gitarristen, der bei den Ansagen wirkte, als würde er gleich entweder einschlafen oder sich übergeben. Wenn es aber ums Musizieren ging, war er jedesmal wieder voll da. Das wußte das Publikum zu würdigen, bekam aber trotzdem keine Zugabe. Für „The Sea And Cake“-Schlagzeuger McEntire fing der Abend sowieso erst an. Bei den Chicagoern „Tortoise“ schlug er nicht nur die Felle, sondern stand vor allem an diversen Tasten oder trötete in die Melodica.

„Tortoise“ führten das grenzenlose Crossover-Konzept ihrer Vorgruppe noch einen Schritt weiter: Auf Gesang wurde ganz verzichtet, dafür wurde das Jazzrock-Instrumentarium um Elektro- und Xylophon-Töne angereichert. Die schlurfenden Samples, die sich anhörten wie eine Mischung aus Roboterringkämpfen und Kantinengemurmel, wurden meist zur Überbrückung der ansagenlosen Pausen, in denen die Mitglieder oft untereinander die Instrumente tauschten, sowie zur Einleitung der Songs genutzt. Die Stücke selbst wurden dann wieder von herkömmlichen Instrumenten getragen. Da waren Western-Riffs aus der Umgebung der „Bonanza“-Erkennungsmelodie ebenso zu Hause wie wilde aber zielgerichtete Improvisationen auf dem Xylophon. Letzteres wurde zum Schluß sogar mit einer Bierflasche traktiert, was sich so großartig anhörte, daß man diese Disziplin ruhig in den Lehrplan von Musikschulen aufnehmen sollte.

„Tortoise“ waren noch mehr als „The Sea And Cake“ am Darbieten von Musik interessiert und noch weniger daran, sich zu erkundigen, wie es dem Publikum ginge oder ob es mal alle Arme hochreißen und „Yeah!“ schreien könnte. Dennoch war es kein Wunder, daß der Funke trotzdem sofort übersprang. A.N.

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