Kreuzberg soll deutscher werden

Die Junge Union kritisiert eine „zu hohe Konzentration von integrationsunwilligen Ausländern“. Kritiker sprechen von „politischer Brandstiftung“  ■ Von Andreas Spannbauer

Auf dem Aufkleber prangt ein großes D. Doch wichtiger ist bei dem Sticker, der dem ovalen Autokennzeichen nachempfunden ist, das Kleingedruckte. Es heißt: „Deutschland muss in Kreuzberg wieder erkennbar sein.“ Die Parole ist das Leitmotiv einer neuen Kampagne der CDU-Jugendorganisation Junge Union in Kreuzberg, die am Samstag starten soll.

Nein, als „nette Umschreibung für Ausländer raus“ sei die Aussage keinesfalls zu verstehen, sagt der stellvertretende Kreisvorsitzende Florian Graf – und weist im nächsten Halbsatz darauf hin, „dass die viel zu hohe Konzentration von integrationsunwilligen Ausländern die Hauptursache für das schlechte Ranking unseres Kreuzberg ist“.

Das Leitbild der Jungen Union von einem „Kiez, in dem die Menschen gerne leben“, sei von der Wirklichkeit des Bezirks weit entfernt. „Vielmehr sind es die offene Drogenszene am Kottbusser Tor, chaotische Maikrawalle am Oranienplatz, Schmierereien im hohen Ausmaß, eine besonders hohe Arbeitslosen- und Sozialhilfeempfängerquote sowie das hohe Maß an integrationsunwilligen Ausländern, die Kreuzberg gegenwärtig kennzeichnen“, sagt Graf.

Die Folge sei ein massiver Wegzug der angestammten Bevölkerung. „Wir wollen auf die unhaltbaren Zustände in Kreuzberg hinweisen“, beschreibt der Kreisvorsitzende Scott Körber das Ziel der Kampagne, die im Vorfeld der Wahlen zum Abgeordnenhaus offenbar für Pluspunkte bei rechten Wählern sorgen soll.

Ab Samstag will der CDU-Nachwuchs seine Botschaft in Kreuzberg unter das Volk bringen, 20.000 Aufkleber sollen an vier Informationsständen verteilt werden. Nach dem Ende der Sommerferien wollen die Jung-Unionisten auch vor Schulen mit ihrem Sticker für ein deutscheres Kreuzberg werben.

Von der Landespartei ist diese Haltung gedeckt. „Wir haben alle Funktionsträger informiert und keine Rückmeldung erhalten“, sagt Florian Graf. Der CDU-Kreisvorsitzende Kurt Wansner, der dem rechten Flügel der Partei angehört, kann an der Kampagne ebenfalls „einiges nachvollziehen“. Er sagte gestern: „Meiner Ansicht nach ist der Ausländeranteil zu hoch, in manchen Bereichen beträgt er fast 100 Prozent. Es darf nicht so weitergehen wie bisher.“ Wansner fügte hinzu, dass an dem Vorstoß der Jungen Union „wirklich nichts ausländerfeindlich“ sei.

Hajo Funke, Professor an der Freien Universität, der sich seit Jahren mit dem Bereich Rechtsextremismus beschäftigt, sieht das anders. Er bezeichnet die geplante Aktion als „politische Brandstiftung“. Zu einem Zeitpunkt, wo die türkischstämmige Bevölkerung in Deutschland angesichts der Erdbebenkatastrophe in der Türkei sprachlos ist, sei die Kampagne Sadismus. „Bei dem Aufruf handelt es sich um nur notdürftig versteckten Rassismus“, sagt Funke. „Die Junge Union macht die nichtdeutsche Bevölkerung für die soziale Schieflage verantwortlich.“

Die Aussage „Deutschland muss in Kreuzberg wieder erkennbar sein“ sei fast eine Umschreibung für „Ausländer raus“, so Funke. Auch auf den Plakaten der NPD im Ostteil der Stadt finde man die Verknüpfung von Nationalismus und Sozialem. „Die Argumente kommen genau so von rechtsextremen Parteien.“

Die Junge Union, so warnt Funke, beziehe sich wie die CDU bei der Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft auf den rechtsextremen Bodensatz der Gesellschaft – rund 19 Prozent aller Bundesbürger haben ein rechtsextremes Weltbild. Mit ihrem Aufruf fördere die Junge Union die Gewaltbereitschaft. „Die Skinhead-Szene kann sich bestätigt fühlen.“

Matthias Tang, Pressesprecher der grünen Fraktion im Abgeordnetenhaus, sagt: „Die Ausländerfeindlichkeit in der CDU ist nicht wegzuleugnen.“ Ausländer würden zu Sündenböcken für eine verfehlte Sozialpolitik gemacht. „Die Junge Union verstärkt die Tendenz, platte rechte Sprüche nachzuplappern.“ Die Grünen hatten vor noch nicht einmal zwei Wochen vor einem Flügel innerhalb der CDU gewarnt, der gezielt eine Öffnung hin zum rechtsextremen Spektrum vorantreibe.

Der Türkische Bund kritisiert die Aktion als „diskriminierend“. Die Parole – „Deutschland muss in Kreuzberg wieder erkennbar sein“ – sei eine andere Formulierung für „Deutschland den Deutschen“, sagt die Sprecherin, Nurdan Kütük. Sie sieht in dem Papier, in dem die Ausländerpolitik instrumentalisiert werde, eine „Gefahr für den sozialen Frieden“.

FU-Professor Hajo Funke appelliert an den Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU), die Kampagne zu unterbinden: „Es muss sehr schnell und entschieden reagiert werden.“ Das Forum gegen Rassismus und rechte Gewalt, dem Funke angehört, erwägt außerdem, eine von Diepgen und seinem Kollegen Manfred Stolpe verliehene Auszeichnung für Mut und Verständigung zurückzugeben, falls der CDU-Chef kein Machtwort spreche.

„Bei dem Aufruf handelt es sich um nur notdürftig versteckten Rassismus“, sagt FU-Professor Hajo Funke