piwik no script img

Kreislaufwirtschaft Aus Tisch wird Regal wird Fahrrad: ein Online-Katalog wird zum Baukasten für Bastler, Designer – und DemokratenOpen Fundgrube

Von Lars Zimmermann

Der belgische Designer Thomas Lommée hat eine Art offenen Baukasten geschaffen, mit dem man verschiedenste Gegenstände herstellen kann. Aus den Konstruktionskomponenten lassen sich je nach Bedarf Fahrräder, Stühle, Messestände, Wasserkocher, Staubsauger oder tausend andere Dinge zusammensetzen. Die Komponenten wie auch Baupläne und Fotos sind auf der Internetseite openstructures.net zu finden. Bastler aus aller Welt stellen in einem Online-Katalog vor, was sie geschaffen haben.

Hinter alledem steckt eine bestechende Grundidee: Thomas Lommée will die Kreislaufwirtschaft durch modulare Techniken und Open-Source-Methoden voranbringen. Alle Einzelteile im Katalog passen zusammen und lassen sich beliebig kombinieren, denn sie beruhen auf demselben Konstruktionsprinzip: Sie sind miteinander verschraubbar und die Löcher immer im gleichen Abstand: vier Zentimeter. So können wie bei einem Metallbaukasten für Kinder die Einzelteile immer wieder neu genutzt werden.

Hat beispielsweise ein Tisch ausgedient, können die Teile in einem Regal oder Stuhl neu verbaut werden. Ist ein Bein abgebrochen, lässt sich das völlig problemlos ersetzen. Somit kombiniert das Konzept die Grundidee der Kreislaufwirtschaft, Dinge ohne Einsatz frischer Materialien neu und umzunutzen, mit einfacher Reparierbarkeit.

Open Source

Open Source ist eine Methode aus der Softwareentwicklung: Baustücke von Computerprogrammen werden nachvollziehbar dokumentiert ins Internet gestellt, so dass andere sie studieren, kopieren, verändern, nutzen und weiterverbreiten können. Umgearbeitete oder erweiterte Bausteine sind ebenfalls wieder offen und können so in das Hauptprogramm zurückintegriert oder ihrerseits weiterentwickelt werden. Die Vorteile dieser Kollaborationsmethode hinsichtlich Entwicklungszeit, -kosten und -qualität sind oft so schlagend, dass Open Source seit den 1990er Jahren weltweit einen Siegeszug angetreten hat. Heute besteht der überwiegende Teil der Infrastruktur des Internets aus Open-Source-Software, viele Unternehmen tragen aktiv zur Entwicklung bei. Auch bei der Entwicklung von materiellen Produkten wird die Methode inzwischen angewandt: In den USA und Europa gibt es eine wachsende Open-Hardware-Bewegung.

opensourceecology.de

instructables.com

All das funktioniere aber nur dann, so Lommée, wenn alles Open Source sei, also für jedermann nutz- und abwandelbar. Schließlich kann niemand vorhersagen, wer was wann wo für welches Problem gerade bauen oder umbauen möchte. Indem die Nutzer*innen ihre Konstruktionen der Allgemeinheit zur Verfügung stellen, entsteht ein Pool von Anwendungsmöglichkeiten. Eine Fundgrube für neue Ideen.

Da viele Entwickler*innen ihre Vorgehensweise Schritt für Schritt dokumentieren und online stellen, gibt es eine wachsende Zahl von Bauanleitungen. Wurde eine bestimmte Schraube etwa für eine Bettlampe verwendet, ist das im Katalog vermerkt. Interessierte können also entweder sofort loslegen, sich inspirieren lassen oder Anpassungen nach den eigenen Bedürfnissen vornehmen. Dagegen stehen auch keine rechtlichen Hindernisse: Die offene Lizenzierung der Teile erlaubt eine einfache, schnelle und kreative Nutzung.

Damit dürfen die Beteiligten durchaus auch Geld verdienen: Eine kommerzielle Nutzung ist bei Open Source ausdrücklich erlaubt. So kann im Prinzip jeder den Katalog von OpenStructures nutzen, um darüber Teile zu verkaufen oder die Fertigung gewünschter Komponenten anzubieten. Gegenwärtig macht davon jedoch noch niemand Gebrauch. Auch Lommée fehlt es an entsprechendem Unternehmergeist.

Kreislaufwirtschaft

In der Kreislaufwirtschaft sollen Ressourcen nicht verbraucht, sondern genutzt werden. Gegenstände sind so konstruiert, dass sie lange halten, gut reparierbar und leicht aufzuarbeiten sind. Erst wenn es gar nicht mehr anders geht, werden sie demontiert und die Materialien vollständig recycelt. Kommen biologische Stoffe zum Einsatz, sollen sie rückstandsfrei kompostierbar sein und möglichst zu Nährstoffen für neue, nachwachsende Rohstoffe werden. Die notwendige Energie stammt komplett aus erneuerbaren Quellen.

Schlüssel für eine nachhaltige Wirtschaft?

Trotz dieser wenig ökonomischen Motivation fragen sich Open-Source-Fans: Könnte das gemeinsam Nutzen und Weiterentwickeln nicht zum Schlüssel einer regelrechten Kreislaufwirtschaft werden? Diese Frage wurde im Juni 2015 zum ersten Mal global hörbar gestellt. Parallel fanden in 33 Städten in 25 Ländern auf fünf Kontinenten Events statt. Das Projekt war selbst nach Open-Source-Prinzipien gebaut: Jeder konnte dem Aufruf folgen und ein lokales Ereignis in seiner Stadt organisieren.

Mit dabei waren neben Berlin, Barcelona, London und Helsinki in Europa auch Shenzhen und Taipeh in Asien, Bogotá in Südamerika, Cape Town und Lomé in Afrika, Chicago in den USA und Perth in Australien. Die Ergebnisse sind natürlich öffentlich zugänglich.

In Berlin haben sich die 150 Akteur*innen viel vorgenommen. Einer der besonders ehrgeizigen Programmpunkte war es, eine kreislauffähige Textil- und Modeproduktion zu entwickeln. Einer anderen Herausforderung nahm sich das Unternehmen Veolia an: Wie Abfälle umweltgerecht entsorgt und recycelt werden könnten, ist ein wichtiger Bestandteil für eine gesunde Kreislaufwirtschaft.

Wie weiter? Ihrer Methode folgend wird auch diese Frage offen im Netz diskutiert. Jeder und jede ist eingeladen, sich an der Diskussion zu beteiligen.

Der Autorist Open-Source-Aktivist und Künstler in Berlin

http://oscedays.org

www.openstructures.net

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen