: Krebstherapie für Körper und Seele
■ Verzicht auf das Primat der Medizin / „Psycho-Onkologische Tage“ im März
„Ganzheitliche Krebsbehandlung“ ist das Thema der „1. Psycho-Onkologischen Tage“ am 6. und 7. März in Oldenburg. „Ganzheitlich“, das heißt unter Einbeziehung des ganzen Körpers und der Seele. Oldenburg ist ein passender Ort für eine solche Fachtagung, denn das Evangelische Krankenhaus in Oldenburg praktiziert seit zweieinhalb Jahren die in Deutschland wohl weitreichendste Form von ganzheitlicher Krebsbehandlung. Patienten, Psychologen, Ärzte und Pflegepersonal arbeiten von Anfang an als Team zusammen. Gleichberechtigt besprechen sie die möglichen Behandlungsmethoden, deren Folgen und die Ängste, die im Zusammenhang mit Krebs auftauchen. Seit einem halben Jahr begleiten Wissenschaftler der Uni Oldenburg das Projekt. Neben Krankenhaus und Universität ist die evangelische Landeskirche dritter Träger der „Psycho-Onkologischen Tage“.
Evangelisches Krankenhaus, Station 42.
Mit 15 Betten ist die Station 42des Evangelischen Krankenhaus eine relativ kleine Station. Seit sie mit mehr Verantwortung in die ganze Behandlung eingebunden werden, arbeiten Schwestern und Pfleger gerne hier. Früher war die Personal-Fluktuation, wie auf den meisten Krebsstationen in Deutschland, immens. Heute bleibt auch mal Zeit für ein freundschaftliches Gespräch mit den PatientInnen. Denn nicht die Bewältigung der technischen Routine-Arbeiten steht im Vordergrund, sondern der/die Kranke selbst.
Deshalb gibt es auch keine Chefarzt-Visite mehr. Der Chef selber, Dr. Hans-Fokke Hinrichs, hat sie abgeschafft. „Keine angstschaffende Einrichtung, von der der Patient überhaupt nichts hat.“ Keine Horde fachsimpelnder Halbgötter in Weiß mehr um das Krankenbett herum, stattdessen findet jeden Montag ein Patientengespräch im Büro statt. Der/die PatientIn und die Angehörigen werden voll mit einbezogen. Hinrichs propagiert den „Verzicht auf das Primat der Medizin“. Mindestens genauso wichtig wie Chemotherapie und Bestrahlung ist die psychologische Betreuung.
„Wir behandeln nicht den Krebs, sondern den Krebspatienten“, sagt die Diplom-Psychologin Sigrid Wilmink. Und das bedeutet für sie vor allem, dem Kranken in seiner aktuellen Krisensituation beizustehen. „Die Diagnose Krebs löst immense Ängste aus“, so Wilmink. „Es kommt darauf an , diese Ängste erst einmal zuzulassen und sie nicht gleich wegzusedieren. So nach dem Motto „Nehmen Sie mal 30 Tropfen Athosil, dann wird's schon werden“. In Einzel- und Gruppengesprächen sollen die Patienten lernen, konstruktiv mit ihrer Krankheit umzugehen
Aber die Psychologie kann noch mehr. Sie kann zum Beispiel durch sogenannte „Visualisierung“ die medizinische Therapie unterstützen. Außerdem bietet Sigrid Wilmink Entspannungsübungen wie Autogenes Training und Hypnose an. Die helfen gegen die Ängste, steigern die Abwehrkräfte und können sogar die Schmerzen lindern.
Auch die Angehörigen werden psychologisch betreut. Und, nicht zu vergessen, das Personal. Denn auch für die Behandelnden ist der Umgang mit den Schwerkranken oft nicht leicht.
Ob die ganzheitliche Methode am Evangelischen Krankenhaus meßbare Erfolge zeigt, das untersucht derzeit der Oldenburger Universitäts-Professor Gerhard Lauth. Über echte Heilerfolge kann er nach einem halben Jahr Forschungsarbeit noch keine gesicherten Auskünfte geben. Ein Krebskranker gilt erst nach fünf Jahren ohne Rückfall als „geheilt“. Aber die ersten Ergebnisse stimmen Lauth optimistisch: „Den Patienten geht es einfach besser. Sie sind sicherer im Umgang mit ihrer Behandlung, und das steigert ihr Wohlbefinden.“
Und genau das strebt der Arzt Dr. Hans-Fokke Hinrichs vor allem an: Die Vitalität seiner Patienten. „Man kann gesund sein und trotzdem ohne Lebensfreude. Unser oberstes Behandlungsziel ist Lebensqualität.“ Um die zu erreichen, wurden die Wünsche der Kranken soweit wie möglich berücksichtigt. Angehörige können, so oft sie wollen, bei ihnen sein, im Krankenhaus übernachten und mit in die Pflegearbeit eingebunden werden.
Nicht nur den Krebskranken geht es besser mit der ganzheitlichen Methode, auch den Behandelnden. Dr.Hinrichs jedenfalls kann sich „Medizin auf andere Weise gar nicht mehr vorstellen. Früher stellte man die Diagnose und mixte dann, wie bei einem Kochrezept, die passende Behandlung. Ich bin viel zufriedener, seit ich auf so ganzheitliche Weise an die Patienten herantreten kann und darf.“ Auf dem Psycho-onkologischen Kongreß am kommenden Wochenende sind die Erfahrungen am Evangelischen Krankenhaus allerdings nur eins von vielen Themen. Experten aus der ganzen Bundesrepublik werden erwartet, die über unterschiedlichste Modelle ganzheitlicher Krebsbehandlung sprechen sollen. Auf dem Programm stehen Referate, Gesprächsgruppen und - ganz wichtig — Work- Shops, zu praktischen Themen wie „Schmerztherapie“, „Angehörigenarbeit“ oder „Wahrheit am Krankenbett“. Isabelle Yeginer
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