Kreator-Konzert im Bataclan: Are you ready to kill?
Was, wenn deine Gewaltrhetorik von der Wirklichkeit in den Schatten gestellt wurde? Kreator spielte im Pariser Bataclan.
Mille Petrozza: „Are you ready to kill?“
Publikum: „Jaaa!!!!!“
„I said, are you ready to kill?“ Der Sänger macht eine Halsabschneidergeste.
„Jaaaa!!!!!“
So endet die Dokumentation „Full Metal Village“ über das Wacken-Open-Air im Jahr 2006, und so endet auch das Kreator-Konzert in der Berliner Columbiahalle Ende Februar 2017. Mit dem Song „Pleasure to kill“ und der dazugehörigen Ansage. Wie jedes Konzert auf der laufenden Tour. „Wir spielen immer dieselbe Setlist“, sagt Mille. „Das ist dann einfacher mit den ganzen Abläufen.“
Im November wiedereröffnet
Die ganzen Abläufe, das heißt: Diverse In- und Outros, Marching Drums, Feuerschalen, Nebel, Konfetti, Pyros, Flammen, eine sogenannte „Co2-Gun“, eine vom Sänger animierte „Wall of Death“ und die Absprachen, welcher Musiker wann die Bühnenkonstruktion hinaufgeht und seine Gitarre auf der Empore über dem Schlagzeug spielt. Das alles verteilt auf 18 Songs aus über 30 Jahren. Bleibt man in der Gewaltanalogie, dann ist eine Kreator-Show wie moderne Kriegsführung. Wo es auch nicht um Gefühlsausbrüche oder Spontanität geht, sondern um Kontrolle, Technik, Präzision.
Ob er die „Pleasure to kill“-Ansage am kommenden Sonntag auch bringen wird, da ist Mille sich nach der Show in der Columbiahalle nicht sicher. Er weiß es auch ein paar Tage später in Barcelona noch nicht. Am darauf folgenden Sonntag wird die Band in Paris spielen. Im Bataclan.
Nagel alias Thorsten Nagelschmidt ist Musiker, Autor und bildender Künstler und lebt in Berlin
Bereits zweimal zuvor sind Kreator in der altehrwürdigen Konzerthalle aufgetreten. Dann kam der 13. November 2015, an dem drei Attentäter im Auftrag des IS mit Kalaschnikows, Handgranaten und Sprengstoffwesten das ehemalige Vaudeville-Theater während eines Eagles-of-Death-Metal-Konzerts stürmten und 90 Menschen töteten. Anschläge hat es vorher gegeben, Anschläge wird es weiterhin geben. Aber nie trafen sie gezielt ein junges, vergnügungswilliges und musikaffines Publikum. Das Bataclan wurde von den Terroristen auch deswegen ausgesucht, weil sich dort „hunderte Götzendiener in einer perversen Feier versammelt“ hätten.
Weltkrieg jetzt
Im vergangenen November wurde der Club wiedereröffnet. Mit einem Konzert von Sting. Dessen Songs tragen Titel wie „All for love“ oder „Spread a little hapiness“. Die von Kreator: „Total Death“, „Extreme Aggression“, „Violent Revolution“, „Enemy of God“. Ihre Website: kreator-terrorzone.de. Das aktuelle Album: „Gods of violence“. Was, wenn deine Horrorszenarien von der Wirklichkeit eingeholt werden? Was, wenn die Gewaltrhetorik deiner Songs innerhalb weniger Stunden von einer kleinen Handvoll Irren völlig in den Schatten gestellt wird? Was, wenn deine Metaphern plötzlich keine Metaphern mehr sind?
„Gods of Violence“ steht auch groß auf dem Truck, mit dem die Band derzeit auf Tour ist. Fast 30 Shows in Europa werden sie spielen, 25 in den USA. Später im Jahr sollen noch Asien, Australien und Südamerika dazukommen. Zwischendurch Festivals. Dann wieder Europa.
Die Band wurde 1982 im Essener Norden gegründet. „Gods of Violence“ ist ihr 14. Album und das erste, das auf Platz 1 in die deutschen Album-Charts eingestiegen ist. Nach 35 Jahren Bandgeschichte. Mille Petrozza ist davon angenehm unbeeindruckt. „Eigentlich ist einem das echt egal“, sagt er in einem Brummton, der ein paar Oktaven unter seiner Singstimme liegt. „Gut ist es trotzdem“, freut er sich dann doch.
Kreators Thrash-Metal ist über die Jahre technisch versierter geworden, melodiöser und monumentaler als zu den Anfangstagen der Band, aber nicht weniger aggressiv. Hinter den martialischen Songtiteln verbergen sich Verweise auf Hannah Arendt, Ton Steine Scherben und die griechische Mythologie. Und trotzdem: Wenn man mit einem von genau diesen Anschlägen inspirierten Song wie „World War Now“ an genau diesem Ort spielen soll, dann macht das was mit einem. Im Tourbus kommt das Thema immer wieder auf, vor und nach den Shows in Barcelona, Madrid und Toulouse. Die Band und ihr Tross kennen das Bataclan, die Veranstalter und die lokale Crew seit Jahren. Einige kennen Menschen, die am 13. November 2015 ihr Leben verloren haben, ihre Gesundheit oder ihre Beine, und jeder geht anders damit um.
Der Kloß im Hals bleibt
„Wenn ich’s mir aussuchen dürfte, ich würde den Laden nicht mehr betreten“, sagt der Monitormischer, der sich nachts noch mit Artikel und Videos von den Anschlägen um den Schlaf gebracht hat. „Die Leute vom Laden kotzen doch auch, wenn da jede Band mit langen Gesichtern reinkommt“, ist sich dagegen der Lichttechniker sicher, und der Bassist merkt zwischen zwei Zügen von seiner Zigarette an: „Wäre das mein Laden, ich hätte ’ne Gotcha-Halle draus gemacht.“ Pflichterfüllende Betroffenheitsgesten und heiliger Ernst lassen sich weglachen. Der Kloß im Hals bleibt. Man denkt, man müsse sich irgendwie zu all dem verhalten. Aber muss man das wirklich?
Am frühen Sonntagvormittag rollt der Nightliner ins regnerische Paris ein. Nach und nach schälen sich alle aus den Kojen. Die Stimmung ist anders. Anders als normal. Eine gewisse Beklemmung macht sich breit, abstrakt, kaum greifbar. Als wolle niemand dem anderen auf den Sack gehen oder gar mit seiner Beklemmung anstecken. Mille Petrozza hat sich immer noch nicht entschieden, ob er heute Abend eine Ansage zu den Vorfällen machen soll. „Wahrscheinlich sage ich nichts. Wahrscheinlich werden wir eine ganz normale Show spielen.“ Doch auch er weiß: Es ist nicht business as usual, wenn man sich business as usual vornehmen muss.
Immerhin hat man sich darauf geeinigt, die CO2-Gun heute wegzulassen. Dabei würde gerade dieses ansonsten etwas albern anmutende Show-Gimmick im Bataclan einer gewissen Ironie nicht entbehren. Hatte doch der Eagles-of-Death-Metal-Sänger Jesse Hughes behauptet, der Anschlag hätte verhindert werden können, wenn auch die Zuschauer bewaffnet gewesen wären. Hughes ist ein bekennender Waffennarr, der schon öfter durch angewandtes Rednecktum negativ aufgefallen ist. In einem rechten Blog hatte er behauptet, nach den Anschlägen vom 13. November feiernde Muslime in den Straßen von Paris gesehen zu haben, und spekuliert, Teile des Bataclan-Sicherheitspersonals seien in das Attentat verstrickt gewesen. Bei der Wiedereröffnung des Clubs wurde dem Sänger daraufhin der Einlass verweigert, und seine Band wurde von zwei französischen Festivals wieder ausgeladen.
Der Tourbus hat kurz an der Ecke vorm Club gehalten, Band und Crew ausgeladen und ist dann gleich weitergefahren. Hier kann man nicht parken. An der Ecke der Rue Oberkampf die üblichen Autogrammsammler, Frühaufsteher, Die Hard-Fans. Moment. Rue Oberkampf? Die-Hard-Fans?
Für sie werde es ein ganz normales Kreator-Konzert, sagt eine junge Frau. Das hofft sie jedenfalls. Sie hofft auch, dass die Band heute Abend den Song „Suicide terrorist“ spielen wird.
Normale Probleme
Außer einer kleinen Tafel am Eingang des Bataclan erinnert nichts an den Überfall vor anderthalb Jahren. Es gibt auch keine besonderen Sicherheitsmaßnahmen, zumindest keine sichtbaren. Es ist die Behauptung von Normalität in einem Land, das sich immer noch im Ausnahmezustand befindet.
Die Körper lagen überall. Am Merchandisestand. In der Halle, auf der Empore, im Backstagebereich. Praktisch überall, wo man geht und steht, lagen Leichen. Schwer verletzt. Tot. Blutend. Zerfetzt. Es gibt Videoaufnahmen, in denen Leute aus dem Fenster der Garderobe hängen. Jene Garderobe, in der sich die Band heute umziehen und warmspielen wird. „Es kann sein, dass auf den Toiletten im Keller niemand erschossen wurde“, sagt der Veranstalter achselzuckend. Ganz sicher ist er sich jedoch nicht.
Die Crew hat derweil andere Probleme. Normale Probleme. Irdische Probleme. Am Bataclan ist es eng, drinnen wie draußen, auf der Bühne, davor, dahinter. Es gibt kaum Platz für die leeren Flightcases. Wegen Brandschutzbestimmungen dürfen Pyros und Flamethrower heute nicht benutzt werden. Der Nightliner muss fünf Kilometer entfernt parken, wodurch einer der Rückzugsbereiche für die Zeit vor der Show wegfällt. Im Backstage herrscht Rauchverbot, das WiFi-Signal ist zu schwach für YouTube, und dann hat auch noch irgendein Idiot den Saftmixer im Bus vergessen.
20.55 Uhr, Showtime Kreator. Als Einlaufmusik läuft Iron Maiden: „Run to the hills, run for your life“, singen sie mit, vor und hinter der Bühne. Es ist sehr eng und sehr heiß. Es ist ausverkauft. Dann geht das Licht aus, das Intro ertönt, Kreator gehen auf die Bühne und eröffnen wie jeden Abend mit „Hordes of chaos“: „Everyone against everyone“. Die Konfettikanone schießt ihr Konfetti, die Stagediver erheben sich in die Luft, und die Band macht sich daran, 90 Minuten lang alles wegzuknüppeln. So wie jeden Abend. Von „Satan is real“ und „Total Death“ über „Fallen Brother“ und „World war now“ bis zu „Extreme Aggression“ und „Pleasure to kill“. Inklusive Ansage.
„Es war kathartisch“, wird ein Überlebender des 13. November 2015 nach der Show sagen, und Mille Petrozza : „Da wird dir erst mal bewusst, was du alles singst. “ Zu den Anschlägen kein Wort. Die Band sagt mit ihrem unbeirrten Auftritt vor allem eins: Wegen ein paar durchgeknallter Irrer ändern wir weder unsere Show, noch unsere Kunst oder unseren Lifestyle. Denn wenn hier einer über Tod, Gewalt und Scheiße singt, dann sind wir das.
Gods of Violence World Tour 2017, das ist Todesverachtung, wie sie sein muss.
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