Kreative Zwischennutzung: Rückeroberung der Innenstadt

Wo in der Hamburger City Karstadt Sport war, befindet sich heute mit „Jupiter“ ein Raum für Kreatives. Sieht so die Innenstadt der Zukunft aus?

Karstadt Sport ist zu einem Ort der ­Kreativität geworden Illustration: Jeong Hwa Min

HAMBURG taz | Den Straßenlärm und Trubel von unten hört man nicht hier oben, auf einer Dachterrasse mitten in der Hamburger Innenstadt.

Die Besonderheit

Inmitten von Fast Fashion und Franchise ist Jupiter eine kleine Erholungsinsel in der Hamburger Innenstadt. Was einst ein Karstadt Sport-Kaufhaus war, bietet nun Platz für Kreatives. Von der Dachterrasse aus kann man sogar Windräder am Horizont sehen.

Die Zielgruppe

Jupiter richtet sich an die urbane Gesellschaft. Eintreten kann, wer keine Hilfsbedürftigkeit ausstrahlt und am Security-Personal vorbeikommt.

Hindernisse auf dem Weg

Es kann passieren, dass Besucher:innen vor verschlossenen Türen stehen. Die Aussteller:innen planen ihre Öffnungszeiten unabhängig voneinander. Um auf der Dachterrasse antikapitalistischen Träumereien nachzugehen, sollte man das nötige Kleingeld dabei haben. Ein Bier kostet vier Euro, zuzüglich Pfand.

Um eine kreisförmige Fläche herum sitzen kleine Gruppen auf Bänken, trinken Limo und Bier. Ein Pärchen hat einen Hund dabei. In der Mitte toben Kinder und spielen Fangen. Das Schild „Betreten der Event-Fläche ist mit Straßenschuhen nicht gestattet“ bleibt unbeachtet. Die Stimmung ist fröhlich. Die Szenerie erinnert an einen Stadtpark und weniger an das oberste Stockwerk eines ehemaligen Kaufhauses.

Früher war eine Filiale von Karstadt Sport in dem großen Gebäude, das heute „JUPITER“ in großen Lettern auf seiner Fassade trägt. Seit Mitte 2022 sei Jupiter der „Ort der größten kreativwirtschaftlichen Zwischennutzung in Deutschland“, so steht es auf Website der Hamburger Kreativ-Gesellschaft, die das Projekt fördert.

Auf sechs Stockwerken ist Raum für Künstler:innen, Pop-up Geschäfte und eine Bar. Die Bar ist am Tag der Neueröffnung gut besucht. Menschen aller Altersklassen tanzen zur Musik. Viele stehen für Getränke an. Von der Bar aus gelangen Be­su­che­r:in­nen auf die große Dachterrasse.

Von hier oben reicht der Blick ungewohnt weit für eine Innenstadt. Er schweift über andere Dächer. Welches dieser Gebäude wird das nächste sein, das die Gesellschaft sich zurückholt? Von Jupiter aus die Elektro-Kette Saturn kapern? Möglichkeiten gibt es viele.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Die Mönckebergstraße in Hamburg ist eine Shoppingmeile, wie es sie in jeder anderen Stadt ab 100.000 Ein­woh­ne­r:in­nen gibt: Peek & Cloppenburg, adidas, Zara, Douglas. Für die Stärkung zwischen dem Konsumieren laden Starbucks und Bäckereiketten ein. Fast Fashion und Franchise – es braucht nicht viele Worte, um die Innenstädte der Republik zu beschreiben.

Das sogenannte Innenstadtsterben: eigentlich ein schöner Gedanke von hier oben.

„Dass das kostenlos ist“, ruft ein junger Mann im Vorbeigehen seiner Begleitung zu. In seiner Stimme schwingt Staunen mit. Die Entkoppelung öffentlichen Raumes von der Pflicht zu konsumieren scheint ungewohnt.

Überbleibsel aus Kaufhaus-Zeiten

Einige Ruinen erinnern noch an die Vergangenheit des Gebäudes: Ehemalige Umkleidekabinen dienen als Lagerraum. Die weiß lackierten Theken mit dem Schild „Kasse“ sind verlassen, denn Stangenware gibt es hier nicht zu kaufen. Werke lokaler Künst­le­r:in­nen sind hier ausgestellt. Über ihnen hängen Schilder, die auf „Saisonsport Männer“ und „locker room“ hinweisen. Das Licht kommt noch aus denselben Lampen wie zu Kaufhaus-Tagen. Es scheint aber nicht so brutal und fühlt sich weniger nach Kopfschmerzen und Stress an. Das Brummen der Rolltreppen, in der sonst so ruhigen Ausstellung fällt es auf.

Jetzt erst wird deutlich, wie viel Platz für den Verkauf von Sportklamotten, Bällen und Taucherbrillen vorgesehen war. Gemälde, Fotografien und Skulpturen erstrecken sich über drei Etagen.

Die städtische Kreativ Gesellschaft ist eine „Anlaufstelle für alle Ak­teu­r*in­nen der Hamburger Kreativwirtschaft“. So steht es auf ihrer Website. Sie hat das leerstehende Kaufhaus im Rahmen des Projekts „Frei_Fläche“ angemietet und stellt es nun für verschiedene Projekte gegen eine Miete von 1,50 Euro pro Quadratmeter zur Verfügung. Es handelt sich um ein Programm zur Bekämpfung von Leerständen in der Stadt. Neben dem Jupiter gibt es in Hamburg noch weitere Orte, die zur kreativwirtschaftlichen Zwischennutzung zur Verfügung stehen.

Von den insgesamt 8.000 Quadratmetern im Jupiter ist noch ein beträchtlicher Teil ungenutzt: Zwischen Galerie und Bar ist ein „Open Space“, fast ein Stockwerk leere Fläche. Weitläufig erstreckt sich der graue Kunststoffboden nach links und rechts. In der Mitte rumoren die Rolltreppen. Als Großstadt-Wohnungssuchende kann man gar nicht anders als zu schätzen, wie viele Zimmer hier wohl reinpassen würden.

Öffentlicher Raum ist nicht für alle da

Auf dem Weg nach draußen, vorbei am Security-Personal, ist sie wieder da, die Realität: Vor dem Schaufenster des Jupiter sitzen Menschen. Einige betteln, andere schützen sich mit einem Schlafsack vor der immer noch ungemütlichen Aprilluft. Gerne gesehen waren die Bett­le­r:in­nen in der Mönckebergstraße noch nie. Seit einigen Wochen werden sie jedoch noch vehementer von der Polizei aus der Innenstadt verdrängt.

Ein Mann läuft an ihnen vorbei. Er trägt eine bunte Giraffe unterm Arm. Für 200 Euro kann man das Kunstwerk aus recycelten Flip-Flops in einem der Pop-up-Stores erwerben. Auch öffentlicher Raum ist nicht für alle da. Sollte die Innenstadt zurückerobert werden, lautet die Frage: „Für wen eigentlich?“

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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