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Krawalle in GroßbritannienLondons heißer Sommer

Die britische Metropole ist zwar nicht sozial und geografisch segregiert, Arme und Reiche leben nebeneinander. Aber es sind Parallelgesellschaften entstanden.

Brenzlig: Die aktuelle Situation in London – und um London herum. Bild: Screenshot/maps.google.co.uk

BERLIN taz | Jede Metropole der Welt hat ihre unsichtbaren mentalen Landkarten, innerhalb derer sich der Alltag von Millionen strukturiert. Wenn jetzt London brennt, brennt nicht einfach London. Es finden gezielte Angriffe statt, meist auf Ladenzeilen in einigen wenigen Straßen an einer überschaubaren Anzahl von Orten.

London ist weniger segregiert als beispielsweise Paris. Wenn die Pariser Banlieue brennt, kann der Problembezirk faktisch abgeriegelt werden und der Rest des Großraums Paris bekommt davon nichts mit. London hingegen ist eher durchmischt. Es ist keine Stadt aus Zentrum und Peripherie, sondern ein Moloch, eine geografisch schier endlose Aneinanderreihung zunehmend gleichförmiger Ortschaften, die ineinander übergehen und jeweils ihre eigenen Zentren und sozialen Brennpunkte haben. Damit ist das riesige London zugleich auf kleinstem Raum durchaus konfrontativ, mit scharfen lokalen Gegensätzen zwischen Arm und Reich, zwischen Geschäftswelt und Sozialgettos, innerhalb weniger Straßenzüge. Man lebt nebeneinander, benutzt dieselben Verkehrsmittel, lässt sich gegenseitig in Ruhe und sieht einander nicht in die Augen.

Das kann jahrelang gutgehen. Und dann kommt von irgendwo eine Initialzündung, die den Normalzustand gewaltsam aufhebt.

Viel ist im vergangenen Jahrzehnt gesagt worden darüber, wie Großbritanniens Muslime sich von der Gesellschaft entfremden und eine gewaltbereite Subkultur hervorbringen. Oft wurde vergessen, dass die zugrundeliegenden Trends auch für andere Teile der Gesellschaft gelten. In London ist in den letzten Jahrzehnten eine entwurzelte Generation entstanden, deren Angehörige in Privatleben und Arbeitswelt von Provisorium zu Provisorium ziehen. Sie fühlt sich wenig respektiert, wenig heimatverbunden und wenig politisch vertreten. Gerade unter karibischen schwarzen Jugendlichen ist das Gefühl sehr verbreitet, nicht dazuzugehören, und groß ist die Versuchung, in der Schattenwirtschaft alternative Hierarchien aufzubauen, für die Außenwelt unsichtbar. So entstehen Parallelgesellschaften.

Knotenpunkt des globalen Finanzkapitals

London ist in den letzten dreißig Jahren fundamental umgekrempelt worden, auf dem Rücken seiner Bewohner. Es ist schon lange nicht mehr das Zentrum des größten Weltreichs wie zu der Zeit des 19. Jahrhunderts, als die Arbeitersiedlungen von Hackney und Tottenham entstanden. London hat sich neu erfunden als Knotenpunkt des globalen Finanzkapitals. Land ist Spekulationsobjekt, nicht Lebensraum.

Gerade erst hat der Londoner Autor Iain Sinclair in seinem Buch "Ghost Milk" die Metamorphose ganzer Stadtteile in Vorbereitung auf die Olympischen Spiele 2012 gegeißelt, die Milliardensummen verschlungen hat und die Lebenszusammenhänge Zehntausender Menschen gleich mit. In den 1980er Jahren hatte die Errichtung des Geschäftsviertels Docklands im ehemaligen Londoner Hafenviertel eine ähnlich traumatische Auswirkung auf das Selbstverständnis des nordöstlichen London.

In den Jahrzehnten zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg wurden im Rahmen der Slumräumung alte Reihenhäuser durch Hochhaussiedlungen ersetzt, die statt Modernisierung Gettoisierung mit sich brachten. Es sind ganze Viertel des sozialen Wohnungsbaus entstanden, die zu Billigmieten sozial Schwache beherbergen, oft inzwischen kulturell in sich gekehrt, deren Bestand heute durch Sozialabbau bedroht ist; nebenan muss allerdings schon längst eine neue, prekäre, multikulturelle Jugendgeneration ohne Absicherung auf einem der teuersten Wohnungsmärkte der Welt bestehen.

Die Menschen zerstören ihre eigene Gemeinschaft, klagen jetzt britische Kommentatoren. Die Frage ist, ob die Zerstörer diese Gemeinschaften überhaupt als ihre eigenen wahrnehmen.

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12 Kommentare

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  • RE
    Rah Ering

    Die hohe Dichte an Kamera-/Videoüberwachungsanlagen (CCTV) in London können die Randale und Plünderungen in der Stadt nicht verhindert. Und auch zur Straftatenermittlung dürften die CCTV-Bildaufnahmen wenig taugen, denn der Mob hat meist “Kapuzen“ auf oder ist vermummt.

    So bleibt festzustellen: Die beste Kriminalitätsprävention ist eine gute Sozialpolitik. Und was dabei heraus kommt, wenn man diese vernachlässigt, sehen wir jetzt in England.

  • H
    hunsrückbäuerlein

    in London sollen 16.000 zusätzlich Polizisten für Ruhe sorgen! Wo kommen die her? Aus der Retorte? Aus anderen Gebieten? Aus dem Ausland? Das Militär wurde in Alarmbereitschaft versetzt um die Polizei zu unterstützen - aha! In Syrien ließt man über genau den selben Sachverhalt folgendes: " der syrische machthaber assad setzt das Militär gegen die eigene Bevölkerung ein" die kämpft allerdings für mehr freiheit, demokratie! in England sind es plündernde Banden, Kriminelle, gegen die Polizei und Militär vorgehen. Hey ihr downunder, nutzt die gelegenheit und macht einen ausflug, raus aus london, helft dem rest des landes auch bei seiner demontage, die bereits maggi sätscher begonnen hat, viel kaputt zu machen, was gesellschaftlich von relevanz ist, gibts auf der insel sowieso nicht mehr. viel spaß dabei und laßt euch nicht erwischen.

  • DD
    dummer Deutscher

    ...natürlich nur soziale Spannungen, oder wir geben uns noch viel, viel, viel mehr Mühe mit der Inegration (Selbstaufgabe)...

     

    Traumtänzer und Dummschwätzer!

  • DB
    Doktor B.

    Das ist die Ernte von 30 Jahren neoliberaler Spaltung der Gesellschaft. Ganz einfach.

  • WB
    weiche Bullen

    So etwas kann eigentlich nur in London passieren. Nicht weil die Stadt so teuer ist, sondern weil die Bobbies auf der Insel auf absolute Zurückhaltung getrimmt werden. Die meisten von denen tragen ja nichtmal eine Dienstwaffe. Wasserwerfer? - bloß nicht, es könnte sich ja jemand weh tun.

     

    Selbst am vergleichsweise harmlosen 1. Mai in Berlin greift die Polizei strikter durch. Und was in Städten wie z.B. Moskau mit den Jugeendlichen in so einer Situation geschehen würde, will sich besser niemand vorstellen.

  • B
    Bernd

    Wo auch immer die Wurzeln dieses Gewaltausbruches liegen mögen und was auch immer die Motive jedes Einzelnen sein mögen, es gibt absolut nichts auf der Welt, das das Anzünden von Häusern rechtfertigen kann, in dem Menschen leben. Und genau deswegen sind diese Leute völlig unabhängig von den Hintergründen Schwerverbrecher und sonst nichts. Wer das Chaos irgendwie revolutionär romantisiert, macht sich lächerlich.

  • Z
    zombie1969

    GB und auch andere europäische Staaten haben sich über Jahrzehnte eine unkontrollierte Zuwanderung geleistet die sich nun langsam aber sicher in allen ihren negativen Auswirkungen knallhart zeigt. Das schlimme daran ist, dass man genau wusste wohin man mit einer unkontrollierten Zuwanderung steuert. Offenbar dämmert nun einigen dass die Ressourcen nicht für immer reichen und eine Bevölkerungsbegrenzung unausweichlich wird.

  • E
    EuroTanic

    CHRONOLOGIE EINES BÜRGERKRIEGES!

    - Ausschreitungen in London nach tödlicher Schießerei

    - Britische Polizei will scharf auf "Demonstranten" feuern

    - Frankreich erkennt Randalierer vorschnell als legitime regierung an

    - Tottenham Resolution soll humanitäre Sicherheit bieten

    - NATO bombardiert Buckingham Palast und Sender der BBC

    - ExxonMobil übernimmt Ölförderung vor der britischen Küste

  • PP
    Peter Pander

    Mit dieser Erklärung, O-Ton aus London, liegen sie daneben.

     

    Dieses hier geht tiefer, tiefer als Ihnen Recht sein kann.

  • H
    Hans

    Die Stadt ist ein Horror, weil sie gnadenlos (teuer) ist und das seggregiert die Menschen härter als in anderen Städten Europas. Allerdings haben britische Regierungen auch an der Blase, an der Spekulation, ihren Anteil gehabt.

     

    Es wäre so nicht notwendig gewesen und immerhin hat der rote Ken Levingston in seinem letzten Programm Vorschläge gemacht, die durchaus es wert gewesen wären, besser beachtet worden zu sein. Stattdessen hat man einen neuen Spaßvorgel ins Amt gebracht, der jetzt schon von sich sagen kann, er sei gescheitert.

     

    Die Mittel gegen solche soziale Aufruhr und Vandalismus sind auch nicht Hokuspokus, sondern sozialer Wohnungsbau, Erhaltungssatzungen, kommunale Vereinigungen und der Dialog der Bürger untereinander und mit den gewählten Politikern. Auch eine direkte Intervention gegen Spekulanten und andere Gangster wäre schon lange angesagt gewesen, wurde aber unterlassen. Und das ist jetzt das Ergbenis.

  • OA
    O-Ton aus London

    The Youth of the Middle East rise up for basic freedoms. The Youth of London rise up for a HD ready 42" Plasma TV

  • P
    Politik

    Eibl-Eibesfeldt sagte dazu. Zu allen Zeiten haben Gruppen andere verdrängt, und es gibt sicherlich kein Interesse der Natur an uns. Aber es gibt ein Eigeninteresse. Man muß nicht notwendigerweise seine eigene Verdrängung begrüßen.