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„Krankheit“ Frau

■ Das Schnürschuh-Theater hat heute Premiere mit „Sprung in der Schüssel“

„Sßß“ säuselt das „Ave Maria“, Bittgesang aller Jungfrauen, durch den schummrigen Raum. Plötzlich wird die Andacht gestört, die Platte eiert, das Licht blendet, es ist passiert: Ein Blick zwischen die Beine genügt: ES ist ein Mädchen! Also kriegt es den Namen Maria, und die Mama sorgt dafür, daß nicht mehr „da unten“ hingeguckt werden muß, um IHR Geschlecht zu erkennen.

Mädchen werden ist nicht schwer, Mädchen sein dagegen sehr: Maria mag ihre Lieblingssuppe nicht mehr essen, nicht mehr lieb sein, tauscht die Lieder von den „Fleißigen Waschfrauen“ gegen ihre eigenen ein: „Dick/dünn/fressen, kotzen/noch ein Stück/was soll ich tun/ich werd'verrückt“. Die Mama heult, sie hat es doch immer gut gemeint, „hübsch Frauchen zu machen“. Maria beherrscht all die Posen, aber plötzlich ist da dieser Krampf, ver-rückt alles. Wohin kann sie aus-rücken? In Tabletten, Sprit, Mager- oder

Tobsucht?

Die Erkenntnis, daß, wer vom ersten Schrei an in Formen gepreßt wird, später aus der Form läuft und fällt, ist nicht neu. Bücher a la „Wir werden nicht als Mädchen geboren“ gibts ja mittlerweile stapelweise. Im Schnürschuh-Theater wird dennoch auf sehr fesselnde Weise gezeigt, wie normal es sein kann, einen „Sprung in der Schüssel“ zu haben, wenn die Lebensumstände zur Zerrissenheit zwingen.

Corinne Senkbeil, Christiane Rintelen und Karin Uthoff führen die Widersprüche in Szenen,

Filmsequenzen gleich, sehr anschaulich und treffend vor. Der Wiedererkennungswert ist dabei manchmal unangenehm groß. Voller Komik und Selbstironie hat Regisseurin Valerie Gruschenka das Stück inszeniert. Der Rhythmus sorgt jedoch dafür, daß sich das Lachen wie ein Nagel ins Hirn bohrt. Spätestens am Ende, wenn die Darstellerinnen die Rollen tauschen und zum Publikum werden, wird deutlich: Sie haben für eine Stunde einen Spiegel vorgehalten, erblickt werden Zerr-oder Vexierbilder. Elke Webe

20 Uhr, Kunsthalle

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