Krankenpflege: Patienten zweiter Klasse
Wer im Hospital landet, sollte eines nicht sein: alt und schwach. Immer wieder tun sich Kliniken schwer, Leute zu versorgen, die sich selbst nicht helfen können.
Der Krankenwagen hält, der Fahrer lädt seine Passagierin aus und rauscht davon - die Frau, im Rollstuhl und kaum bewegungsfähig, bleibt auf dem Gehsteig zurück. Kerstin Knoth, Heilpädagogin und Leiterin einer Wohngruppe für Behinderte der Werk- und Betreuungsstätte Ottendorf (WuB), gerät in Rage, wenn sie erzählt, was einer Bewohnerin ihres Hauses da in Kiel passiert ist: "Das ist ein Highlight an Schlechtigkeit."
Aber kein Einzelfall. Kliniken scheinen auf Pflegebedürftige nicht eingestellt zu sein. Immer wieder kommt es zu Missverständnissen und Fehlern. Knoth kann allein aus ihrem Heim eine ganze Reihe aufzählen: Ein Bewohner holte sich im Klinikbett Druckstellen. Bei Visiten würden die Behinderten ignoriert: "Viele denken, wer mit Spasmen im Rollstuhl sitzt, sei eh geistig behindert. Unsere Leute sind Patienten zweiter Klasse", fasst die Heilpädagogin zusammen.
Auch Ältere haben es nicht leicht in der Klinik. So stehen im Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) neben den Betten Glaskaraffen mit Wasser bereit. "Sehr schick", sagt die Angehörige eines Patienten. "Aber unhandlich und schwer. Ohne Hilfe hätte mein Vater sich nicht versorgen können."
UKE-Sprecherin Christine Jähn spricht von einem Einzelfall: "Pflege ist Pflicht, das Personal muss sich kümmern." Allerdings ist für Essen und Trinken ein Catering-Unternehmen zuständig. "Versorgungsassistenten" bringen die Tabletts, sollen dabei auch die Gläser nachfüllen. Gut zehnmal pro Tag komme ein Assistent ins Zimmer, sagt Jähn. Die Patienten-Tochter hat es anders erlebt: "Sie schenken nach, wenn sie eine Mahlzeit bringen, und auch das nicht immer. Und die Schwestern können nicht feststellen, wer was zu sich nimmt."
Grundsätzlich sei das UKE auf Pflegefälle aller Art eingerichtet, versichert die Pressestelle: Es gibt Fortbildungen, in denen das Personal den Umgang mit behandlungsunwilligen Demenzkranken lernt; Pflegebedarf werde bei der Aufnahme erfasst; das neue Klinikum sei barrierefrei. Und: Die Glaskaraffen werden durch leichtere aus Plastik ersetzt. "Das dauert einige Zeit, weil das Spülsystem darauf umgestellt werden muss", sagt Jähn.
Schleswig-Holstein geht einen eigenen Weg: Um zu verhindern, dass geriatrische Patienten im Krankenbett Muskeln und Beweglichkeit verlieren, sollen sie schnellstmöglich raus aus den Kliniken. Dafür starteten das Land, die Krankenhäuser und Krankenkassen ein Projekt, das auf ambulanter Weiterbehandlung basiert. Wohnen sollen die betagten Kranken zu Hause. Die Krankenkassen investieren rund 3,8 Millionen Euro und hoffen, mittelfristig Geld zu sparen, da Pflege vermieden wird. Bernd Krämer, Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft Schleswig-Holstein, betont: "Ältere erhalten die Behandlung, die sie brauchen" - etwas, das ein normales Krankenhaus offenbar nicht leisten kann.
Doch dass der Fehler im System liegt, mit zu dünner Personaldecke und wirtschaftlichen Zwängen zu tun hat, will Krämer so nicht unterschreiben: "Es gibt sicher Einzelfälle", sagt er. "Aber ich will das Vergütungssystem nicht verteufeln."
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