piwik no script img

Krankenkassenanalyse zu FehlzeitenPsychostress am Arbeitsplatz

Psychische Erkrankungen sind nach einer aktuellen Analyse bereits der zweithäufigste Grund für Fehlzeiten am Arbeitsplatz. Die Arbeitgeberseite relativiert das Problem.

Wie fühlen Sie sich bei der Betrachtung dieses Bildes? Bild: dpa

BERLIN/HAMBURG dpa | Depressionen und andere psychische Erkrankungen haben nach einer Analyse der Krankenkasse DAK-Gesundheit auch 2012 zugenommen. Dies werde für die Arbeitswelt „zunehmend zum Problem“, heißt es in einer Mitteilung vom Montag. Psychische Erkrankungen nahmen danach um vier Prozent zu und rückten erstmals auf Platz zwei aller Krankschreibungen.

Mehr Ausfalltage hätten nur Muskel- und Skeletterkrankungen verursacht. Für ihre Untersuchung wertete die DAK-Gesundheit die Daten von 2,7 Millionen Beschäftigten aus. Deren Krankenstand sank 2012 gegenüber dem Vorjahr leicht um 0,1 Prozentpunkte auf 3,8 Prozent.

Ein DAK-Versicherter war durchschnittlich 14 Kalendertage arbeitsunfähig. Immerhin meldete sich mehr als die Hälfte aller erwerbstätigen Versicherten (52,1 Prozent) im gesamten Jahr 2012 nicht ein einziges Mal krank.

Der Anteil psychischer Erkrankungen am Krankenstand steigt seit Jahren kontinuierlich. Krankschreibungen aufgrund psychischer Diagnosen dauern laut DAK-Gesundheit im Durchschnitt 33 Tage. Erst am Wochenende war bekannt geworden, dass die Krankheitstage aufgrund von Burn-Out-Syndrom innerhalb von acht Jahren bis Ende 2011 um das 18-fache gestiegen waren.

Psychischer Gesundheitsschutz

An diesem Dienstag will Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) das Thema psychische Gesundheit am Arbeitsplatz erstmals mit Arbeitgebern und Gewerkschaften gemeinsam angehen. Geplant war auch, eine gemeinsame Erklärung zur Verbesserung des psychischen Gesundheitsschutzes im Betrieb zu unterzeichnen. Dazu wird es aber nicht kommen, weil man sich nach Arbeitgeberangaben nicht abschließend einigen konnte.

Streitpunkt ist dem Vernehmen nach, ob in der Erklärung der – von den Gewerkschaften gewünschte – Hinweis auf eine von der Regierung zu schließende „Regelungslücke“ enthalten sein soll. Die IG Metall fordert seit langem eine Anti-Stress-Verordnung. Die Arbeitgeber lehnen dies als nicht praktikabel ab.

Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt räumte ein, Berufstätigkeit könne „natürlich“ eine Rolle bei der Entstehung psychischer Erkrankungen spielen, sei aber nie die alleinige Ursache. Es schade der Sache, wenn die Debatte über psychische Gesundheit „bisweilen mit falschen Zahlen, verzerrenden Darstellungen und unberechtigten Vorwürfen“ geführt werde. „Nach allen Untersuchungen haben psychische Störungen nicht zugenommen, sie werden nur häufiger diagnostiziert.“ Auch die Betriebe, so Hundt, seien an der psychischen Gesundheit ihrer Mitarbeiter interessiert.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • F
    Freidenker

    Jeder Mensch, der in seinem Leben schon mal mehrere Jahre Vollzeit in mehreren Firmen gearbeitet hat, kennt Überforderung. Alles andere ist nur eine dumme Ausrede oder das verzweifelte Anklammern an das Bild vom "starken Mann".

  • A
    anke

    Leser Jochim hat schon mal getrickst. Na und? Andere haben sich sogar umgebracht. Natürlich nur, um dem Arbeitgeber eine auszuwischen.

     

    Und nun mal im Ernst. Die gemeine Erkältung ist hierzulande noch immer die mit Abstand am weitesten verbreitete Krankheit. Sie dauert mit wie ohne Behandlung etwa sieben Tage, wovon der Patienten je nach Veranlagung zwei bis drei Tage lang richtig leidet. Dann verschwindet sie von selbst. Meistens spurlos. Wirklich schützen kann (und sollte) man sich davor nicht. Mit psychischen Leiden verhält es sich ein wenig anders.

     

    Ist eine Psyche erst einmal ruiniert, dauert die Genesung meistens länger. Sehr viel länger. Manchmal ein ganzes Rest-Leben lang. Die Patienten leiden häufig vom ersten bis zum letzten Tag, und zwar so sehr, dass einige von ihnen nicht überleben können. Psychischen Erkrankungen kann man vorbeugen. Und genau das sollte man tun. In vielen Fällen nämlich sind sie (allen anders lautenden Beteuerungen der Pharma-Industrie zum Trotz) noch nicht angemessen therapierbar. Außerdem sind psychische Erkrankungen ein ernst zu nehmendes Signal für das Umfeld des Patienten. Sie zeigen an, dass der Mensch "nicht artgerecht gehalten" wird. Zumindest deuten sie auf starke Diskrepanzen zwischen den Bedürfnissen des Individuums und dem Zustand seines Umfeldes hin. Und diese Diskrepanzen können nicht nur teure Folgen für die Solidargemeinschaft haben. Sie verringern auch die Chancen derer, die sie standhaft ignorieren. Weil Effizienz keine Frage des Maximums ist, sondern eine des Optimums. Soll heißen: Betriebe, in denen die Leute reihenweise eine Meise kriegen, arbeiten extrem ineffizient. Zumindest auf lange Sicht. Und so etwas rächt sich in der Wettbewerbsgesellschaft. Manchmal früher, manchmal später. Jedenfalls so lange, wie es noch Konkurrenten gibt, die weniger dämlich sind. Und bis der letze Rest Intelligenz in Grund und Boden konkurriert ist auf dieser Erde, kann es noch eine Weile dauern. Zu lange für viele schlecht geführte Unternehmen.

  • A
    anke

    Sie haben "Schwangerschaft" vergessen, lieber Wolfgang. Nein, Sie werden ermutlich in Ihrem ganzen Leben keine Burnout-Diagnose auf dem Krankenschein stehen haben. Jedenfalls keine, die was mit der Realität zu tun hat. Dazu machen Sie es sich entschieden zu leicht.

     

    Psychisch Kranke sind Simulanten, psychiatrische Diagnosen sind "prima" und psychologische Behandlungen kosten wenig. Dreimal dich daneben und trotzdem vorbei. Egal, richtig? Hauptsache, das Problem ist aus der Welt und das staunende Publikum hat eine Chance gehabt, den Besser-Wisser gebührend zu bewundern.

     

    Leider ist diese Art, mit Problemen umzugehen, recht weit verbreitet. Unter anderem in den oberen Etagen von Wirtschaft, Politik und Verwaltung. Und weil Probleme nicht einfach verschwinden, wenn man sie ignoriert, sondern sich da manifestieren, wo ihnen der geringste Widerstand begegnet, steigen die Fallzahlen. Aber das, nicht wahr, kann ja gar nicht sein. Leser Wolfgang hat es gerade widerlegt.

  • J
    Jochim

    Da ich mal ein paar Monate gezwungen war im absoluten Niedrigstlohnsektor zu arbeiten habe ich mir auch regelmäßig was psychisches einfallen lassen.Der Arzt wusste zweifelohne, worum es ging: Z.B. dass zwei Wochenkarten billiger als eine Momatskarte sind und dass der gezahlte Lohn für die angeforderten 40 Stunden/Woche in 20 schon dicke verdient war. So gesehen passte dass dann wieder.

  • W
    Wolfram

    Gehen sie zu einem x-beliebigen Hausarzt in Deutschland, weil sie vor lauter Dschungelcamp zu müde sind, um zur Arbeit zu gehen. Welche Diagnose wird wohl auf der Krankmeldung stehen? a) Oberschenkelfraktur b) Lungenentzündung c) burn-out. Die Diagnosen werden von den Krankenkassen erfasst und den Kategorien des international classification of deseases (ICD) zugeordnet. Diese Diagnosegruppen werden dann statistisch ausgewertet und unkommentiert veröffentlicht. Psychiatrische Diagnosen sind sowohl für den Patienten prima, da nur schwer widerlegbar und durch Fernbleiben von der Arbeit zu therapieren. Psychiatrische Diagnosen sind aber auch für die Hausärzte lukrativ und darüber hinaus für die Krankenkassen von Wert, da sie Geld in ihre Kassen spülen und meist wenig kosten. Quasi eine win-win-win-Diagnose. Und dann fangen alle an und schreien nach "Anti-Stress-Programmen". Burn-out ist letztendlich nichts anderes als eine Verlegenheitsdiagnose, mit der man alles und nichts begründen kann und der man hohe gesellschaftliche Akzeptanz entgegenbringt. Eine Stilblüte eines hausärztlich dominierten Gesundheitssystems, die den gleichen Krankheitswert besitzt wie z.B. "Pubertät" oder "Wechseljahre".