: Kraftprobe in Sabah
■ Der Chefminister des ostmalaysischen Bundesstaates kann sich im Konflikt mit der Zentralregierung durchsetzen
Bangkok (taz) – Schließlich half auch die Unpäßlichkeit des Gouverneurs nichts. Er mußte den am Wochenende gewählten Chef der wichtigsten lokalen Partei zum Chefminister des ostmalaysischen Bundesstaates Sabah machen: Joseph Pairi Kitingan und seine Parti Bersatu Sabah (PSB) hatten die Kandidaten der Malaysias Hauptstadt Kuala Lumpur regierenden National Front knapp besiegt.
Nach der Bekanntgabe des Wahlergebnisses erschien Pairin am Samstag abend vor der Residenz des Gouverneurs, um sich vereidigen zu lassen. Doch er fand das Tor fest verriegelt. Der Gouverneur sei indisponiert, so die Auskunft der Wachen. Zwei Nächte harrte Pairin in seinem Auto vor dem Gebäude aus. Erst am Montag gab der Gouverneur nach und bestätigte Pairin als Chefminister.
Premierminister Mahathir Mohamad, der eine Rückkehr Pairins – der das Amt schon dreimal innehatte – gern verhindert gesehen hätte, hatte den Politiker beschuldigt, er wolle die Menschen in Sabah gegen die westmalaysische Halbinsel aufstacheln: „Will die PSB dieses Land in ein Bosnien- Herzegowina oder Nordirland oder Kaschmir verwandeln“, hatte Mahathir geknurrt. Pairin, der Häuptling des lokalen Kadazan- Volkes ist, wirft der Zentralregierung vor, das föderale Malaysia in ein zentralistisches und vereinheitlichtes Land verwandeln zu wollen. Er fordert mehr politische und steuerliche Autonomie für die Bundesstaaten – besonders seinen eigenen, Sabah, der reich an natürlichen Ressourcen ist. Das Verhältnis zur Zentrale solle sich auf „gegenseitiges Verständnis und das Wissen um die jeweiligen Rechte, Pflichten und Verantwortlichkeit“ gründen, so das Wahlmanifest der PBS. Die Auseinandersetzungen zwischen Kuala Lumpur und dem rebellischen Staat im Norden Borneos wurzeln in einem viel tiefer liegenden Konflikt, der in der malaysischen Föderation seit ihrer Gründung vor drei Jahrzehnten angelegt ist.
Der Bundesstaat Malaysia entstand 1963 aus neun malaysischen Sultanaten und den Provinzen von Penang und Malacca (der Föderation von Malaya), dazu kamen das chinesisch-dominierte Singapur und die britischen Protektorate von Sarawak und Nordborneo (heute Sabah). Der erste ethnische Konflikt innerhalb dieses Gebildes entbrannte im Jahr 1965, als Singapur aus der Föderation ausgeschlossen wurde. Die Malayen, die sich von der wirtschaftlichen Dominanz der Chinesen bedroht sahen, befürchteten, zur Minderheit im „eigenen“ Land zu werden.
Dennoch blieb die ethnische Balance des Landes prekär: rund 50 bis 55 Prozent Malayen, 30 Prozent Chinesen, 8 Prozent Inder und der Rest verschiedene Stammesvölker. Nach antichinesischen Ausschreitungen im Jahr 1969 versuchte die Regierung, dem wirtschaftlichen Ungleichgewicht zwischen den in Handel und Industrie dominierenden Chinesen und den überwiegend ruralen Malayen entgegenzuwirken. Die Malayen erhielten als „Bumiputras“ – „Söhne des Bodens“ – einen Sonderstatus und errangen allmählich einen wachsenden Anteil am gesellschaftlichen Reichtum. Und die Wirtschaft entwickelte sich schnell: Malaysia wurde zum „Schwellenland“.
Aber parallel zum malaysischen Wirtschaftswunder gab es einen weniger populären Versuch, eine im Grunde multi-ethnische und multi-kulturelle Föderation in ein muslimisch-malaysisches Land zu transformieren. Islam ist Staatsreligion, Malaysisch Nationalsprache, und der Gebrauch anderer Sprachen wird nicht so gern gesehen. Auf der malaysischen Halbinsel hat dies die chinesische und die indische Geschäftswelt überwiegend murrend akzeptiert.
In Sarawak und Sabah ist die Situation prekärer. Diese beiden Staaten sind viel größer als die malaysische Halbinsel, aber hier leben nur 25 Prozent der Bevölkerung. Die Mehrheit gehört lokalen Stämmen an und gilt nach der Verfassung als „Bumiputras“. Aber die meisten sind entweder Christen oder Animisten. Nur wenige sind Muslime, und sie sprechen Malaysisch nur als Zweitsprache.
Die urwaldreichen Staaten Sabah und Sarawak fungieren vor allem als Quelle von Holz und anderen Rohstoffen. International bekannt ist vor allem der Versuch des im Regenwald beheimateten Penan-Volkes, Widerstand gegen die Abholzung zu leisten. „Nach der Verfassung sind wir Bumiputras, aber weil wir weder Malaysen noch Muslime sind, fühlen wir uns als Bürger zweiter Klasse behandelt“, so ein Angehöriger des Iban-Volkes in Sarawak. Anderersetis werden Leute, die nicht Bumiputra- Bevölkerungsgruppierungen angehören, als Bumiputras behandelt – wenn sie Muslime sind. Das beste Beispiel dafür ist vielleicht Premier Mahathir selber: Er ist zwar kein Malaye, aber ein indischstämmiger Muslim. Mit der Rückkehr Pairins an die Macht in Sabah ist der Konflikt für den Moment entschärft. Beigelegt ist er ganz gewiß nicht. Bertil Lintner
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen