: Kraftprobe in Nicaragua
■ Sandinistische Gewerkschaft probt den Generalstreik gegen Chamorros Wirtschaftspolitik / „Das ganze Land lahmlegen“ / Regierung: Streik ist illegal / Gewerkschaftsführer kurzzeitig verhaftet /
Managua (afp) - In Nicaragua bahnt sich eine Machtprobe zwischen der Regierung von Präsidentin Violeta Chamorro und den Sandinisten an. Ein am Montag von der sandinistischen Gewerkschaft „Nationale Front der Arbeiter“ (FNT) ausgerufener Generalstreik findet jeden Tag mehr Unterstützung. Am Dienstag betrug die Zahl der Streikenden 45.000, am Mittwoch bereits 70.000. Gestern wollte sich die Gewerkschaft der Bankangestellten dem Ausstand anschließen, der bereits von verschiedenen Industriezweigen sowie den Beschäftigten des Post- und Fernmeldewesens befolgt wird. Sogar die Studenten und die Oberschüler haben mit Protesten begonnen; sie und ihre Lehrer sind von der Streichung der Zuschüsse für Fahrtkosten zu Bildungseinrichtungen betroffen. Angesichts der Ausweitung des Streiks auf Teile des öffentlichen Dienstes hat die Regierung vor Behörden Bereitschaftspolizei aufziehen lassen.
Die Streikenden fordern einen monatlichen Mindestlohn von umgerechnet 340 D-Mark, einen gesicherten Arbeitsplatz, Mitspracherechte bei der Gestaltung der Wirtschafts- und Sozialpolitik sowie die Rücknahme des Dekrets, das die Rückgabe der von den Sandinisten beschlagnahmten Güter an ihre früheren Besitzer vorsieht. Der frühere sandinistische Staatspräsident Daniel Ortega erklärte sich mit den Streikenden solidarisch und warf der Regierung vor, eine „volksfeindliche“ und „autoritäre“ Politik zu betreiben, die an die Zeiten der Somoza-Diktatur erinnere. Er appellierte an die Bevölkerung, den Streik der FNT durch „Volkshilfe“ zu stützen, betonte jedoch, daß die sandinistische FSLN den Streik nicht anführe.
Acht von der nicaraguanischen Polizei am Mittwoch in Managua festgenommene Führer der FNT wurden nach zweistündigem Verhör am Abend wieder auf freien Fuß gesetzt. Sie waren von Bereitschaftspolizisten in dem Gebäude festgenommen worden, in dem sie eine Pressekonferenz abhalten wollten. Sie wurden in das Polizeipräsidium gebracht, wo sie nach ihrer Freilassung von einer tausendköpfigen Menge begeistert empfangen wurden.
Einer der freigelassenen Gewerkschafter erklärte am Abend, Polizeichef Rene Vivas habe ihm und seinen Kollegen während der Vernehmung gesagt, die Regierung betrachte den Streik als illegal. In Wirklichkeit aber sei nicht der Streik, sondern die Regierung Chamorro mit ihrer Wirtschafts- und Sozialpolitik verfassungswidrig. Falls die Regierung keine Bereitschaft zu Verhandlungen erkennen lasse, werde der Streik „solange fortgesetzt, bis das ganze Land lahmgelegt“ sei. Arbeitsminister Francisco Rosales will dem Vernehmen nach über Löhne mit sich reden lassen, hat Verhandlungen über die Wirtschaftspolitik jedoch kategorisch ausgeschlossen.
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