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Kräftig vertaktiert

■ betr.: „Bosnische Konsequenz“, (Fischer-Brief), taz vom 2. 8. 95

[...] Tatsächlich weiß auch Joschka Fischer, daß Menschenrechte nicht mit Waffengewalt freigeschossen und herbeigebombt werden können. Wer mit militärischen Machtmitteln droht beziehungsweise diese einsetzt, muß die grenzüberschreitende Eskalation des Konflikts einkalkulieren. Wer dagegen Menschenleben im „Pulverfaß Balkan“ retten will, muß – sofort – Europas Grenzen für Flüchtlinge öffnen und für Waffen schließen. Danach können die Maßnahmen nichtmilitärischer Einflußnahme auf allen Ebenen (politisch, wirtschaftlich etc.) konsequent durchgeführt werden.

Wer dagegen – wie Joschka Fischer, die Landesvorstandssprecherin Barbara Graf oder der Landtagsabgeordnete Michael Jacobi – nach dem Einsatz von Militäreinheiten ruft, der braucht kampfgeschulte Soldaten, funktionierende Militärstrukturen in Heer, Marine und Luftwaffe und ausreichende Rüstungskapazitäten zur Produktion zielgenauer und schlagkräftiger High-Tech- Waffensysteme. Und er muß sagen, mit welcher Kampfstrategie, welcher Stärke, welcher Bewaffnung und für welche Dauer er die Militäreinheiten ins Schlachtfeld führen will.

Daß zivile Konfliktlösungskonzepte in der Politik der deutschen Bundesregierung, der Europäischen Union, der Nato und der Vereinten Nationen in keiner Weise zur Umsetzung gekommen sind, ist weder Schuld der Grünen noch der Friedensbewegung. Längst hat die Bundesregierung die Massaker im ehemaligen Jugoslawien instrumentalisiert, um ganz andere Interessen durchzusetzen. So haben Bundeskanzler Kohl und Außenminister Kinkel erkannt, daß sich der Balkankrieg hervorragend dazu eignet, Kampfeinsätze der Bundeswehr out of area zu legitimieren. Auch Joschka Fischer steht nun in der Gefahr, die Opfer auf dem Balkan aus den Augen zu verlieren.

Sollte es Fischer tatsächlich um den Beweis seiner „Regierungsfähigkeit“ gehen, so hat er sich kräftig vertaktiert. Wer glaubt, über die Aufgabe pazifistischer Konzepte Außenminister werden zu können, täuscht sich – denn Regierungsbeteiligung wird es auf diesem Wege nicht geben. Den Bündnisgrünen jedenfalls würden bei der nächsten Bundestagswahl die Stimmen von AntimilitaristInnen wie PazifistInnen fehlen. [sic! d.sin] Statt dem angestrebten Regierungswechsel führt Fischer die Partei dann in die Spaltung. Jürgen Grässling,

Mitglied von B'90/Grüne, Vorsit-

zender des Rüstungs-Infobüros

Baden-Württemberg

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