Krach zwischen Kirchen und Koalition: Die Krux mit dem C
Die schwarz-gelbe Koalition wird wohl nicht für eine geistig-moralische Wende sorgen wie Helmut Kohl 1983. Die Kirchen befürchten deshalb, dass das "C" künftig klein geschrieben wird.
Worüber manche so lachen. Prälat Karl Jüsten, Leiter des Kommissariats der deutschen Bischöfe in Berlin, wandte sich an die frisch wieder gewählte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). "Sie müssen mit uns weiter rechnen", sagte Jüsten, der so etwas wie der Cheflobbyist der katholischen Kirche in der Hauptstadt ist, kokett - und erntete ein Lachen des Publikums. "Auf weitere gute Zusammenarbeit." Dann gingen die hunderte Gäste des Sankt-Michael-Jahresempfangs der Katholischen Kirche in Deutschland zum Buffet der Katholischen Akademie in Berlin.
Der Empfang der Katholiken ist bekannt für sein üppiges Essen, den ordentlichen Wein und dafür, dass man hier das katholische Establishment der Bundesrepublik einmal im Jahr zuverlässig treffen kann. Auch die neue/alte Kanzlerin gab sich mal wieder die Ehre. Seit Adenauers Zeiten bemühen sich die Regierungschefs Deutschlands immer wieder zu diesem Empfang - vor allem die Kanzler mit dem "C" im Parteinamen. Hier sind die Bataillone, die es zu halten gilt. Traditionell ist dies ein Heimspiel für jeden CDU-Kanzler. Angela Merkel sah man an diesem Abend ziemlich entspannt.
Streitpunkt Papstkritik
Das aber könnte sich bald ändern. Seit Jahren knirscht es gewaltig im Verhältnis von Union und katholischer Kirche - und bei der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sieht es noch schlechter aus. Leuchteten vor 26 Jahren angesichts einer von Helmut Kohl (CDU) angekündigten "geistig-moralischen Wende" durch die schwarz-gelbe Koalition noch die Augen der deutschen (katholischen) Bischöfe, sind die Erwartungen in die neue bürgerliche Regierung des Jahres 2009 im deutschen Episkopat mehr als nüchtern. Ja, die Spannungen zwischen den Kirchen und der neuen Bundesregierung sind programmiert.
Woran liegt das? Der erzkonservative Kölner Kardinal Joachim Meisner hat in den vergangenen Jahren schon des Öfteren in Interviews getönt, die CDU/CSU werde ihrem "C" im Namen nicht mehr gerecht, eigentlich müsste sie sich umbenennen. Eine "geistig-moralische Wende" erwartet, anders als 1983, in der Politik- und Kirchenszene kaum jemand - auch weil die letzte von Kohl so schnell abgeblasen wurde.
Dazu kommt der Ärger, der schon jetzt bei Kirchens über die Unionsoberen herrscht. Die Ehe-Eskapaden des so katholisch auftretenden CSU-Parteichefs Horst Seehofer wurden mit hoch gezogenem Augenbrauen registriert. Fassungslos war man in der katholischen Kirche, dass ausgerechnet Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU), lange Jahre Vizechefin des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken (ZdK), erfolgreich dafür kämpfte, die Möglichkeiten der embryonalen Stammzellforschung auszuweiten - also die Fummelei am ungeborenen Leben zu fördern, um es im Jargon vieler Katholiken, aber auch gentechnikkritischer Grüner zu sagen. Und richtig entsetzt waren weite Teile des katholischen Deutschland, als es Merkel im Frühjahr wagte, den "deutschen" Papst Benedikt XVI. wegen seines Vorgehens in der Affäre um den Holocaust-Leugner Richard Williamson zu kritisieren.
So diente der Besuch Merkels auf dem Empfang in Berlin auch dazu, diese Wogen zu glätten. Der einflussreiche katholische Publizist Dirk Hermann Voß, Konsultor, also Berater des päpstlichen Medienrates, schrieb vor der Bundestagswahl in der Katholischen SonntagsZeitung, "in CDU-Kreisen" werde gemunkelt, Merkels Papstkritik könnte der Union rund 200.000 Stimmen kosten. Und er mahnte, dass das katholische Milieu ja auch andere Parteien als CDU/CSU wählen könnte: "Die ÖDP ist dabei nur eine denk(zettel)bare Alternative."
Es ist für die Kirchen, vor allem für die katholische, kein Dreamteam, was da bald im Reichstag als neue Regierung vereidigt wird: eine kinderlose, geschiedene Protestantin als Kanzlerin und ein schwuler, einst die volle rechtliche Gleichstellung der Homoehe fordernder Vizekanzler - das lässt Kirchenfürsten nicht gerade Halleluja schreien. Und wird Guido Westerwelle (FDP) seinen Amtseid mit einem "So wahr mir Gott helfe" versehen? Auch das ist ein Zeichen für sie.
Doch es geht nicht nur um die führenden Personen. Auch inhaltlich stinken manche Vorhaben oder Perspektiven der neuen schwarz-gelben Koalition den Kirchen gehörig, mal mehr der katholischen, mal mehr der evangelischen: Da ist die absehbar immense Schuldenmacherei der Regierung Merkel, der die Kirchen vorwerfen, mit einer solchen Politik versündige man sich an kommenden Generationen - zumal niemand weiß, wie diese Schulden denn je wieder abgebaut werden könnten.
Da ist der geplante Ausstieg aus dem Atomausstieg, der vor allem den Beschlüssen der EKD diametral widerspricht. Der Ladenschluss am Sonntag, den die FDP gerne lockern will, ist den Kirchen eine heilige Kuh, besser: ein Anliegen. Eher progressive Bischöfe beider Volkskirchen fürchten, dass die arme Unterschicht in Deutschland unter einer schwarz-gelben Koalition vollends abgekoppelt werden könnte. Und der mögliche Zuwachs der Freiheiten für die Genforschung auch mit Menschen vergrault die Kirchenleute als Eingriff in die Schöpfung.
Hinzu kommt der Ausbau an Kindertagesstätten, den einige katholische Bischöfe als einen Angriff auf das traditionelle Familienmodell missverstehen. Von der FDP befürchten die Kirchen, dass die Neoliberalen jede Beschränkung des Kapitalmarktes oder der Managerboni torpedieren könnten. Auch FDP-Aussagen gegen den Mindestlohn und für einen geringen Kündigungsschutz verstehen gerade katholische Bischöfe als Verstöße gegen die christliche Soziallehre. Dass Bildung immer mehr zu einem Gut nur für die Elite werden könnte, schreckt andere.
Dass weite Teile der FDP zumindest früher für einen Wegfall der Kirchensteuer waren, ist vielen Oberhirten noch in schlechter Erinnerung. In der evangelischen Kirche ist zudem zu hören: Da die FDP ja versprochen habe, unbedingt Steuern zu senken, werde dies wohl durch einen Abbau direkter Steuern geschehen, während die indirekten Steuern zum Ausgleich steigen könnten. Dies aber würde einerseits alle armen Leute treffen, die konsumieren müssen - und andererseits automatisch die Kirchensteuereinnahmen verringern, die an die (direkte) Einkommensteuer gekoppelt ist.
All diese Befürchtungen zeigen: Der Einfluss christlich geprägter Politiker ist eher gesunken. Die kirchenpolitische Sprecherin der SPD, Kerstin Griese, hat es nicht mehr in den Bundestag geschafft. Ebenso wenig der CDU-Kämpfer gegen die embryonale Stammzellforschung, Hubert Hüppe. Die kirchenpolitischen Sprecher von CDU, FDP und Grünen sind nur über die Landesliste in den Bundestag gerutscht, Bodo Ramelow von den "Linken" sitzt nun in Erfurt fest.
Zwei Mitglieder der EKD-Synode, Andreas Weigel und Markus Meckel, blieben außerhalb des Parlaments. Schavan, so sagen Gerüchte, könnte die längste Zeit Ministerin gewesen sein - aber von der erwartet man sowieso nicht mehr viel. Die beiden christlich angehauchten Spitzensozis Kurt Beck und Franz Müntefering spielen keine große Rolle mehr. Auch der gläubige Christ, Exvizekanzler und Neu-SPD-Fraktionschef Frank Walter Steinmeier, noch vor zwei Jahren Ehrengast einer Geburtstagsfeier des EKD-Ratsvorsitzenden Wolfgang Huber, ist auf dem absteigenden Ast.
Die Kirchen haben keine große Lobby mehr in der deutschen Politik - und auch unter Schwarz-Gelb wird ihre Einfluss wohl eher sinken als steigen. Das mag begrüßen, wer die Macht der Volkskirchen in Deutschland sowieso für zu groß erachtet oder die strikte Trennung beider Sphären fordert.
Der Sankt-Michael-Empfang ließ jedoch erhoffen, dass mancher Druck der Kirche auf die Politik auch heilsam sein könnte. "Worauf kommt es in der neuen Legislaturperiode an?", fragte der Vorsitzende der Bischofskonferenz, der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch, in einer Rede vor der Eröffnung des Buffets. Er mahnte das Publikum samt Kanzlerin: "Wir brauchen nicht nur klare Spielregeln und Schiedsrichter innerhalb der Gesellschaft und auf dem Markt, sondern auch Spieler, die verantwortungsvolles Verhalten zeigen." Die "Schere zwischen Arm und Reich" gehe immer weiter auseinander. Die "gigantische Schuldenlast" dürfe nicht an die nächste Generation weiter gegeben, sondern müsse vielmehr nach und nach getilgt werden. Zollitsch warnte - und dies wohl auch mit Blick auf die FDP: Erschüttert sei die Vision, alle Individualinteressen fügten sich harmonisch zum Gemeinwohl, wenn man sie "ausschließlich den bekannten Marktmechanismen" überlasse. "Christliche Politik verliert die an den Rand Gedrängten, diejenigen, die keine Lobby und keine Stimme haben, nicht aus den Augen."
Gerade die katholischen Bischöfe haben sich nach 1998 zunächst schwergetan mit dem neuen rot-grünen Kanzler Schröder, der gottlos-schnöde seinen Amtseid ableistete. Doch man hat sich relativ schnell miteinander arrangiert. Und mit der großen Koalition lief es noch besser. Gut möglich deshalb, dass diese Jahre den Kirchenoberen bald als die gute alte Zeit erscheinen werden. Der lang anhaltende Beifall für Kanzlerin Merkel an diesem Abend in Berlin wird rasch verhallt sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Machtkämpfe in Seoul
Südkoreas Präsident ruft Kriegsrecht aus