Kottbusser Tor: Kampf um Bleiberecht für Junkies
Rund 80 Anwohner demonstrieren für ein drogenfreies Kottbusser Tor. Doch Kiez-Aktivisten halten dagegen - sie wollen keine Verdrängung.
![](https://taz.de/picture/360885/14/kotti_01.jpg)
Das Wetter am Kottbusser Tor ist frostig, die Stimmung erhitzt. Einige halten Fotos von herumliegenden blutigen Spritzen in der Hand, andere skandieren "Dealer raus!". Ein kleiner Mann erhebt sich aufs Podest und klagt über die Verhältnisse am Kottbusser Tor: über die Spritzen im Sandkasten, Dealer, die Kinder auf dem Schulweg ansprechen, aber auch die Ignoranz der Stadtpolitiker: "In Kreuzberg leben viele Migranten, die nicht wählen dürfen, und deswegen interessieren sie die Politiker nicht." Dabei hätte die Politik am Bahnhof Zoo bewiesen, dass sie gegen die Drogenszene etwas tun könne.
So wie einst der Bahnhof Zoo hat sich der "Kotti" über die Jahre hinweg zu einem sozialen Brennpunkt entwickelt. Der Drogenhandel hat hier in den 90er-Jahren seine Wurzeln geschlagen, und die Präsenz von Dealern und Junkies hat sich seitdem in das Kiezbild eingeprägt. Am Samstag gingen deswegen rund 80 Anwohner auf die Straße und forderten auf ihrer Demo ein drogenfreies Kottbusser Tor.
Der Sprecher der Initiative beendet seinen emotionalen Auftritt mit der Forderung: "Reinigen Sie das Kottbusser Tor!" In dem Augenblick macht eine kleine Gruppe ihre Unzufriedenheit über den Redner bemerkbar. "Junkies bleiben, Yuppis vertreiben" steht auf einem ihrer Plakate. "Schlipsträger nach Mitte", lautet ein anderer Slogan.
Die Aktivisten sind Anhänger der Kampagne "Wir bleiben alle", die gegen die wirtschaftliche "Aufwertung" von Berliner Wohngegenden protestiert. Damit gehe eine Verdrängung von sozial schwachen und Otto Normalmietern aus ihren vertrauten Vierteln einher, so die Aktivisten. Auf ihrem Flyer beschreiben sie den Zusammenhang zwischen dem Drogenproblem und der Verdrängung: Die Aufwertung anderer Gegenden habe zur Verdichtung der Drogenszene am Kottbusser Tor geführt. Sollte diese Tendenz sich fortsetzen, würde das steigende Mietpreise zur Folge haben - die jetzigen Anwohner müssten abwandern. "Die Eltern, die heute noch über Spritzen im Sandkasten klagen, finden diese bald wieder am Rand von Berlin, wenn sie aus ihrer Wohnung ausziehen mussten", heißt es im Text.
Die Atmosphäre zwischen den beiden Meinungsgruppen ist angespannt. Es wird lautstark diskutiert, eine Einigung scheint kaum möglich. Auch unter den protestierenden Anliegern herrscht kein Konsens über die Lösung des Drogenproblems. Die Anwohnerinitiative "Mütter ohne Grenzen" ruft nach polizeilicher Repression. "Junkies und Dealer vor den Reichstag" heißt ihre Antwort auf die Frage, wohin mit der Szene. Andere halten die Verdrängung der Drogenabhängigen auf lange Sicht hin für unrealistisch und sprechen sich für eine Lösung des Problems vor Ort aus.
Klaus Buchelt, Mitglied des hiesigen Quartiersrats, plädiert für das letztere Lösungskonzept: "Wenn man die Junkies vertreibt, kommen sie wieder zurück. Wir müssen ein Hilfsangebot für Süchtige vor Ort schaffen, und zwar rund um die Uhr." Der bald geschlossene Druckraum in der Dresdner Straße, wo die Junkies saubere Spritzen und Suchtberatung erhalten konnten, habe seinen Zweck nicht erfüllt, weil das Angebot mager ausgefallen sei: Nur vier Stunden am Tag konnten sich die Fixer dort aufhalten.
Ob Buchelts Empfehlungen Erfolgschancen haben, ist noch ungewiss. Der jüngste Vorschlag, eine Infrastruktur für Süchtige auf der Verkehrsinsel unter der Hochbahn aufzubauen, wurde vom Bezirk abgelehnt.
ADÉLA JURECKOVÁ
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