Kostenlose Verhütungsmittel: Pille für umme
Was Wohlfahrtsverbände schon lange fordern, wollen jetzt auch einige Politiker: kostenlose Verhütungsmittel für Hartz-IV-Empfängerinnen.
BERLIN taz | Die Gratispille. Wohlfahrtsverbände fordern sie schon lange, die Kostenübernahme von Verhütungsmitteln für Hartz-IV-Empfängerinnen. Aber seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, dass es über die Regelsätze hinaus Mittel für einen "unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarf" geben muss, hat die Diskussion deutlich an Fahrt gewonnen. Das rot-grüne Bremen und das rot-schwarze Mecklenburg-Vorpommern planen eine gemeinsame Bundesratsinitiative, in Niedersachsen hat die Linke das Thema in den Landtag gebracht und der Paritätische Gesamtverband hat einen offenen Brief an Sozial-, Gesundheits- und Familienministerium geschrieben.
Das Thema ist knifflig. Für Bundesregierung und Krankenkassen muss das Urteil die Büchse der Pandora sein. Schließlich müssten sie die Umsonstverhütung bezahlen. Nach ersten Schätzungen wären das 130 Euro pro Frau und Jahr. Bundesweit würde eine Verhütung für alle gesetzlich versicherten Frauen 1,3 Milliarden Euro kosten.
Beschränkte man die Zahlung auf Frauen zwischen 20 und 30 Jahren, käme man auf etwa 140 Millionen Euro. Bezahlte man die Verhütung nur für Hartz-IV-Empfängerinnen, würde das 160 Millionen Euro kosten. Spätestens jetzt geht es um Weltanschauung. Soll eine Versorgung für alle Frauen her oder nicht? Unter den Bundesländern ist man sich noch unschlüssig.
In Bremen lehnt man sich besonders weit aus dem Fenster. Im Dezember hatte sich Gesundheits- und Sozialsenatorin Ingelore Rosenkötter (SPD) eine Abfuhr beim Bundessozialministerium abgeholt, als sie eine Erhöhung der Regelsätze forderte.
Derzeit müssen Hartz-IV-Empfängerinnen die Kosten für Verhütungsmittel aus dem monatlichen Regelsatz von 359 Euro zahlen. Für die Gesundheitspflege sind davon 14,36 Euro vorgesehen. Die Pille kostet rund 13 Euro, andere Verhütungsmittel sind noch teurer.
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Die Krankenkassen - zumindestens die gesetzlichen - übernehmen für Frauen bis zum vollendeten 20. Lebensjahr die Kosten für Verhütungsmittel. Sofern sie ärztlich verordnet sind.
Die Pille kostet monatlich zwischen sechs und achtzehn Euro, für eine Spirale, die für fünf Jahre eingesetzt wird, bezahlt man zwischen 120 und 350 Euro.
Ein Kondom gibt es schon ab 20 Cent.
Eine Abtreibung kostet etwa 400 Euro.
"Da zahlt eine Frau, die Hartz IV bezieht, eher mal den Schulzirkel für ihr Kind", heißt es aus der Bremer Sozialbehörde. Im Februar hatte Rosenkötter erneut die Übernahme der Kosten für Hartz-IV-Empfängerinnen gefordert - diesmal sollten aber die Krankenkassen zahlen. Die wiederum sollten die Kosten vom Bund zurückerstattet bekommen.
Nun gibt es neue Gedankenspiele in Bremen: Alle Frauen sollen, unabhängig von der Höhe ihres Einkommens, ein Anrecht auf kostenlose Empfängnisverhütung haben. "Das ist ein Gesamtfrauenthema", sagt der Sprecher der Bremer Gesundheitsbehörde. Dass man angesichts der finanziellen Situation von Bund und Krankenkassen eine kostenfreie Pille für alle wirklichkeitsfremd finden kann, dessen ist man sich in Bremen durchaus bewusst.
Dennoch verspricht man sich "einen gewissen Druck und eine gewisse Aufmerksamkeit" von der Initiative. Wie die in der Abstimmung mit Mecklenburg-Vorpommern aussehen wird, ist noch unklar. Und inwiefern auch Männer Adressaten sein sollen, noch nicht diskutiert.
Sicher scheint, dass sich das Bundessozialministerium für eine solche Initiative nicht erwärmen kann. "Die Kosten für die Empfängnisverhütung sind selbst zu tragen" - damit hat man bereits den Vorschlag des Paritätischen Wohlfahrtsverbands beschieden. Das war zwar vor Einführung von Hartz IV der Fall, doch damals konnten die Sozialhilfeempfängerinnen Extrazahlungen beantragen.
Seitdem hat sich die Situation nach Meinung der Sozialverbände verschärft. Belegkräftige Statistiken zu einem Zusammenhang zwischen der finanziellen Lage von Hartz-IV-Empfängerinnen und der Zahl von Schwangerschaftsabbrüchen gibt es nicht.
Die Diakonie Niedersachsen wandte sich im Herbst vergangenen Jahres dennoch an die Öffentlichkeit: Immer mehr Frauen kämen zur Beratung, die ungewollt schwanger seien, weil ihnen das Geld für die Verhütung fehlte. Auch für Wiltrud Schenk vom Berliner Zentrum für sexuelle Gesundheit und Familienplanung ist der Zusammenhang "ganz eindeutig".
In der Stadt erhalten Menschen mit niedrigem Einkommen kostenlos Verhütungsmittel. "Viele sagen: Hätte ich das gewusst, wäre es nicht so weit gekommen", meint Schenk. Die Stadt unterhält vier solcher Beratungszentren, in die nicht nur Hartz-IV-Empfänger, sondern auch Studierende kommen können. Denn niedriges Einkommen bedeutet hier 718 Euro für einen Alleinstehenden, plus Kaltmiete.
In Berlin werden neben der Pille auch teurere Alternativmittel bezahlt. Im Jahr 2009 kostete das die Stadt 2,5 Millionen Euro, Tendenz steigend. Man kann es erstaunlich finden, dass die Vorstöße für eine Kostenübernahme aus finanziell klammen Ländern wie Berlin und Bremen stammen.
In der Hauptstadt findet man es naheliegend: "Es ist eine Hilfe, die die Leute brauchen", so die Senatsverwaltung für Gesundheit. Die Möglichkeit zur Familienplanung sei schließlich kein Luxus. Eine Frage taucht häufig in der Diskussion auf: Warum übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen und die Länder, die für die Kosten von Schwangerschaftsabbrüchen aufkämen, nicht auch die Kosten für Verhütung? Und: Ließe sich nicht Geld sparen, wenn man die Verhütung finanzierte?
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