Kostenlose Sprachnachhilfe vor dem Aus: Das soll einer verstehen

Weil die Förderung ausläuft, steht die kostenlose Sprachnachhilfe im sozialem Brennpunkt Soldiner Kiez im Wedding vor dem Aus. Das Projekt hofft nun auf private Geldgeber.

Wenn die kostenlose Sprachnachhilfe schließen muss, hilft nur noch das Wörterbuch. Bild: brezelwurst/photocase.de

Es gibt Momente, da erträgt es Herbert Weber kaum. Zum Beispiel, wenn Politiker im Fernsehen behaupten, sie geben mehr Geld für Bildung aus, und es dann nicht tun. Oder wenn die Kinderbibliothek im Wedding dichtmacht, weil der Senat die Hilfen kürzt. Und wenn der 45-Jährige davon spricht, dass auch ihm sämtliche Gelder gestrichen wurden und er deshalb wohl die Nachhilfe im Medienhof in der Prinzenallee zumachen muss, dann hebt er seine Stimme und lässt seiner Wut freien Lauf.

Weber ist Projektleiter von "Sprint", einem Förderungsprojekt im Wedding, bei dem SchülerInnen nichtdeutscher Herkunft kostenlose Sprachförderung und Nachhilfe von Lehramtsstudenten erhalten.

"Sprint", eine Wortmischung aus "Sprache" und "Integration", verdeutlicht die Philosophie des Projekts: Integration liegt im Sprachbereich und erfolgt auch durch gute Deutschkenntnisse. "Die Schüler sollen bei uns ihre sprachliche Benachteiligung durch einen Sprint aufholen", so Weber zum Projektnamen. Seit 2006 gibt es das Projekt - 50 Studierende sind an sieben Schulen im Wedding aktiv und unterrichten 300 Schüler der Klassen 5 bis 10. Beide Seiten profitieren: Während Kinder und Jugendliche ihr Deutsch verbessern, sammeln die Lehramtsstudenten Praxiserfahrung.

Anfangs finanzierten Stiftungen und das Quartiersmanagement Soldiner Straße das Projekt, dessen Träger der Verein "Regionale Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie" ist. Bis 2012 ist die Finanzierung für den Sprachunterricht an den Schulen gesichert. Doch für den Medienhof als Anlaufstelle gibt es ab 2011 kein Geld mehr. Webers einzige Hoffnung ist, dass Privatleute sein Projekt unterstützen. "Die Eltern der Schüler sammeln bereits Unterschriften", sagt er.

Seit einem Jahr unterrichtet Nalan Yagci an der Andersen-Grundschule im Soldiner Kiez. Die 24-Jährige studiert Lehramt an der Freien Universität (FU), ist in Deutschland geboren, ihr Vater kommt aus der Türkei. Yagci spricht besser Deutsch als Türkisch. Alle Kinder kämen freiwillig zum Sprachunterricht, betont sie. "Die meisten sind schon sehr gut in Deutsch, wollen aber noch besser werden."

Die Studierenden bekommen für ihren Einsatz 10 Euro pro Unterrichtsstunde. Der Unterricht beinhaltet sowohl gezielte Sprachförderung für Nichtmuttersprachler als auch Hilfe bei den Hausaufgaben. Aber auch für Theater ist genug Zeit: An diesem Nachmittag etwa proben neun Sechstklässler für ein Stück, das sie selbst geschrieben haben. "Es spielt im Wedding", erklärt Kubra. "Zwei Gangs sind zerstritten, und zwei aus beiden Gangs verlieben sich. Dann kommt ein reicher Mann und will den Wedding kaufen. Da schließen sich die beiden Gangs zusammen und wehren sich."

Unterdessen trudeln die ersten Schüler im Medienhof ein. Während es an den Schulen hauptsächlich Sprachförderung gibt, findet hier an vier Nachmittagen in der Woche kostenlose Nachhilfe statt. Auch Kinder und Jugendliche ohne Migrationshintergrund sind willkommen. In zwei mit Tischen, Stühlen, Fotopinnwänden und Computern ausgestatteten Räumen brüten die Schüler konzentriert über ihren Aufgaben. Manche unterhalten sich. Projektleiter Weber sitzt zwischen den jungen Leuten und hilft ihnen mit den Hausaufgaben. "Deutschförderung brauchen fast alle, die im Wedding groß werden - ob mit oder ohne Migrationshintergrund", sagt er. Entscheidend sei das Bildungsbewusstsein der Eltern: "Wenn in den Familien kaum gelesen, erklärt oder diskutiert wird, verstehen auch deutsche Schüler nicht, was in den Schulbüchern steht."

Das größte Problem sei die Schriftsprache. "Alltagsdeutsch kann hier im Wedding jeder", so Weber. In den Schulbüchern aber sei die Sprache komplexer: Viele Jugendliche könnten zwar den Text vorlesen, verstünden aber nicht, was er bedeutet. "Das Problem gibt es in allen Schulen - bis hin zum Gymnasium."

Die meisten Jugendlichen im Medienhof kommen laut Weber aus bildungsbewussten, aber nicht akademischen Familien, "wo die Eltern als Gabelstaplerfahrer, Gemüsehändler oder Putzfrau" arbeiten. Die Schüler seien motiviert und bekämen Unterstützung von zu Hause. Natürlich gebe es, gerade im sozialen Brennpunkt Soldiner Kiez, viele unmotivierte Jugendliche aus bildungsfernen und sozial schwachen Familien. "Für die sind sozialpädagogische Projekte zuständig, die erst einmal die Voraussetzung schaffen, dass Bildung überhaupt möglich ist", erläutert Weber. Sprint sei dagegen ein reines Bildungsprojekt - mit motivierten Schülern und bildungsbewussten Eltern als Zielgruppe.

Jens Paasche studiert Physik und kommt zweimal in der Woche in den Medienhof. "Ich finde es interessant, wie die Schüler hier ticken", sagt er. "Für viele ist der Hof neben der Schule eine wichtige Anlaufstelle." Derweil hat Ahmed, dessen Eltern aus dem Libanon kommen, Probleme mit der englischen Grammatik. Die Lehrer an seiner Schule mag er nicht um Hilfe bitten: "Die Studenten erklären das viel besser", findet der Zehntklässler.

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