■ Kosovo: Kontaktgruppe betreibt Politik ohne Prozeßkonzept: Grenzen des Dialogs
Mit untrüglichem Gespür hat Jugoslawiens Präsident Milošević den Schwachpunkt in der Kosovo-Politik der internationalen Gemeinschaft aufgedeckt. Nachdem der amerikanische Sondergesandte Richard Gelbard die Kosovo-Befreiungsarmee (UCK) als terroristische Organisation qualifiziert hatte, konnte sich Milošević ermächtigt fühlen, so gegen die Terroristen vorzugehen, wie dies in halbautoritären Regimen üblich ist. Gelbard und die Staaten der Bosnien-Kontaktgruppe haben bei ihrer Verurteilung der UCK übersehen, daß der Begriff Terrorismus die Legitimitätsfrage vorab entscheidet: Terroristen verfolgen illegitime Ziele, und die Ordnung, die sie angreifen, erhält dadurch eine Legitimität. Aus der kosovo- albanischen Perspektive dagegen erscheinen die Aktionen der UCK als Widerstand gegen eine Unrechtsherrschaft mit dem Ziel der Unabhängigkeit.
Die Kontaktgruppe hat zwar das brutale Vorgehen der serbischen Sicherheitskräfte verurteilt und Milošević wegen der vielen unschuldigen Opfer angeklagt. Aber sie kann den Zweck der Aktion als solchen nicht mehr in Frage stellen, ohne ihre zuvor markierte Position aufzugeben. Milošević ist es damit gelungen, seine Politik mit der einzigen institutionellen Vorgabe zu verknüpfen, auf die sich die Kontaktgruppe bisher einigen konnte, nämlich daß das Kosovo-Problem innerhalb der Grenzen der Bundesrepublik Jugoslawien gelöst werden soll. Wenn die serbische Polizei und Miliz mit ihrem Kampf gegen den Terrorismus einen legitimen Zweck verfolgt, bedeutet dies, daß das serbische Gewaltmonopol von der internationalen Gemeinschaft anerkannt wird. Im Effekt entsteht dadurch eine Verbindung zwischen dem völkerrechtlichen Prinzip der territorialen Integrität und der serbischen Souveränität über den Kosovo.
Die Ergebnisse des Londoner Ministertreffens wecken Zweifel, ob die Kontaktgruppenmitglieder aus dem Scheitern ihrer bisherigen Konfliktpräventionsversuche gelernt haben. Seit dem Dayton-Abkommen vom November 1995 hat die Kontaktgruppe eine Politik des Wait-and-see verfolgt, die genau den kleinsten gemeinsamen Nenner unter den Mitgliedsstaaten reflektierte. Man lehnte den Status quo ebenso wie die Sezession des Kosovo ab und forderte beide Konfliktparteien zu einem Dialog auf, dessen Ergebnisse man akzeptieren würde.
Dies führte dazu, daß Kosovo-Albaner und Serben Blockadepositionen aufbauten. Offizielle Verhandlungen scheiterten bereits daran, daß die Milošević- Regierung Kosovo zur internen Angelegenheit erklärte, der Vertreter der Kosovo-Albaner, Ibrahim Rugova, aber nur bei einer internationalen Vermittlung zu Gesprächen bereit war.
Zwar verweisen die beteiligten westlichen Diplomaten gern auf den Mangel an wirksamen Sanktionsmitteln und Belohnungen. Dennoch hätte die Kontaktgruppe die – bisher völlig folgenlose – Aufforderung zum Dialog schon längst durch einen verpflichtungsfähigen Verhandlungsrahmen ersetzen können. Solche Verhandlungen müßten auf zwei zeitlich und sachlich voneinander entkoppelten Ebenen vertrauensbildende Maßnahmen und den Status der Region thematisieren. Die Trennung und gleichzeitige Herstellung beider Verhandlungsebenen ist notwendig, damit die Kosovo-Albaner Statusfragen nicht zur Vorbedingung einer Normalisierung der Lage im Kosovo machen und damit die Serben nicht eine Normalisierung in ihrem Sinne betreiben können.
Die Rolle der Kontaktgruppe müßte darin bestehen, diesen Prozeß zu installieren und etwaige Obstruktionsversuche zu sanktionieren. Innerhalb des Prozesses müßte sie für beide Verhandlungsebenen detaillierte Zielzustände formulieren, aber den Konfliktparteien die konkrete Aushandlung überlassen.
Zur Regelung des Kosovo-Konfliktes gibt es keine fertigen Modelle. Wer jedoch die Regelung den Serben und Kosovo-Albanern selbst überläßt und auf einen Dialog wartet, der riskiert, daß die Akteure ihre Dialogbereitschaft selbst als Einsatz im ethnopolitischen Nullsummenspiel betrachten. Martin Brusis
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