■ Kosovo-Flüchtlinge: Nicht Menschenrechte, sondern innenpolitische Interessen bestimmen bis heute das Handeln Bonns: Das Ende der Stammtischparolen
Der Umgang mit den Kosovo-Flüchtlingen zeigt, daß es beim Krieg der Nato um vieles geht, aber nicht um das Wohl der Flüchtlinge. Wenn Fluchtgründe, die bis vor kurzem in 98 Prozent der Fälle zu einer Ablehnung des Asylantrags geführt haben, jetzt als Grundlage für die Kriegsbeteiligung Deutschlands ausreichen, dann ist was faul.
Im vergangenen Jahr kam jeder vierte Asylbewerber in Europa aus dem Kosovo, inzwischen dürfte es jeder dritte sein. Die Hauptlast tragen allerdings die direkten Nachbarländer des Kriegsgebiets. Zwischen 1990, dem Beginn der Vertreibungs- und Apartheidspolitik der Belgrader Regierung, und dem Beginn des Krieges flüchtete bereits ein Fünftel der kosovo-albanischen Bevölkerung ins Ausland – vornehmlich in die Schweiz und nach Deutschland. In beiden Ländern befinden sich die zwei größten Exilgemeinden der Kosovo-Albaner. Die rund 400.000 Kosovaren in Deutschland (1,8 Millionen im Kosovo) bilden heute die drittgrößte ausländische Bevölkerungsgruppe. Fast jeder zweite ist nach 1989 – der Auflösung der Autonomie des Kosovo – eingereist und als Opfer der Belgrader Vertreibungspolitik anzusehen.
In Deutschland allerdings ist der Begriff Vertriebene erst hoffähig, seit ein Krieg und eine deutsche Beteiligung daran gerechtfertigt werden muß. Es gehe „um die Abwehr illegaler Wanderungsbewegungen“ und die Verhinderung „mißbräuchlicher Asylanträge“ erklärte Exbundesinnenminister Manfred Kanther dagegen noch im Oktober 1996. Er schloß ein Rückübernahmeabkommen mit der Bundesrepublik Jugoslawien ab, in dem von der „Würde der rückkehrenden Personen“ und der „Achtung der Menschenrechte“ die Rede ist. Das Abkommen wurde auch vom jugoslawischen Innenminister Jokanovic unterzeichnet, ein Protagonist der Unterdrükkung der Kosovo-Albaner.
Von diesem Abkommen betroffen waren rund 120.000 ausreisepflichtige Kosovo-Albaner, fast alle wegen abgelehnter Asylanträge. Drei Jahre später, also 1999, sollte die Rückführung abgeschlossen sein. Aber nur rund 8.000 Personen verließen die BRD – der überwiegende Teil zwangsweise. Aufschlußreich ist der Blick auf das Rückübernahmeabkommen mit Bosnien-Herzegowina, das fast zum selben Zeitpunkt geschlossen wurde. Von ehemals 350.000 Kriegsflüchtlingen aus Bosnien sind trotz der instabilen Lage vor Ort inzwischen mehr als 75 Prozent zurückgekehrt. Der Grund: In Bosnien gibt es zumindest eine Chance auf eine friedliche Perspektive, im Kosovo gibt es sie sie nicht. Der Vergleich zeigt, die Flüchtlinge sind keine „mißbräuchlichen Asylantragsteller“, sondern kehren zurück, wenn die Bedingungen es zulassen.
Diese Erkenntnis beeindruckte die Innenministerriege deutscher Länder ebensowenig wie die Meldungen über Mißhandlungen und Todesfälle Abgeschobener. Die Abschiebungen wurden auch nicht gestoppt, als im März 1998 das jugoslawische Militär unter dem Deckmantel der Bekämpfung der Befreiungsarmee UÇK mit der Zerstörung von Dörfern beginnt, Massaker bekanntwerden und schließlich über hunderttausend Kosovaren auf der Flucht sind. Im Gegenteil.
Drei Ziele bestimmen die deutsche Flüchtlingspolitik in Sachen Kosovo. Erstens: Es sollen sowenig Flüchtlinge wie möglich aufgenommen werden. Gleichzeitig muß deren schnelle Rückkehr im Auge behalten werden. Zweitens: Das Flüchtlingsproblem muß vor Ort, in den Nachbarländern der Krisenregion gelöst werden. Drittens: Am Exempel der Kosovo-Flüchtlinge soll die Quotenregelung der europäischen Aufnahme durchgesetzt werden.
Das erste Flüchtlingskontingent von 10.000 im April und die makabre Debatte um die Aufnahme eines weiteren Kontingents in der letzten letzte Woche laufen unter der dritten Zielvorgabe. Zur Erreichung von Ziel zwei gibt es Finanzhilfen, Bundeswehrsoldaten und das haltlose Argument, man würde mit der Aufnahme von Flüchtlingen in Westeuropa nur die Vertreibungspolitik von Miloevic unterstützen. Um Ziel eins zu erfüllen, wird zunächst allen „illegal“ Eingereisten nur ein kurzfristiger Duldungsstatus mit allen aus dem Katalog der Asylabschreckung bekannten Einschränkungen erteilt. Ein Bürgerkriegsstatus, den die Kontingentflüchtlinge erhalten, wird ihnen verweigert, ansonsten werden sie auf das aussichtlose Asylverfahren verwiesen.
Damit einer schnellen Rückkehr nichts im Wege steht, wurde das deutsch-jugoslawische Rückübernahmeabkommen bis heute nicht aufgekündigt – übrigens ein Wahlversprechen der Grünen Und es wurde bis heute kein Abschiebestopp für ausreisepflichtige Kosovo-Albaner erklärt.
Die Vertreibung der Bevölkerung im Kosovo hat Belgrad zu verantworten. Aber der Versuch, die humanitäre Katastrophe mit Bomben zu verhindern, trägt dazu bei, die Zahl der Vertriebenen zu erhöhen. Deutschland ist als aktive Kriegspartei also für die Flüchtlinge mitverantwortlich. Verantwortung trägt Deutschland aber auch für die neun Jahre vor dem Angriff der Nato, in denen die Vertreibungspolitik der jugoslawischen Führung heruntergespielt wurde, um sich ein innenpolitisches Problem vom Hals zu schaffen. Nachzulesen in den geheimgehaltenen Lageberichten des Auswärtigen Amtes.
Es ist bitter zu sehen, daß die demokratischen Kräfte in Jugoslawien von staatlicher wie von nichtstaatlicher Seite wenig Unterstützung erfahren haben, Miloevic als Sicherheitsgarant hofiert und seine Machtposition mit dem Nato-Angriff zementiert wurde. Die bitterste Wahrheit in diesem Konflikt ist: Nicht die acht Jahre lange gewaltfreie und Menschenleben sichernde Leistung der Rugova-Regierung hat zum Engagement im Kosovo geführt, sondern die Gewalt der UÇK.
Es gab in den Jahren vor dem Krieg friedliche Handlungsmöglichkeiten, und es gibt sie auch heute. Sie müssen nur angewandt werden. Menschenrechtsorganisationen könnten mit entsprechenden albanischen und serbischen Gruppen Kontakte herstellen. Weshalb sollte nicht mittelfristig eine gemeinsame, serbisch-albanische Initiative möglich sein ? Die Friedensbewegung wie antinationale Gruppen, bisher eher desinteressiert am Kosovo-Konflikt, könnten ebenfalls mit demokratischen Initiativen im ehemaligen Jugoslawien zusammenarbeiten, um Möglichkeiten friedlicher Annäherung auszuloten.
Die Medien hierzulande könnten denen eine Stimme geben, die seit dem Krieg keine mehr haben oder davor schon keine hatten. Der staatliche Auslandsrundfunk der Deutschen Welle könnte ein paar Stunden pro Tag das Studio zugunsten von Resten des kaputtregulierten und zensierten Belgrader Radiosenders B 92 räumen, oder eine bundesweite Tageszeitung könnte geflüchteten Redakteuren von Koha ditore aus Prishtina regelmäßig eine Zeitungsseite überlassen.
In der Flüchtlingspolitik bedarf es einer Umkehr der Interessen. Nicht die Innenpolitik darf die Aufnahme von Flüchtlingen oder die Lageberichte des Auswärtigen Amtes diktieren, sondern die Wahrung der Menschenrechte. Grundsätzlich muß ein positives Klima für die Aufnahme von Flüchtlingen gefördert werden. Konkret: Es muß ein offenes Kontingent geben, und dies wird nach Einschätzung des UNHCR gefüllt, soweit Kapazitäten zur Verfügung stehen. Vorrangiges Kriterium für die Aufnahme sollte die Familienbindung nach Deutschland sein.
Die sogenannten „illegal“ Eingereisten sollten wie Bürgerkriegsflüchtlinge eine Aufenthaltsbefugnis erhalten. Beide Gruppen sollten möglichst bei ihren Angehörigen leben und wohnen können, nicht der Residenzpflicht und dem zermürbenden Arbeitsverbot unterliegen.
Die Innenminister der Länder und der Bundesinnenminister sollten das Rückübernahmeabkommen aufkündigen, einen generellen Abschiebestopp in die Bundesrepublik Jugoslawien erlassen und sich für die irrtümlichen Abschiebungen von Kosovo-Albanern entschuldigen. Inzwischen dürfte auch jedem Stammtischredner aufgegangen sein, daß die Kosovo-Albaner aus gutem Grund zu uns geflüchtet sind.
Der UNHCR ist gern bereit, die Namenslisten der aus Deutschland Abgeschobenen entgegenzunehmen, damit diese bei der Registrierung die Möglichkeit erhalten, unabhängig von irgendwelchen Kontingenten, bei Bedarf wieder in Deutschland Schutz zu suchen. Clemens Hauser
Die Friedensbewegung war bisher am Kosovo-Konflikt eher desinteressiert
Der Begriff Vertriebene ist hoffähig, seit der Krieg gerechtfertigt werden muß
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