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Kosmischer Pluralismus?

■ Wie sollen wir miteinander leben? Eine Diskussion im Haus der Kulturen der Welt über die Notwendigkeit neuer nationaler Identitäten

Vor fünfundzwanzig Jahren alarmierte der Club of Rome die Weltöffentlichkeit mit seinem epochemachenden Bericht über „die Grenzen des Wachstums“, in dem auf die existenzbedrohenden Konsequenzen schrankenloser wirtschaftlicher Expansion hingewiesen wurde. Jetzt hat die Bertelsmann-Stiftung, im Auftrag des Club of Rome, einen neuen Bericht vorgelegt, dessen alarmistischer Titel parallel zum ersten gewählt wurde: „Die Grenzen der Gemeinschaft“.

Der Titel ist nicht sehr glücklich gewählt. Man hat da, um einer oberflächlichen Parallelisierung willen, mißverständlich formuliert: Es geht in diesem neuen Bericht um Fragen der Kohäsion in zunehmend pluralistischen Gesellschaften, um Vermittlungsstrukturen für die wachsende Zahl normativer Konflikte in einer nicht mehr bipolaren Welt und um Identitätsbestimmung. Kurz, um die Fragen: „Wer sind wir?“ und „Wie sollen wir miteinander leben?“. Am vergangenen Montag diskutierte ein mit Mitgliedern des Berliner Wissenschaftskollegs hochrangig besetztes Podium im Haus der Kulturen der Welt über die zentralen Thesen dieses Berichts.

Schon beim einführenden Vortrag von Peter L. Berger, dem Herausgeber des Bandes von der Boston University, wurde deutlich, daß die sogenannten Grenzen der Gemeinschaft hier eher als Grenzen des Pluralismus verstanden werden. Von „extremem Pluralismus“ sprach er und von Wegen, wie „die zerstörerischen Aspekte des Wertepluralismus“ eingedämmt werden können.

Einer der Wege, die er beschrieb, war der einer neuen, sich regelmäßig hinterfragenden und erneuernden Selbstverständigung nationaler Identitäten. Am Beispiel Frankreichs, ein Ergebnis des in Länderuntersuchungen unterteilten Berichtes zitierend, machte er deutlich, wie das zu verstehen sei: Das laizistische Land, in dem weltanschauliche und religiöse Neutralität einen der Grundpfeiler des Selbstverständnisses ausmachten, sehe sich einem wachsenden Bevölkerungsanteil muslimischen Glaubens gegenüber, der auf seinem „Anderssein“ bestehe.

Das hat Konsequenzen für die Identitäten beider, der alteingesessenen Franzosen und der französischen Muslime, die erkannt und diskutiert werden müßten und zu einem neuen Selbstverständnis beider führen könnten. Denn ein solches Selbstverständnis ist, nach Berger, ebenso unumgänglich wie die Besinnung auf ein „kollektives Gewissen“ (Durkheim), einen ethischen Minimalkonsens gemeinsamer Werte und Normen, auf die in Krisenzeiten zurückgegriffen werden könne.

Berger belächelte in diesem Zusammmenhang die Ergebnisse, zu denen Franz-Xaver Kaufmann in seinem Bericht über die alte Bundesrepublik Deutschland gekommen war. Kaufmann hatte darin auf die große vermittelnde, konfliktschlichtende Aufgabe bundesrepublikanischer Institutionen hingewiesen und die identitätsstiftende Rolle von Grundgesetz und Verfassungsorganen – den „Verfassungspatriotismus“ wie Dolf Sternberger ihn verstand und Jürgen Habermas weiterentwickelt hat. Das jedoch, so Berger, seien ebenso nette wie traumtänzerische Konzepte für ein Wirtschaftswunderland, wo es immer genügend Güter zu verteilen gebe und es zu keinen existentiellen Krisen komme. Für die massiv auftretenden neuen normativen Konflikte in der Welt sei dies kein Lösungsangebot.

Yehuda Elkana aus Zürich sah die Besorgnisse über „kollektives Gewissen“ und neue Identitäten weniger vordringlich als andere Probleme in der Welt: „Hunger kann eine Menge Zusammenhalt fördern“, meinte er. Der Historiker Jürgen Kocka (Berlin) stellte den in dem Bericht implizierten Zusammenhang zwischen fortschreitender Moderne, zunehmendem Pluralismus und expandierenden Konflikten in Frage, und auch die Anthropologin Shalini Randeria (Berlin) bezweifelte die Annahme Peter Bergers von einheitlichen Wertesystemen in vormoderner Zeit. Ein bißchen romantisch sei das.

Doch trotz aller Kritik: Wolf Lepenies, Rektor des Wissenschaftskollegs und Moderator des Abends, fand schließlich Zustimmung bei allen Diskussionsteilnehmern, als er dem neuen Club-of- Rome-Bericht abschließend bescheinigte, daß hierin zentrale Herausforderungen der Gegenwart thematisiert und bedenkenswerte Vermittlungsstrukturen aufgezeigt seien. Volker Weidermann

Peter L. Berger (Hrsg.): „Die Grenzen der Gemeinschaft“. Ein Bericht der Bertelsmann-Stiftung an den Club of Rome. 1998. 656 Seiten, 58 DM.

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