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Korruptionsprozess gegen HR-SportchefDas System Jürgen Emig

Beim Korruptionsprozess gegen den Ex-Sportchef des Hessischen Rundfunks sitzt der Sportjournalismus mit auf der Anklagebank. Doch die Hauptfrage lautet: Was wusste der Sender?

"Ich war der Schalck-Golodkowski des Hessischen Rundfunks", brüstete sich Emig. Bild: dpa

Das Unfassbare am System Emig ist, dass es überhaupt funktioniert hat - und dann auch noch so lange. Von Anfang 2000 bis September 2004 soll der frühere Sportchef des Hessischen Rundfunks (HR) mehr als 600.000 Euro hinterzogen haben. Geld, das eigentlich seinem Sender zustand. Von heute an muss sich Jürgen Emig wegen Bestechlichkeit, Anstiftung zur Bestechung, Betrugs sowie Untreue vor der 12. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt verantworten.

Geweckt wurde die kriminelle Energie des 63-Jährigen von der seinerzeit noch üblichen und erst durch den Fall Emig in Verruf geratenen Praxis der Produktionskostenzuschüsse - auch Beistellungen genannt. Für die Fernsehübertragung von Randsportereignissen soll Emig von den Veranstaltern Gelder kassiert haben, die er nur teilweise an seinen Arbeitgeber weiterleitete. Auch Sponsoringverträge schloss er ab. Rund 13 Millionen Euro will er nach eigenen Berechnungen insgesamt für seinen Sender eingetrieben haben, in einer anderen Quelle spricht er sogar von 20 Millionen. "Ich war der Schalck-Golodkowski des Hessischen Rundfunks", brüstete sich Emig laut Süddeutscher Zeitung. Im Juni 2005 wurde er festgenommen, am 14. Juli kündigte der HR seinen Sportchef fristlos.

Abgewickelt wurden die Geschäfte über die von Emigs Mitangeklagtem Harald Frahm Anfang 2000 gegründeten Agentur SportMarketing & Production GmbH (SMP), an der später auch Emigs Ehefrau Atlanta Killinger beteiligt war. Gegen Killinger wird separat ermittelt - genau wie gegen den früheren MDR-Sportchef Wilfried Mohren, der am System Emig mitverdient haben soll - an einem System, das auf Lügen gebaut war. Nach den Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft funktionierte es auch "aufgrund der unzutreffenden Behauptungen des Sportjournalisten gegenüber den Veranstaltern, der HR sei selbst nicht berechtigt, diese Verträge abzuschließen, oder aufgrund von anderen falschen Behauptungen", so die Ermittler bei der Anklageerhebung im Mai 2007.

Emigs Haussender hat nach Angaben eines HR-Sprechers "unverzüglich" auf die Vorwürfe gegen den damaligen Sportchef reagiert und seit April 2004, also kurz nach dem Rücktritt Emigs, keine Produktionskostenzuschüsse mehr angenommen, obwohl derartige Deals legal seien. Doch diese Entscheidung des HR zeugte wohl mehr vom Bestreben, die Wogen zu glätten, als von besonderem Problembewusstsein, denn Intendant Helmut Reitze verteidigte noch im Juli 2005 die Praxis der Beistellungen. Nach den ARD-Richtlinien zur Trennung von Werbung und Programm seien sie zulässig, "wenn die redaktionelle Unabhängigkeit gewahrt bleibt" - nicht gerade eine zufrieden stellende Definition.

Auch heute weist HR-Intendant Helmut Reitze alle Behauptungen, Emigs Aktivitäten seien vom Sender zumindest geduldet worden, entschieden zurück: "Es gab und gibt kein System HR", so Reitze im aktuellen Focus, sondern nur ein System Emig.

"Die eigentlich spannende Frage ist doch, ob das Gericht sich darauf einlässt, zu klären, ob das öffentlich-rechtliche System das System Emig genährt hat", sagt der Süddeutsche-Journalist und Korruptionsexperte Hans Leyendecker. Eine Stoßrichtung, die auch Emigs Anwalt Stefan Bonn zur Entlastung seines Mandanten verfolgen könnte - genau wie die Frage, ob HR-Intendant Reitze und dessen Vorgänger Klaus Berg womöglich doch stärker in die Praktiken Emigs eingeweiht waren, als es der bisherige Ermittlungsstand nahelegt. Fragen kann man Bonn danach nicht. "Frühestens im Laufe der Hauptverhandlung" wolle man sich öffentlich zum Fall äußern, sagt er.

In Branchenkreisen wird derweil über Indizien spekuliert: Die Hessen hätten ab 2009 turnusgemäß für zwei Jahre den Vorsitz in der ARD übernehmen können. Doch HR-Mann Reitze lehnte ab, angeblich aus gesundheitlichen Gründen. Oder spielte hier doch das anstehende Verfahren eine Rolle - was der Sender energisch dementiert.

"Das öffentlich-rechtliche Fernsehen hat andere Aufgaben, als Sportereignisse zu inszenieren", sagt Jens Weinreich, der frühere Sportchef der Berliner Zeitung und Gründer des Sportnetzwerks, einer Vereinigung kritischer Sportjournalisten: "Es muss doch irgendwo noch einen Unterschied zum profitorientierten Fernsehen geben." Auch Hans Leyendecker stört es, dass man sich mittels Beistellungen legal ins Programm einkaufen kann: "Wer drei Stunden Handstand macht und dafür einen Geldgeber findet - kommt der auch ins Fernsehen?", fragt er ketzerisch.

So wirft der Fall Emig auch ein Schlaglicht auf den Zustand des Sportjournalismus in Deutschland. "Wir verstehen uns als Gegenentwurf zu Leuten wie Emig", sagt Weinreich. Sein Sportnetzwerk steht für einen solchen Generationen- und damit auch einen Paradigmenwechsel im Sportjournalismus: Distanz statt Nähe, "klebrige Nähe", wie Hans Leyendecker einen Vortrag zur Korruption im modernen deutschen Sportjournalismus überschrieben hat.

In Frankfurt steht von heute an also auch ein Berufsethos vor Gericht - auch wenn offiziell nur Emig und Frahm angeklagt sind. Doch wäre es eine Enttäuschung, wenn in den sechzehn bis Ende Oktober angesetzten Verhandlungsterminen nicht auch die frappierende Korruptionsanfälligkeit des öffentlich-rechtlichen Sportjournalismus zum Thema werden würde.

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