Analyse: Korrupte Naivität
■ Der Rücktritt der Olympierin Pirjo Häggman ist nur ein kleiner Schritt
Pirjo Häggman ist sich keiner Schuld bewußt. „Ich habe weder den Olympischen Eid gebrochen noch die IOC- Regeln verletzt“, behauptet die Finnin, die wegen Korruptionsvorwürfen am Dienstag als Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) zurücktrat. „Vielleicht zu arglos und naiv“ sei sie gewesen, räumt Häggman ein.
Recht naiv, die Anstellung des eigenen Ehemanns bei einer Firma in Salt Lake City oder den Beratervertrag für den werten Gatten Jahre zuvor in Toronto nicht in Verbindung zu bringen mit den Bewerbungen dieser Städte für Olympische Spiele, über deren Vergabe Häggman (47) abzustimmen hatte. Und die Finanzierung der gemeinsamen Wohnung in Toronto durch das Bewerbungskomitee der kanadischen Stadt, die schließlich an Atlanta scheiterte, einfach nicht mitzubekommen mutet ebenfalls abenteuerlich blauäugig an.
Grundlage der Entgegennahme solcher Vergünstigungen dürfte weniger Häggmans Naivität gewesen sein als vielmehr die Gewißheit, daß sie lediglich tat, was alle taten, und daß bis in die Spitze des IOC hinein niemand Anstoß daran nahm. Juan Antonio Samaranch selbst, so teilt Torontos Bewerbungschef Paul Henderson heute mit, habe die Mietzahlungen genehmigt. Der Kern des Korruptionsproblems im IOC war nie, daß Leute die Hand aufhielten, sondern die wissentliche Duldung dieser Praxis durch die Organisation.
Pirjo Häggman, 1981 als erste Frau ins IOC aufgenommen, hat immerhin erkannt, daß ihre sogenannte Naivität keine Entschuldigung ist, und jene Konsequenzen gezogen, die ihre „Mitangeklagten“ bislang hartnäckig verweigern. Auf der anderen Seite hat sie sich als eines der neun Mitglieder, die von der IOC-Untersuchungskommission schwerer Vergehen bezichtigt werden, einen peinlichen Auftritt vor dem Ausschlußtribunal im März erspart. „Das erneuert meinen Glauben an die Olympier“, beschwärmt ausgerechnet Anita deFrantz den Rücktritt, jene IOC-Vizepräsidentin, die noch vor einigen Tagen munter die Privilegien für Angehörige ihres Zirkels, wie Luxussuiten und Limousinen, verteidigt hatte – all jene Hätscheleien, die Salt Lake City während der Winterspiele im Jahr 2002 allein zehn Millionen Dollar kosten werden. Die resolute Ignorierung der Rufschädigung, die das IOC erlitten hat, legt den Verdacht nahe, daß der norwegische Olympiasieger Vegard Ulvang recht behalten wird, der in einem Interview mit der Berliner Zeitung meinte: „Ein paar Afrikaner werden sie wohl rausschmeißen, aber grundsätzlich ändert sich damit nichts.“ Der dreifache Langlauf- Olympiasieger regt an, daß Olympische Spiele künftig von der UNO veranstaltet werden sollen. Vielleicht keine schlechte Idee, erst mal ein paar Blauhelme ins IOC-Hauptquartier nach Lausanne zu entsenden. Matti Lieske
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