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KOMMENTARKorpsgeist

■ Die dritte Militärrebellion gegen Alfonsin

In Lateinamerika gehen Militärdiktatoren üblicherweise in Pension oder ins Exil, wenn ihr letztes politisches Stündlein geschlagen hat. Anders in Argentinien. Dort wurden vor genau drei Jahren die Verantwortlichen einer der grausamsten Militärdiktaturen in der jüngeren Geschichte des Subkontinents zu hohen, teilweise lebenslänglichen Gefängnisstrafen verurteilt. „Nunca mas“ – „Nie wieder“ –, so hatte Präsident Alfonsin erklärt, sollten die Militärs in der Lage sein zu putschen, zu foltern, zu morden und Personen verschwinden zu lassen.

Schon ein Jahr nach dem historischen Urteil ließ Alfonsin unter dem Druck der Militärs ein „Schlußstrich-Gesetz“ verabschieden: keine neuen Anklagen mehr gegen die uniformierten Verbrecher. Doch was als Beruhigungsmittel gedacht war, stellte sich bald als Appetitanreger heraus. Schon ein halbes Jahr später konnte der Präsident einer breiten Meuterei nur mit einem weiteren Gesetz ein Ende setzen: Den Folterknechten der Diktatur wurde Befehlsnotstand und damit Straffreiheit zugesichert. Die zweite und dritte Meuterei in seiner Amtszeit konnte Alfonsin damit nicht verhindern.

Einer der etwa 400 Offiziere, die sich mit dem Hinweis auf Befehlsnotstand der Strafe für ihre Verbrechen im „schmutzigen Krieg“ entzogen, in dem zwischen 10.000 und 30.000 Oppositionelle „verschwanden“, ist Oberst Seineldin, der Anführer der Militärrebellion vom Wochenende. Natürlich wußten die Meuterer, daß sie ihre Forderung nach Freilassung der Hauptverbrecher der Diktatur nicht durchsetzen würden. Was ihnen tatsächlich zugestanden wurde, ist noch unklar. Doch schon jetzt hat die Revolte deutlich gezeigt: Neben einer kleinen Minderheit von Meuterern gibt es viele Soldaten und Offiziere, deren Korpsgeist größer ist als ihre Loyalität zur demokratisch gewählten Regierung. Für diese Militärs wird ein Putsch, auch wenn ihnen heute der Sinn ganz gewiß nicht danach steht, letztlich immer nur eine Frage der politischen Konjunktur sein.

Sein Ziel sei es, hatte Alfonsin 1983 verkündet, die bewaffnete Gewalt für immer der zivilen Gewalt unterzuordnen. Aus braven Gehilfen einer Diktatur „Bürger in Uniform“ zu machen war ohnehin keine leichte Sache. Doch die „nationale Aussöhnung“, das heißt der Kompromiß mit den uniformierten Verbrechern, mit dem Alfonsin die Demokratie zu festigen hoffte, droht nun – zusammen mit der scharfen Wirtschaftskrise – immer mehr zur Erosion der Demokratie beizutragen. Fünf Monate vor den nächsten Präsidentschaftswahlen gilt der ultrarechte Carlos Menem, Kandidat der peronistischen Opposition, schon als wahrscheinlicher Nachfolger Alfonsins. Dessen Amtsperiode würden künftige Historiker dann nur als ein weiteres kurzes demokratisches Intermezzo in der an Staatsstreichen, Caudillos und Militärdiktatoren nicht gerade armen argentinischen Geschichte vermerken.

Thomas Schmid

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