: Kopfprämien für Kandidatenjäger
■ Immer mehr Quizshows im Fernsehen/ Spielkandidaten stehen Schlange, um zu „Wetten, daß...“ zu kommen/ DDR-Zuschauer besonders heiß auf Gewinnspiele
(dpa/taz) — Die Münchener Produktionsfirma hatte bundesweit inseriert: „Quizshow-Kandidaten gesucht!“ Der Privatsender Tele 5 fragte am gleichen Tag per Zeitungsannonce: „Ist Ihnen eine (ungewollt) komische Szene vor die Kamera gekommen?“
Jochen Filser, Unterhaltungschef Fernsehen beim Hessischen Rundfunk (HR) in Frankfurt, hat schon Kopfprämien an Kandidatenjäger ausgeschüttet und Diskotheken durchkämmt, um seine Wettspiele mit Mitspielern auszustatten. Neue Ideen glauben die Gute-Laune-Macher des deutschen Fernsehens genug zu haben: Fast drei Dutzend Spiel- oder Rateshows in einer ganz gewöhnlichen Septemberwoche — die Wiederholungen nicht eingerechnet — sind die Folge. Gehen ihnen jetzt die Kandidaten aus?
Eingespielte Shows wie Thomas Gottschalks Wetten daß...? oder Frank Elstners Nase vorn haben „überhaupt kein Problem“, neue Mitspieler zu rekrutieren, versichert Programmgestalter Holm Dressler (ZDF). Nach jedem Wettspiel meldeten sich 2.000 Einsender mit neuen Ideen, berichtet er — 20 davon seien brauchbar, vier würden gebraucht: „Die Faszination Fernsehen hat für den Zuschauer immer noch einen großen Reiz.“
Auch die Privatsender können sich über mangelnden Zuspruch zu laufenden Quizserien nicht beklagen. Zwei- bis viertausend Bewerber verzeichne Sat.1 nach jeder Sendung des Glücksrads, das sich fünfmal pro Woche dreht. Ein sogenanntes Casting-Büro wählt die jeweils drei Mitspieler aus. Axel Bennewitz, Redaktionsgeschäftsführer bei Bite- TV, produziert von Februar an täglich wieder vier Folgen der RTL- Show Der Preis ist heiß. Schwierigkeiten, zweimal 250 Zuschauer durchs Studio zu schleusen und viermal sechs Saalkandidaten herauszufiltern, kennt er nicht. Busunternehmen aus dem Ruhrgebiet oder Niedersachsen bieten Pauschalreisen nach München mit Besuch der Sendung und Aussicht auf heiße Preis- Gewinne an; Zeitungen in der DDR organisieren Leserreisen zu den Dreharbeiten im kommenden Jahr.
Die neuen Zuschauer aus der DDR seien überhaupt „ganz heiß auf alles, wo es Preise zu gewinnen gibt“, sagt ein Branchenkenner. Auch ohne sie machen sich die Macher der immer neuen TV-Shows keine Nachwuchssorgen. Zwar sei die Kandidatenauswahl für die anspruchsvolleren Sendungen mitunter schwierig. „Allein für die ersten hundert Sendungen von ,Dingsda' haben wir uns 20.000 Kinder angeschaut“, berichtet der von den Privaten zum HR gewechselte Chefunterhalter Filser. Doch „das Potential ist unerschöpflich“, sagt Holm Dressler, „und auch die Phantasie des Publikums scheint mir unerschöpflich zu sein.“
Mit den einfach gestrickten, täglich gesendeten Gewinnspielen der Privaten kam auch jener Typus des Mehrfach-Bewerbers auf. „Aber den Handlungsreisenden in Sachen Gameshow gibt es noch nicht“, versichert Andreas Mohry, der am Sat.1-Glücksrad mitdreht. Und wer beim „Casting“, der Spielerauswahl, im ersten Versuch durchfalle, habe auch beim dritten Mal keine größere Chance, versichert ein Fernseh-Macher.
Daß die Münchener Action Games GmbH, Ableger des größten britischen Spielshow-Produzenten, jetzt trotz der ungebrochenen Spielfreude der Deutschen 20.000 Mark in eine bundesweite Kandidatensuche per Anzeige steckt, hat einen einfachen Grund: Ihre Projekte, eine Tages- und eine Monatsshow für Sat.1, laufen noch gar nicht. „Wir versuchen jetzt, den Schneeball ins Rollen zu bringen“, sagt der redaktionelle Leiter Dirk Rosenzweig. Die Lawine ist ihm fast sicher. „Die Leute“, so Wetten, daß...-Mitarbeiter Dressler, „werden sich auch zu den idiotischsten Dingen melden.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen