: Kooperativen - eine Alternative für Wales
■ Nach dem Niedergang der alten Industrien waren Genossenschaftsbetriebe ein Hoffnungsträger gegen die Arbeitslosigkeit / Trotz Gewerkschaftsunterstützung und Lohnverzicht haben die Wachstumschancen enge Grenzen
Von Jürgen Schulz
„Zwei Nationen“ machte Benjamin Disraeli, der große Konservative des 19. Jahrhunderts, im Vereinigten Königreich aus. Was das bedeutet, bekommt das lieblich– rauhe Wales heute mit voller Wucht zu spüren: Eine fast 16prozentige Arbeitslosigkeit - in manchen Regionen außerhalb des industrialisierten Südens liegt diese Zahl noch weit höher - drückt das drei Millionen Einwohner zählende Prinzentum an den Rand der britischen Wirtschaft. Die durchschnittliche Arbeitslosenquote um United Kingdom beträgt derzeit rund zwölf Prozent. Die Zahl der Arbeitsplätze für die circa eine Million Erwerbspersonen in Wales ist rückläufig, weil die Industrie - Kohle, Stahl, Schiff– und Maschinenbau - spätestens seit Mitte der siebziger Jahre von Krisen geschüttelt wird. „Es gibt kaum Zeichen für eine Besserung der Situation“, urteilt der britische Ökonom Paul Blyton: „Offiziell gibt es im Moment weniger als 8.000 offene Arbeitsplätze in ganz Wales, und die Gesamtzahl der Beschäftigten wächst kaum. In den letzten Jahren finden sich sogar in den prosperierenden Gebieten viele Hinweise auf eine Entvölkerung.“ Die Krise entläßt ihre Kinder. Dem massiven Arbeitsplatzabbau steht eine deutliche Steigerung der Beschäftigten in selbstverwalteten Kooperativen gegenüber. Arbeiteten 1980 in elf registrierten Kooperativen eine „nicht verfügbare Zahl“ (!) von Leuten, so nahm die Statistik bis 1987 Kontur an: In 95 - vorwiegend kleinen - Betrieben, teilt das „Wales Cooperatiove Development and Training Centre“ (CDTC) mit, seien 710 Arbeitsplätze für 575 Ganztags– und 135 Teilzeitbeschäftigte entstanden. Das CDTC, eine im Frühjahr 1983 vom walisischen Gewerkschaftskongreß gegründete Initiative, die vorwiegend aus Mitteln der EG und des Londoner „Ministeriums für Wales“ finanziert wird, soll dieses Wachstum fördern und den Unternehmen das notwendige Know–How beibringen. Ungefähr 30 Experten für Finanzierungs– und Unternehmensfragen stehen den Kooperativen zur Seite. Der Mitarbeiterstab wird beaufsichtigt von Rechtsanwälten, Managern, Geschwerkschaftern sowie Regierungsbeamten. Einer Untersuchung des Sozialwissenschaftlers Collin Cornforth zufolge leiden die meisten der hauptsächlich im Dienstleistungsbereich (Transport, Handel, Gaststätten) oder in der Produktion (Verlage, Druckereien, Textilien) tätigen Firmen an chro nischer Unterkapitalisierung und mangelhaften betriebswirtschaftlichen Kenntnissen - eine Zustandsbeschreibung, wie sie auch auf viele bundesdeutsche Alternativbetriebe zutrifft. Die Konsequenzen: veraltete Maschinen, niedrige Produktivität, schlechte Absatzchancen, minimale Löhne (laut Blyton liegen diese um über die Hälfte unter dem Niveau der vergleichbaren traditionellen Branchen). Der Waliser Gewerkschaftsbund tut sich keineswegs leicht im Umgang mit den neuen, überwiegend unorganisierten Schützlingen. Zwar verpflichtet die Ideologie der Gewerkschaftsbewegung zur Stärkung „sozialen Eigentums“, so der Industriesoziologe Gregory. Doch bereitet die Grenzziehung zwischen Arbeitern und „Neuen Selbständigen“ den auf die Lohnabhängigen fixierten TUC–Bossen Kopfzerbrechen. Und schließlich, argumentiert die Gewerkschaftsführung, stelle der „cooporativism“ nur eine Möglichkeit unter anderen dar, die Produktionsmittel den Produzenten zu übereignen. Kritiker wie Blyton werfen den Gewerkschaften deshalb vor, die Unterstützung der Koops nur halbherzig anzugehen. Vor allem bemängeln sie die Zurückhaltung der Arbeitnehmer–Vertretung beim Bereitstellen von Investitionsmitteln oder Starthilfen, denn vom kapitalistischen Bankensektor haben Kollektivbetriebe nur selten etwas zu erwarten. Aber die Zeit drängt, das haben inzwischen auch die Gewerkschaften erkannt. „Die armen Regionen des Vereinigten Königreichs werden immer ärmer“, schlägt die Times Alarm. Spätestens seit die Tory–Regierung 1979 vom „Gießkannenprinzip“ der Labour Party abgerückt ist und die „Development Areas“ nur noch punktuell fördern will, steht der TUC in Wales unter Zugzwang. Auch den selbstverwalteten Kooperativen in Wales sind sehr enge Grenzen gesetzt. Das öffentlich verkündete Etappenziel der Kollektivisten, monatlich einen Betrieb zu eröffnen und innerhalb von drei Jahren insgesamt 1.000 Arbeitsstellen zu schaffen, konnte bis Ende letzten Jahres bei weitem nicht erreicht werden. Die anfängliche Euphorie hat einer spürbaren Ernüchterung Platz gemacht. Paul Blyton, der die bisherigen Erfolge des CDTC keineswegs in Abrede stellen will: „Arbeiterkooperativen in Wales sind marginale Aktivitäten in einer marginalisierten Region von Großbritannien. Die wirtschaftlichen Umstände sind nicht günstig zur Entwicklung von Kleinunternehmen, ob sie nun eine kooperative Form haben oder nicht.“
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