Kooperation statt Fusion: Kein Geld für den Nordstaat
Die Zusammenarbeit zwischen Schleswig-Holstein und Hamburg wird nicht zu einem gemeinsamen Bundesland führen. Das wäre finanzpolitischer Selbstmord, sagen Gutachter.
HAMBURG taz | Der Nordstaat ist unbezahlbar. Rund eine Milliarde Euro pro Jahr weniger würde Hamburg und Schleswig-Holstein nach einer Fusion zu einem Bundesland aus dem Länderfinanzausgleich zustehen. Angesichts der chronisch klammen Kassen in den beiden Ländern erledigt sich damit jeder konkrete Gedanke an einen Zusammenschluss. Das ist das Fazit, das die Enquetekommission "Norddeutsche Kooperation" des schleswig-holsteinischen Landtags jetzt in ihrem Abschlussbericht zieht. Zudem verlöre ein Nordstaat an politischem Gewicht. Aus drei Hamburger und vier Schleswig-Holsteiner Stimmen im Bundesrat würden zusammen - vier. Eine erhoffte Aufwertung in die Ränge von Hessen (fünf Stimmen) oder gar Niedersachsen (sechs Stimmen) fiele der politischen Arithmetik zum Opfer.
Und damit wird die gemeinsame Kabinettssitzung der Landesregierungen von Schleswig-Holstein und Hamburg am morgigen Dienstag in Kiel "wohl nur zu einem Chemie-Termin", wie im Landeshaus an der Kieler Förde zu hören ist. Dass der Hamburger Senat die Einladung von Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) zu diesem Treffen überhaupt angenommen hat, wird dort "schon als erfreuliche Überraschung" gewertet. Der Nordstaat scheitere "erstens am Geld, dann an der Hauptstadtfrage und letztlich am Zuschnitt der Behörden", hallt es aus dem Hamburger Rathaus zurück. Über alles andere könne man "aber mal reden".
Und so wird es auch nichts werden mit einem "Grundlagenabkommen", das sich Jost de Jager erhofft hat. Kiels CDU-Wirtschaftsminister soll als Spitzenkandidat nach der Landtagswahl am 6. Mai das Amt des Regierungschefs vom 65-jährigen Carstensen übernehmen. Jetzt aber musste er einsehen, dass Hamburgs SPD-Bürgermeister Olaf Scholz kein Interesse an Wahlkampfhilfe für ihn und die schwarz-gelbe Koalition hat. Deshalb würden de Jagers Hoffnungen "wohl keinen Niederschlag auf der Kabinettssitzung finden", heißt es an der Förde.
Die wichtigsten Kooperationen zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein sind:
Metropolregion: Zusammenarbeit von Hamburg mit sechs Landkreisen in Schleswig-Holstein (und acht Landkreisen in Niedersachsen). Wird am 20. April um Lübeck, Neumünster und den Kreis Ostholstein (sowie das westliche Mecklenburg) erweitert.
HSH Nordbank: Die gemeinsame Landesbank von Hamburg und Schleswig-Holstein ist das finanzielle Sorgenkind.
Fusionen: Die Zusammenlegungen der Eichämter, der Medienanstalten und der Filmförderung sowie die Gründung des gemeinsamen IT-Dienstleisters Dataport haben Kosten gesenkt.
Repräsentanzen: Das gemeinsame Hanse-Office bei der EU in Brüssel sowie die Ostsee-Offices in Danzig und St. Petersburg.
Eben ein solches Abkommen mit einem umfangreichen "Katalog von Eckpunkten" empfiehlt hingegen ein Gutachten der Universität Kiel, das de Jager im November vorigen Jahres extra in Auftrag gegeben hatte. Jetzt liegt es vor, ist 147 Seiten dick und kommt zu dem Schluss, dass "der Korridor für Kooperationen schmal ist".
Die beiden Nachbarländer sollten gegenüber Bund und EU öfter gemeinsam auftreten, empfehlen die Autoren Utz Schliesky und Sönke Schulz. Zudem sollten sie sich wechselseitig über ihre Pläne informieren und - nach dem heftigen Streit im vorigen Herbst über die Abwerbung der Husumer Windmesse durch Hamburg - tunlichst "Projekte mit nachteiligen Auswirkungen auf das andere Bundesland unterlassen". Daraus wollte de Jager "eine Roadmap für eine Kooperation unterhalb eines Nordstaats" entwickeln, nun aber steht er ohne Straßenatlas da. Es sei "vollkommen offen, ob wir am Dienstag einen Schritt weiter kommen", klingt es aus Kieler Regierungskreisen.
Allerdings gebe es auch so viel zu besprechen, sagen übereinstimmend Hamburgs Senatssprecher Christoph Holstein und Rainer Thumann, stellvertretender Regierungssprecher in Kiel. Energiewende und Energienetze, die Elbvertiefung, der Ausbau von Autobahnen, die S 4 zwischen Hamburg und Bad Oldesloe und überhaupt die Pendlerströme - allesamt Themen ohne großen Streit. Nicht auf der Tagesordnung stehen die eher konfliktträchtigen Punkte: eine gemeinsame Landesplanung für Industrie, Gewerbe und Wohnungen, die Angleichung des Bildungssystems von der Kita über die Schulen bis zu den Hochschulen oder auch Fragen der Krankenhausversorgung.
Darüber könne man ja mit der nächsten Regierung an der Förde sprechen, verlautet aus dem Hamburger Rathaus. Mit dem Unterton, dass es hoffentlich keine schwarz-gelbe mehr sei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen