Konzert von Kiesza in Berlin: Die Kaiserin und das Laserschwert

Ooh! Ah! Ooh! Die kanadische Sängerin Kiesza hat ihr Album in Berlin vorgestellt. Protokoll eines Abends, bei dem die meisten Grenzen im Kopf waren.

Kiesza. Nicht im Bild: das Laserschwert. Bild: André Wunstorf

21.07 Uhr. Der Gretchen Club ist zu klein. Zu klein für die kanadische Sängerin Kiesza, um deren Song „Hideaway“ man in diesem Sommer nicht herumkam. 150 Millionen Klicks gab es auf ihrem YouTube-Kanal für das Video, das in Deutschland gesperrt ist. In über 25 Ländern war die Single auf Platz 1 der Charts. Wer ist diese Frau, die mit bürgerlichem Namen Kiesa Rae Ellestad heißt und deren Künstlername Kiesza sich wie „Kaiser“ spricht?

21.30 Uhr. Der Drummer schlägt dreimal die Bass-Drum, dann steht er auf und geht. Buhrufe.

21.35 Uhr. Das Konzert war für 21 Uhr angekündigt, und das Publikum ist eines, das Pünktlichkeit schätzt. Die ersten Reihen werden unruhig, wieder Buhrufe. Was ’n hier los? Haben die alle Mutti-Zettel und müssen um Mitternacht nach Hause? „Kiesza! Kiesza!“, rufen ein paar Kiesza-Lookalikes mit weißen Tops und Hosenträgern. Hier und da sieht man Mädchen, die sich Kieszas typischen Hochsteck-Iro gestylt haben.

Ansonsten: Hip-Hopper, ein paar Hipster, Bärte und Blondierungen, Glitzer und Extensions. Mädchen mit Leuchtarmbändern, Jungs mit Poloshirts, auf einem steht „Players Club“. Altersdurchschnitt Anfang zwanzig. Kiesza selbst ist ja erst 25, das glaubt man kaum, wenn man hört, was sie schon alles gemacht hat: Sie hat Codes entschlüsselt bei der Royal Canadian Navy, nahm an den Wahlen zur Miss Universe Canada teil und schrieb Songs für Rihanna und Kylie Minogue. Heute stellt sie ihr erstes Album vor: „Sound of a Woman“. Ein Album, das man nicht im Sitzen hören kann.

Zum Schnacken ist sie nicht hier

21.44 Uhr. Eine Perlenpaula sagt zur anderen, Kiesza könne jetzt endlich mal rauskommen, andere müssten morgen schließlich arbeiten. „Voll die Diva.“

21.46 Uhr. Und dann kommt sie. Die Diva. Die Kaiserin. Und wie. Vielleicht hat sie die Buhrufe nicht gehört, oder sie dachte, dit ist halt dieses Berlin. Sie singt „The Love“, ein Dance-Stück. Es funktioniert, die Menge tanzt. Kiesza hat zwei hübsche Tänzer dabei in „Bad NYC“-Muskelshirts, die das ganze Konzert über kaum eine Sekunde stillstehen werden, dazu den Drummer und einen DJ. Sie schiebt zwei weitere Songs hinterher– zum Schnacken ist sie nicht hier.

21.57 Uhr. Alles an Kiesza ist 90er. Der Sound, die Outfits, der Lidstrich. Doch das einzige Lied, das sie nicht selbst geschrieben hat und das tatsächlich von 1993 stammt, ist „What is love“ von Haddaway. Ihr Cover des Eurodancetracks ist eine Klavierballade, die sie jetzt mit Kraft und Schmelz singt und sich dabei selbst begleitet. Weil sie zu klein für den Klavierhocker ist, sitzt sie auf einem Stapel Handtücher. „Baby don’t hurt me no more“.

22.07 Uhr. Die nächste Ballade, „Cut Me Loose“ ist wahnsinnig berührend, nur leider ist das dem Publikum egal. Es plappert und wartet auf die nächste Dance-Nummer. Eine Lookalike gähnt. Hinterher wischt sich Kiesza eine Träne aus dem Augenwinkel. Na gut, vielleicht war es auch nur der Schweiß. „I can see a lot of sexy faces in this crowd!“, ruft sie in die Menge.

Perfekt einstudiert

22.09 Uhr. Bei „So Deep“, einer R&B-Nummer, stimmt etwas nicht, Kiesza, was ist los? Die Intonation ist falsch, sie singt schief, merkt es und fummelt sich am Ohr rum. Besser. „It is so exciting to play the songs from my album“, sagt sie. Eine Message? Hat sie nicht, braucht sie nicht. Ihre Message ist die Musik.

22.14 Uhr. Erste Berührung mit dem Publikum, Abklatschen von links nach rechts. Sie ist eine 100-Prozent-Entertainerin, hat Ballett, Stepptanz und Jazz gelernt. Tanzen und Singen sind für sie gleichwertig, jede Bewegung: perfekt einstudiert. Irgendwie erinnert sie an Madonna, nur dass die ihre leuchtende Mikrostange bestimmt nicht selbst mit dem Fuß an- und ausschalten würde. Es sieht aus, als würde Kiesza in ein Laserschwert singen. Der Bass vibriert in den Knochen, es riecht nach Schweiß.

22.22 Uhr. Ihr DJ spielt ein Medley aus 90er-Songs. Crystal Waters, Robin S., Madonna. Und Kiesza geht richtig ab. Sie tanzt, als wäre ihr Körper ein einziger Muskel. Im Bootcamp der Navy, so sagte sie kürzlich in einem Interview, hat sie gelernt, an ihre Grenzen zu gehen: „Die meisten Grenzen sind im Kopf, der Körper kann viel weiter.“

22.36 Uhr. Die meisten Songs vom Album sind gespielt. Moment, einer fehlt aber noch. „Any requests?“, ruft Kiesza ins Mikro. Ja!! Jetzt muss „Hideaway“ kommen, klar. Als der erste Ton erklingt, rastet der Saal komplett aus. Es war das Video zum Song, das sie so berühmt gemacht hat. Eine Kamerafahrt – eine Einstellung, ohne Schnitt –, in der sie durch die Straßen Brooklyns tanzt. Mal allein, mal mit einem Typen, mal mit anderen Mädels, der Song ein einziger Sog – man möchte am liebsten mittanzen. Machen auch alle, hier im Saal. Ooh! Ah! Ah! Ooh!

22.42 Uhr. Noch ein Song. Und plötzlich: Schluss. Vorne reichen ihr Fans eine Regenbogenfahne hoch, dann geht auch schon die Musik vom Band los, keine Zugabe, Licht an. Das ganze Konzert hat exakt eine Stunde gedauert.

22.55 Uhr. Eine polnische Gruppe ist extra angereist, nun wollen sie ein Foto und versperren den Weg zum Klo. Kiesza kommt kurz aus dem Backstagebereich, alle Smartphones gehen hoch.

23.24 Uhr. Wieder draußen. Zwei Frauen, Desi und Melli, finden nicht schlimm, dass es keine Zugabe gab. „Es war doch ein derbes Level“, sagt Desi. Sie hat auf Ebay den doppelten Preis für eine Karte gezahlt. Das Konzert war lange im Voraus ausverkauft.

Protokoll: Franziska Seyboldt, Emilia Smechowski, Margarete Stokowski

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