piwik no script img

Konzert von Alterations in BerlinKollektive Ergotherapie

Ganz ohne muckermäßig überspannte Atmosphäre: Die legendäre Improvisationsgruppe Alterations und ihr Auftritt im Berliner Exploratorium.

In Action: Steve Beresford (l.) und Terry Day Foto: Fabio Lugaro/Promo

Am Anfang seines Buchs „Into the Maelstrom“ schreibt Musiktheoretiker David Toop, Improvisation sei das Grundrauschen allen Lebens, auch des reguliertesten: „Leben, wie improvisierte Musik, ist ein verstörender Konflikt zwischen Vorhersehbarkeit und Kontingenz.“

Diese Perspektive ist wichtig, denn sie enthebt die musikalische Improvisation den hermetisch wirkenden Szenekontexten, in denen sie vor allem stattfindet, und Orten wie dem Exploratorium am Mehringdamm mit seinem Logo von der Anmutung einer Ergotherapiepraxis und dem Charme eines gymnasialen Musiksaals, in dem am Donnerstag Toops Improvisationsgruppe Alterations auftrat.

„Sound and Lecture – Improvisation im Dialog“ nennt sich die Reihe, in deren Rahmen dieser Abend stattfand, sie verbindet Konzert und Artist Talk. Angekündigt war eine Reflexion über den „Dream of Freedom“ der improvisierten Musik, den Toops Buch im Untertitel benennt.

Der Worst Case wäre in diesem Falle natürlich: Am Tag nach dem Frauenkampftag sitzen vier alte Männer auf der Bühne und erzählen einem mehrheitlich männlichem, älteren Publikum etwas von der Freiheit. Das Szenario vor Ort hätte das sicher auch hergegeben. Aber die Beteiligten dann eben doch nicht.

Die Gruppe Alterations spielt seit 1977 zusammen und ist damit eine der ältesten noch existierenden Combos der freien Improvisation – wenn die Musiker auch für Jahrzehnte nicht gemeinsam auftraten und hier erst den fünften Gig nach ihrem erneuten Zusammenkommen 2015 performten.

Die Musiksaal-Assoziation

Jedes ihrer Mitglieder hat dabei einen ganz eigenen Platz im Impro-Kosmos, spielte mit Größen der Jazz- oder Avantgardemusik – oder war, wie David Toop, Mitglied einer Post-Punk-Band wie Flying Lizards. Wenn nicht gar, wie Terry Day, der Mensch, der New-Wave-Legende Ian Dury an die Musik heranführte.

Ein Element, sagt der Fotograf, gäbe es, das all seine Bilder vereint: Ehrlichkeit

Die Musiksaal-Assoziation des Exploratoriums verstärkt sich beim Auftritt noch einmal dadurch, dass die Alterations alle wie exzentrische Lehrer wirken: Vor allem Steve Beresford, wie er mit zu großem Jackett vor dem Flügel und seinem großen Arsenal an Krams steht, Arme in die Hüfte gestützt, Zunge zwischen die Lippen geklemmt wie der neue Grundschuldirektor, der neugierig ist, wie das nun hier läuft.

Hinter ihm irrlichtert Terry Day an seinem Schlagzeug herum – der Einzige, der tatsächlich aussieht wie die Musiklegende, die er ist, faltig und markant. Er streichelt und prügelt seine Drums und Becken mit Bögen, Sticks und Feudeln, baut noch ein wenig auf und um.

Irgendwann zieht er sich mit einem lila Luftballon in die zweite Reihe zurück und spielt herzzerreißende Quietschsounds. Toop und Peter Cusack derweil zersägen Gitarren und Gitarrenähnliches, lassen Spielzeugkäfer laufen, blasen Bambusstäbe oder beobachten erstaunt, wie sich der Klang eines Handventilators über Gitarrenseiten entwickelt. Wenn sich zum Ende des Sets hin Toop einmal doch zu einer Andeutung von musikalischem Narrativ versteigt, repetitiven Rockakkorden, eilt schnell Beresford herbei und schiebt eine Andeutung von Klingelton-Jingle-Bells in den Sound.

Es wird laut gelacht

Was am Auftritt wirklich bemerkenswert ist: Er ist unterhaltsam. Es wird, tatsächlich, laut gelacht. Nie ist die Atmosphäre muckermäßig überspannt, auf Angriff gebürstet. Und es gelingt. Die improvisierte Musik, so selten das auch ist, sie gelingt, wird lebendig, zieht das Publikum hinein in eine ephemere Klangwelt. Wenn Terry Day in der anschließenden Diskussion sagen wird, es gebe nichts, was eleganter, was höher entwickelter wäre als ein Mensch, der auf eine Bühne geht, um dort ein Instrument zu spielen – man kann ihm zustimmen.

Dabei ist der Artist Talk der schwächere Teil des Abends. Zu oft verliert man sich in Scherzen, statt analytisch wirklich vorzudringen in das, was da gerade zuvor passierte. Immerhin singt niemand hier das Lob der Freiheit, das Moderator Reinhard Gagel beschwört, im Gegenteil.

Für Toop ist die Freiheit, die in den Anfängen der Impro-Musik so selbstverständlich mit Bürgerrechten und linken Kämpfen assoziiert war, heute ein rechtes Wort, das er kaum wiedererkennt. Dass die musikalische Improvisation heute ähnlich konservativ ist wie die Musikwelt, die sie in der Nachkriegszeit unterwandern wollte, kann er nicht bestreiten.

Dennoch versperrt er sich nicht einem Utopiebegriff, der ihr noch immer innewohnt, biete sie doch der hyperindividualisierten Gesellschaft ein Gegenmodell des Miteinanders der kollektiven Musikimprovisation, in dem wiederum das Individuum nicht untergeht, sondern mit seinen Eigenheiten und Gewohnheiten von den anderen als Mitspieler akzeptiert und eingebunden wird.

Die Zukunft ist abhandengekommen

Vielleicht verhält es sich mit der Utopie und der Improvisationsmusik aber auch so, wie Mark Fisher es für Pop vorschlägt: Auch sie erzählt heute bloß, wo die Zukunft abhandengekommen ist, immer wieder von den abgelegten Vorschlägen für das Morgen, die, wie der rechts gewendete Freiheitsbegriff, nicht mehr angeeignet werden können – ohne, dass neue im Raum stünden.

Vielleicht ist das Spiel der Alterations mit dem Spielzeug, das den Habitus des gegen die Hörgewohnheiten anrennenden, kämpferischen Improvisationsmusikers unterläuft, ein Versuch, die Improvisation von den großen Worten zu bereinigen, um somit ihr Potenzial im Kleinen zu bewahren. Die Utopie des Kinderspiels zu verteidigen, wo sie nicht im Spiel imaginierter revolutionärer Kräfte sich findet – das ist nicht viel. Darüber hinausgehen aber, wenn das wieder anders werden soll, müssen sowieso andere als diese Veteranen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • & Wo wir hier grad beim -

    Pejorativen sind!

     

    "Kollektive Ergotherapie"

    Ist mit Verlaub für -

    Improvisierte Musik -

    So derart Abgehangen & derart -

    Unoriginell! - Wies dämlich ist!

    Schlicht keine Kenne!

    So wie mal ein Musik-Prof. -

    Auf Tagen der Neuen Musik in

    Darmstadt sich aber um jegliche

    Reputation brachte -

    Indem er - "aleatorische Musik" -

    Zu solchem befand! Komplett Panne!

    Schlicht in Latein bei Caesar etc -

    Sanft - Geschlafen!

    Empfehle - How they made it! by

    Felix Klopotek - &

    Improvisation - Kunst ohne Werk by

    Derek Baily &

    Sich über Dinge verbreiten -

    Von denen frauman was versteht!

    Nüscht for unjut - wa!

    Aber - Besser is das!

  • Na Servus & Da schau her!

     

    Da bin ich ja aber froh - Nicht dabei gewessn zu sein - wa!

    Hier in Kölle - gibt es auf der frei improvisierenden Szene -

    ( diese interessanterweise in wunderbarer Verschränkung mit der Szene Düsseldorf) -

    Der anzugehören ich seit Anfang der 90er -

    Die immer noch sich verblüffenderweise steigernde Freude habe,

    Ja da gibt es - Wenn mal ne Pause/Lücke zwischen Sets entsteht -

    Den running gag - " Wie is mal - Mit was Theorie?"

    "Nö - Geht nicht - Reinhard Gagel ist nicht da!"

    Jau. Sorry - & So kaffeehausprofessoral verkopft -

    Mit Verlaub liest sich der Rest!

    Nu. Wie es unausrottbar eine unsägliche Jazz-Police gibt -

    "Warum hast du denn in der Bridge -

    Nicht alteriert b-sus gespielt?"

    "Ja - Meinescheißenocheins - Woher soll ich das denn wissen!"

    Gibt es scheint's & besonders passend für Balin - wa!

    Dort Entsprechendes - Gruseliges - ja bis hier inne taz!

    For free instant music! Unfaßbar!

    Statt - Shut up and play! Just in time & Nothing else!

    kurz - Fuck off & Neje tak!