Konzepte gegen die Verödung: Regionale Forschungscluster
Hochschulen und außeruniversitäre Forschungsinstitute sollen regional stärker zusammenarbeiten. Das fordert der Vorsitzende des Wissenschaftsrates.
BERLIN taz | Wie geht es mit dem deutschen Wissenschaftssystem nach der Exzellenzinitiative weiter? Diese Frage plagt auch den neuen Vorsitzenden des Wissenschaftsrates, Manfred Prenzel. Auf der Sitzung des Gremiums im Juli in Dresden gab Prenzel in seiner ersten Grundsatzrede eine Kursbestimmung: Hochschulen und außeruniversitäre Forschungsinstitute sollten sich stärker als bisher zu „regionalen Verbünden“ zusammenschließen. Derartige Cluster könnten sich thematisch profilieren; auf jeden Fall versprechen sie den klammen Länderhaushalten finanzielle Entspannung.
Schuldenbremse und Demografie sind die beiden Leitplanken, an denen sich die Wissenschaftspolitik der kommenden Jahre entlang bewegen muss. Die Schuldenbremse vergattert die Bundesländer, ab 2020 keine neuen Schulden mehr zu machen. Der Sparzwang könnte als Erstes die Hochschulen treffen.
„Es steht zu befürchten“, so Manfred Prenzel, „dass das Konsolidierungserfordernis der öffentlichen Haushalte die Mehrzahl der Länder künftig zwingen wird, auch die Haushalte der Hochschulen verstärkt in die Einsparungsbemühungen einzubeziehen.“
Demografisch führen gestiegene Lebenserwartung und gesunkene Geburtenraten zu einer Überalterung der Gesellschaft. Junge Menschen zieht es in die Städte, wo die Jobs sind. Ländliche Regionen entvölkern sich, was auch die dortigen Hochschulen betrifft.
„In Sachsen-Anhalt und im Saarland sind der Bevölkerungsrückgang und seine Auswirkungen auf das tertiäre Bildungssystem bereits zentrales Thema“, stellt Prenzel fest.
Vor diesem Hintergrund fordert der Vorsitzende des Wissenschaftsrats die Hochschulen zur „Übernahme regionaler Verantwortung“ auf, etwa indem neue Bildungsfelder erschlossen werden: „Fachkräfteausbildung und Weiterbildung nehmen an Bedeutung zu und könnten – wenn die Gegenfinanzierung und andere Rahmenbedingungen gesichert sind – in Zukunft auch ein wichtiges Betätigungsfeld von Hochschulen werden“, unterstreicht Prenzel.
Beide Bildungsangebote zielten „auf überwiegend regional und lokal strukturierte Märkte“. Die in einer Region vorhandenen Hochschulen „müssen sich aktiv auf diesen gesellschaftlichen Bedarf einstellen“. Allerdings nicht mehr jede für sich allein, „sondern in einem gemeinsamen Ansatz, der ihren jeweiligen Stärken und Profilen gerecht wird“.
Zwei Grundtypen regionaler Verbünde schweben Prenzel vor: Zum einen die Bildung einer „umfassenden Holding“ mit einer „gemeinsamen institutionellen Strategie“. Dies setze eine sehr langfristige Perspektive und ein hohes Vertrauen der beteiligten Partner voraus. Modell Nummer zwei ist der „eher auf einzelne Themen oder Dimensionen beschränkte Verbund mit einer zeitlich eher beschränkten Perspektive und geringerem Institutionalisierungsgrad“.
Der andere Weg
Mit seinem Anstoß, über neue Cluster in der Wissenschaft nachzudenken, gibt Prenzel der Diskussion eine neue Richtung. Zuletzt hatte die Max-Planck-Gesellschaft angekündigt, ihre Institute nicht mehr in allen Bundesländern aufrechtzuerhalten, sondern sich auf international herausragende Standorte konzentrieren zu wollen.
Der Vorsitzende des Wissenschaftsrats hält dagegen: Den vorgeschlagenen Wissenschaftsverbünden solle es „nicht um die Bildung von weiteren Beutegemeinschaften im Kampf um immer mehr Drittmittel und Zuwendungen“ gehen, „auch nicht um die Fortsetzung des Exzellenzgedankens mit anderen Mitteln“. Vor allem in den vom Bevölkerungsrückgang besonders betroffenen Regionen müsse die Wissenschaft gemeinsame Konzepte entwickeln, um einer „Verödung“ ganzer Landstriche vorzubeugen.
Die regionale Verbundbildung solle in der Fläche dazu beizutragen, „dass Standorte gesichert und Impulse für regionale Infrastruktur und Wirtschaft gesetzt werden können“. Das ist ein neuer Ton in der Post-Exzellenz-Diskussion.
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