Kontroverse um Jugendkriminalität: "Bild" hetzt gegen "Zeit"-Feuilletonchef
Arbeitsteilung der Bluthunde: Die "FAZ" legte mit Kritik an einem "Zeit"-Blog zur Jugendkriminalität vor, nun legt die "Bild" nach - und greift einen Kollegen direkt an.
Es war bis Mittwoch Nachmittag nur ein Zwist unter vormals Befreundeten: In einem Artikel auf der Aufmacherseite des Feuilletons der FAZ mokierte sich Frank Schirrmacher, Mitherausgeber dieses bürgerlichen Szeneblatts, über Jens Jessen, Leiter des Feuilletons der Zeit. Der hatte in einem Videoblog den Streit um Jugendkriminalität, Opfer, Hausmeister und Migranten kommentiert. Schirrmacher, zu dessen Mannschaft in der FAZ Jessen einst zählte, eiferte in seinem Text über Migranten, die zu Deutschenhassern würden.
Die Bild nun, und mit ihr verlässt der gediegen-schroffe Hader sein ursprüngliches Terrain zwischen zwei früher einmal Alliierten, walzte diesen Meinungskonflikt nun über ihre Seiten 2 und 3: "Sie haben begonnen, einen Feind zu identifizieren", zitiert das Gossenblatt Schirrmacher - und fügt ihren fetten Lettern nichts als Schirrmacher-Zitate hinzu.
Unter diesem "Gewährstext" - in dem Schirrmacher insgesamt scheinbar erstaunt darüber sich zeigt, dass Jugendliche mit migrantischer Prägung auf ihre Weise ausländerfeindliche Sprüche kontern - nun heißt es titelnd: "Der feine Kultur-Chef der Zeit verhöhnt verprügelten Rentner." Auch in diesem Elaborat wird überwiegend Jessen selbst wiedergegeben - aber es steckt bereits in der Überschrift genau jene Vorurteile bedienende Zumutung, von der die Bild ja insgesamt lebt: Die Rede vom "feinen" Kulturchef suggeriert, dass ein Mann dieses Bildungsblatts ja keine Ahnung vom echten Leben haben könne, dass er sich offenbar zu distinguiert dünke, um kompetent mitreden zu können.
Wichtiger aber ist, festzuhalten, dass Jessen denunziert wird, weil er unter anderem folgende Passage in seinem Videoblog formulierte: "Man fragt sich doch, ob dieser Rentner, der sich das Rauchen in der U-Bahn verbeten hat und damit den Auslöser gegeben hat zu einer zweifellos nicht entschuldbaren Tat, eben sicher nur in der Kette einer unendlichen Masse von Gängelungen, blöden Ermahnungen, Anquatschungen zu sehen ist, die der Ausländer, namentlich der jugendliche, hier ständig zu erleiden hat." Hier - damit meint Jessen insbesondere Deutschland, und wer in diesem Lande lebt, weiß, wovon der ethnologisch versierte Mann von der Zeit spricht: eine Nation von Hausmeisterinnen, Gestapozuträgern und Pöblern, die hinter jeder Ecke ihrer Nachbarschaft jenen Gestank vermuten, den sie ja vornehmlich selbst verströmen: Es sind die Giftpilze gesellschaftlichen Zusammenlebens, und seien sie noch so sehr Opfer im ganz wörtlichen Sinne.
Jessen antwortete auf Leserzuschriften an die Zeit per Internet: Er sei erschrocken über so viel "Wutausbrüche", beharre aber darauf, festzustellen, dass Deutschland ein "Spießerproblem" habe.
Hinter jenem sogenannten Volkszorn sieht er eine Mentalität des Bolschewismus, die noch jeden Mob charakterisiere - eine geifernde Haltung, die sich in der Mehrheit wähnt und deshalb noch vor keiner Minderheit Halt gemacht habe.
Jene haben ein Zentralorgan: Es ist die Bild, und sie beweist dies täglich.
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