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Kontrollierte Dynamik

■ Regina Baumgarts „Flugstücke“ im Hebbel-Theater

Zuerst erscheint nur ein Geiger im leeren, durch keine Kulisse verstellten weiten Bühnenraum und spielt eine kurze ungarische Volksweise. Der Geigenbogen kratzt über die Saiten und reibt sich an ihnen in einer heftigen Berührung, wie sie sonst an diesem Tanzabend der disziplinierten Exerzitien nicht mehr stattfinden wird. Der wirbelnde musikalische Auftakt kündet von emotionaler Verführung: Doch von den Mythen der Leidenschaft hat sich Baumgarts Tanz schon längst verabschiedet.

Die Choreographin Regina Baumgart trennt puristisch Musik und Tanz, als würde aus deren Vermischung oder gar Verschmelzung ein unreines Produkt, ein unlauteres Spiel entstehen. Sätze aus den Streichquartetten von Bela Bartok fluten zwar zu einer Gruppe von Tänzen aus den Boxen, doch die Tänzerinnen vertrauen sich höchstens für Bruchteile einer Sequenz dem Rhythmus und der Dramatik an, um dann wieder die Bewegung anzuhalten, Pausen zu erzwingen, gegen das große Gefühl die kleine minimale Geste zu setzen.

Als ein Leitmotiv durchziehen die aneinandergesetzten kurzen Tanzstücke Momente des Festhaltens, der Begrenzung und der Stockung. Immer wieder wird die hinausstrebende Energie des Körpers im Halbkreis der gerundeten Arme mit geballten Fäusten zurückgeschickt und von dem fest wie eine Säule im Boden verankerten Leib geschluckt. Oft greifen die drei Tänzerinnen - neben Baumgart Annette Reckendorf und Angela Schmid-Burg - hinter ihrem Rücken mit der einen Hand nach dem anderen Handgelenk und verharren, den Blick im Boden versenkt, in der Pose der Selbstfesselung.

Doch so wie eine Billardkugel zwar nicht über die Bande hinausgeschossen werden darf, sich auf dem grünen Tuch aber im beherrschten Spiel des Anstoßes und Drives, der variierten Geschwindigkeiten und präzisen Richtungswechsel die Meisterschaft erweist, so schnellen auch die Tänzerinnen durch den Raum. Sie rennen im Kreis, staksen im Viereck, balancieren auf der Linie. In manchen ihrer Bewegungen klingt eine ferne Erinnerung an spanische und ungarische Tänze an; im vibrierenden Flügelschlagen der Arme brummen Insekten mit; die Winkzeichen von Signalmasten blinken auf. Doch die Gesten sind von jeder natürlichen und technischen Funktion der Kommunikation entbunden - allein noch ihr Antrieb und ihre Steuerung interessiert. Als sei ihre Mechanik zerbrochen, die Fäden im Inneren zerrissen und das Gleichgewicht nicht mehr zu kontrollieren, karikieren die Tänzerinnen selbst im vorletzten Stück grotesk ihre Reduzierung auf einen Bewegungsapparat, um dann aber im Finale, dem postmodernen und kühlen Zitat eines von jeder Emotion gereinigten spanischen Tanzes, wieder zum Ausgangspunkt zurückzufinden.

Katrin Bettina Müller

Flugstücke von Regina Baumgart, heute noch, Hebbel -Theater, 20 Uhr 30.

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