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Kontrollen für BiobetriebeAlles Bio, oder was?

Der Betrug mit falschen Bioprodukten setzt die Ökobranche unter Druck. Vor der Messe BioFach in Nürnberg beraten die Kontrollstellen: Wie kann man solche Fälle verhindern?

Taugt nur etwas, wenn die Kontrollen stimmen: das Biosiegel. Bild: dpa

Der Weg zum Siegel

Das staatliche Bio-Siegel gibt es seit 2001 und kennzeichnet Produkte, die der europäischen Öko-Verordnung genügen. Betriebe, die Ökoprodukte herstellen und kennzeichnen wollen, müssen sich bei einer zugelassenen Kontrollstelle anmelden, kontrolliert wird der gesamte Betriebsablauf. Zu den Kriterien, die eine Vergabe des Siegels voraussetzt, gehören unter anderem das Verbot von Bestrahlung und von Gentechnik sowie der Verzicht auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel und leicht lösliche, mineralische Dünger. Eine artgerechte Tierhaltung und die Fütterung mit ökologisch produzierten Futtermitteln ohne Zusätze von Antibiotika und Leistungsförderern sind weitere Kriterien des Bio-Siegels.

Mindestens einmal im Jahr sollen die Betriebe nach Voranmeldung kontrolliert werden, außerdem kann es unangemeldete Kontrollen geben. Die Betriebe müssen nachweisen, dass sie die Kriterien erfüllen und zum Beispiel dokumentieren, was sie von wem gekauft und an wen verkauft haben. Die Kontrollstellen in Deutschland sind in privater Hand und werden von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung zugelassen.

Derzeit nutzen 3.128 Unternehmen das Bio-Siegel auf 51.550 Produkten. Neben dem staatlichen Bio-Siegel gibt es auf dem Markt auch Qualitätssiegel der ökologischen Anbauverbände, deren Kriterien teilweise noch strenger sind als die des Bio-Siegels. Das Bio-Siegel ist das einzige Ökozeichen, das unter strafrechtlichem Schutz steht. TAZ

Nach einer Stunde wird die Biokontrolle für Betriebsleiter Bernd Voigt etwas unangenehm. Der Chef der Öko-Ochsenmast Grünland GmbH im brandenburgischen Dorf Manker hat vergangenes Jahr einen Bullen zum Decken von Kühen gekauft. Kontrolleur Jens Freitag will das Biozertifikat des Lieferanten sehen. Das soll belegen, dass das Tier aus einer Ökozucht stammt. Voigt stöhnt, blättert einen Aktenordner durch - und muss schließlich passen. Er findet das Papier nicht. "Da haben wir jetzt einen Dokumentationsfehler entdeckt. Das vermerke ich unter Mängel", sagt Freitag. Er lässt seinen Kugelschreiber auf dem Prüfprotokoll landen. Voigt wirkt nun ein bisschen eingeschnappt.

Dieser Mangel kann alles mögliche bedeuten: Vielleicht ist der Lieferant tatsächlich bio, und Voigt hat einfach nur vergessen, sich das Zertifikat geben zu lassen. Aber der Fehler könnte auch eines von mehreren Indizien dafür sein, dass hier konventionelle Tiere als öko verkauft wurden. "Misstrauen ist halt eine Berufskrankheit", sagt Freitag, ein 43-Jähriger mit einer äußerst akkurat geschnittenen Frisur, der seinen Laptop gern in einer ledernen Lehrertasche trägt. Sollte das Zertifikat am Donnerstag immer noch nicht vorliegen, handelt sich Voigt eine "Belehrung" ein. Kommt das noch einmal vor, werden Sanktionen fällig, die irgendwann zum Entzug des Bio-Siegels führen können.

Dass Misstrauen der Biokontrolleure berechtigt ist, hat der jüngst aufgedeckte Ökoschwindel des einst größten Biogeflügelhändlers in Deutschland, Berthold Franzsander, gezeigt. Franzsander hatte seine Puten in verbotenem Maße mit normalem statt mit ökologischem Futter versorgt. Auch konventionelles Fleisch soll seine Firma zugekauft haben. Franzsander habe Bioware auf den Markt gebracht, die gar keine war, kritisierte das zuständige Landesamt für Verbraucherschutz in Nordrhein-Westfalen.

Das war unangenehm für die privaten Kontrollstellen, die mit Lizenz der Behörden Biobauernhöfe, Biofabriken und Bioläden begutachten. Die Inspekteure müssen überprüfen, ob die Betriebe die Ökoverordnung der Europäischen Union einhalten - im Fall Franzsander bemerkten sie jahrelang nichts. Aufgeflogen ist Franzsander nicht durch eine Kontrolle in seinem Betrieb, sondern durch Zufall: Bei einer Inspektion einer konventionellen Futtermühle ist einem Beamten aufgefallen, dass sie auch an eine Biofirma des mutmaßlichen Betrügers lieferte.

"Das Ökokontrollsystem hat hier wirklich nicht funktioniert", sagt Agrarreferentin Jutta Jaksche vom Bundesverband der Verbraucherzentrale. "Die Verbraucher haben für etwas bezahlt, was sie nicht bekommen haben." Und das ist nicht der einzige Fall. Vergangene Woche verurteilte das Landgericht Kiel eine Landwirtin zu zwei Jahren Haft auf Bewährung und einer Geldstrafe. Jahrelang hatte sie Reformhäuser und Naturkostläden in Schleswig-Holstein und Hamburg mit tausenden falschen Bio-Eiern beliefert, die sie aus einem konventionellen Betrieb mit Käfighaltung zukaufte. Die Kaufbelege versteckte sie in einer "doppelten Buchführung". Erst eine anonyme Anzeige überführte sie. "Die zuständigen Kontrollen waren nur pro forma", sagte die Bäuerin unter Tränen aus.

"Solche Fälle nehmen schon deshalb zu, weil die Branche wächst", sagt Jochen Neuendorff, der die Kontrollstelle Gesellschaft für Ressourcenschutz leitet. Allein im vergangenen Jahr stieg der Umsatz mit Biolebensmitteln um 10 Prozent auf 5,8 Milliarden Euro. "Damit wächst auch die Zahl der Betriebe und das Potenzial für Betrug", sagt Neuendorff.

Den Experten beunruhigt vor allem eines: "Die Strukturen sind neuerdings teilweise gigantisch." Immer mehr Großunternehmen springen auf den Biozug auf, sie haben hunderte Mitarbeiter, tausende Tiere und zahlreiche Tochterfirmen. Seit 2005 ist die Zahl der Erzeuger, Händler und Verarbeiter von Bioprodukten in Deutschland um etwa 38 Prozent auf rund 30.000 gestiegen. Gleichzeitig sind die Ökohöfe immer größer: Im Jahr 1999 bewirtschaftete jeder im Schnitt 51 Hektar, acht Jahre später schon 60. In dem Geschäft mischen nun auch Giganten wie die börsennotierte KTG Agrar AG mit. Sie produziert auf mehr als 27.000 Hektar bio und konventionell.

Besonders stark wächst die Branche in der Verarbeitung von Ökorohware etwa zu Produkten wie Saft oder Fertiggerichten. Experten schätzen, dass 80 bis 90 Prozent sowohl bio als auch konventionell produzieren. Auch Franzsander war in beiden Märkten aktiv, berichtet der Vorsitzende der ökologisch orientierten Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf. Er fordert mehr Überraschungsbesuche bei Gemischtbetrieben.

Familie Franzsander spannte ein Netz von Firmen und Außenstellen, in denen sich Unregelmäßigkeiten leicht verstecken ließen. Neuendorff will, dass solche Unternehmen öfter unangekündigt kontrolliert werden. Bei risikoarmen Betrieben wie kleinen Rindermästern könnten seiner Meinung nach wenige Inspektionen reichen. "Aber der putenindustrielle Komplex zum Beispiel ist eine völlig andere Nummer. Dort wechseln die Tiere ständig", sagt er. Die überzüchteten Rassen brauchen besonders viel tierisches Eiweiß, das mit ökologischem Futter kaum nachgefüttert werden kann. "Die Verlockung, konventionelles Futter zu benutzen, ist groß", sagt der Kontrolleur. Auch Vebraucherschützerin Jaksche verlangt mehr Kontrollen etwa bei weit verzweigten Großbetrieben.

Niemand in der Öko-Gemeinde ist jedoch dafür, das Kontrollsystem komplett zu verstaatlichen. Weiter soll der Kontrollierte den Kontrolleur bezahlen - ähnlich wie andere Unternehmen sich ihre Bilanzen von selbst finanzierten Wirtschaftsprüfern bescheinigen lassen. Die Behörden, so die Befürchtung, könnten mangels Personal nicht so häufig kontrollieren wie die Privaten.

Kontrollstellenchef Neuendorff verlangt deshalb nur, das System aus privater Inspektion und staatlicher Aufsicht zu verbessern. "Der Inspizierte muss das Gefühl haben: Jeden Moment geht die Tür auf, und da steht der Bioinspekteur", erklärt Neuendorff. Bisher ist das meist nicht so: Die Biokontrolleure melden sich bei den meisten Betrieben Wochen vorher an und kommen auch nur einmal im Jahr vorbei. Im Jahr 2007 wurden nach Angaben der Bundesanstalt für Ernährung die rund 30.000 Biobetriebe in Deutschland insgesamt 35.000-mal kontrolliert. Die Bundesländer schreiben den Kontrollstellen zwar vor, zusätzlich zehn oder mehr Prozent der Inspektionen nicht anzukündigen. Aber das definieren die Aufsichtsbehörden in den Bundesländern teilweise sehr eigenwillig. "In begründeten Einzelfällen dürfen die unangekündigten Kontrollen auch angemeldet werden", sagt zum Beispiel Karin Ohm-Winter, Dezernatsleiterin bei der hessischen Aufsichtsbehörde. Das gelte für kleine Betriebe, wo die Kontrolleure sonst vielleicht niemanden antreffen würden.

Neuendorff sieht dieses Problem nicht. Seine Kontrollstelle habe vergangenes Jahr 600 ihrer 2.300 Inspektionen überhaupt nicht angekündigt - und sei damit gut gefahren. "Es geht vor allem um Großbetriebe, und da ist sowieso immer jemand im Büro. Man braucht also keine Angst haben, dass man da umsonst hinfährt", meint er. "Das ist natürlich für alle Beteiligten die unangenehmere und teurere Variante der Kontrolle. Aber das ist eben nötig."

Viele Branchenvertreter sehen Neuendorffs Vorschlag dennoch skeptisch. "Bei den Unternehmen in Nordrhein-Westfalen waren wir regelmäßig zu unangekündigten Kontrollen", berichtet Thomas Damm. Seine Kontrollstelle ABcert hatte neben anderen dem Geflügelhof und einer Vertriebsfirma der Franzsanders den Ökostempel verliehen. Ganze Ställe seien seinen Mitarbeitern komplett verheimlicht worden. "Die hätten wir auch nicht bei zusätzlichen unangemeldeten Inspektionen entdeckt", sagt Damm

Heute berät der Verband der Kontrollstellen über Franzsander, einen Tag vor Eröffnung der BioFach-Messe in Nürnberg. Die Meinungen darüber, wie mit dem Fall umgegangen werden soll, gehen auseinander. Martin Rombach, Leiter der Kontrollstelle Prüfverein Verarbeitung ökologischer Landbauprodukte, hält konkrete Konsequenzen für zu früh. Sein Kollege Heinz-Joachim Kopp von der Kontrollstelle Lacon hingegen ruft nach dem Staat und fordert, dass die Ämter die Lieferlisten konventioneller Futtermittelhersteller mit den Adressen von Biobauern vergleichen. "Wir dürfen das gar nicht. Da müssen uns die Behörden helfen", sagt Kopp.

Bei Stefan Dreesmann, der im niedersächsischen Agrarministerium die Ökobranche überwacht, stößt er damit auf offene Ohren. "Wir haben auch bisher schon konventionelle Futtermittelverarbeiter auf Biokunden überprüft. In den nächsten zwei, drei Wochen hat das für unsere Prüfer Priorität." Auf lange Sicht wird Niedersachsen dafür aber mehr Personal bereitstellen müssen. Auch Nordrhein-Westfalen hat angekündigt, die Futterbranche besser zu kontrollieren. Rheinland-Pfalz, Bayern und Baden-Württemberg dagegen wollen im Wesentlichen alles beim Alten lassen. Das ist der falsche Weg, glaubt man Verbraucherschützerin Jaksche. "Das Kontrollsystem ist zwar viel besser als im konventionellen Bereich", sagt sie. Aber wenn Verbraucher für Bio bezahlen und konventionell bekommen, lasse schnell die Akzeptanz nach. "Die Branche", meint Jaksche, "muss sich ändern, um ihren guten Ruf zu schützen."

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2 Kommentare

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  • A
    Antonietta

    Welches Fleisch das Etikett "Bio" oder "Öko" tragen darf, ist in einer EU-Verordnung klar geregelt. Diese besagt, daß z.B. das Rind einen garantierten Platz im Stall von etwa 5 Quadratmetern und Zugang ins Freie haben muß, sowie hofeigenes Grünfutter erhält. Demeter-Bauern z.B. dürfen ihren Tieren nur zertifiziertes Öko-Futter geben. Antibiotika werden nur verabreicht, wenn die Tiere krank sind.

  • JF
    J. Freyer

    Im Grunde gab es das schon vor 30 Jahren, als Bio noch ganz in den Kinderschuhen war.

    Damals war ich Student in Stuttgart und ein Bekannter fuhr die Ware des Bio-Großhändlers zu den Bio-Läden aus. Wenn dann doch mal, weil spät nachgeordert, der Salat ausging, wurde im Großmarkt der Bedarf ergänzt - allerdings nur von ausgewählten Lieferanten, die Salat im Ackerbau mit natürlicher Düngung mit Stallmist betrieben, der Salat hatte dann auch schon mal ein Schneckchen und unterschied sich optisch auch nicht vom Bio-Salat. Das alles aber damals mit schlechtem Gewissen und eher die Ausnahme.

     

    Ich hatte einen Onkel, der einen rel. großen Bauernhof hatte, 100 ha aufgeteilt auf 6 Felder und eine Schweinezucht mit ca 75 Sauen und 3 Ebern, die nebenbei seinen Dünger lieferten. Die Sauen liefen normalerweise draußen auf ner großen Wiese rum, es sei denn, sie hatten grad geworfen.

    Die Felder wurden klassisch nach der 3 / 4 Felder Wirtschaft bestellt und fast ausschließlich mit selbst produziertem Dünger gedüngt. Es gab Randstreifen an allen Feldern, die brach lagen und für ökologischen Ausgleich sorgten. Die Schweine weitestgehend mit selbst erzeugtem Futter versorgt. Ok, um die Felder zu bestellen wurden für damalige Zeiten modernste Maschinen eingesetzt, den anders lies sich ein Hof solcher Größe nicht quasi zu zweit bewirtschaften. Das ging auch nur dadurch, dass er als bei weitem "größter" Bauer in diesem Weiler mit insgesamt 45 Bauernhöfen auf der Ebene des Tauschhandels den anderen bauern seine Maschinen zur Verfügung stellte und dafür Ihre Hilfe bekam - eine win win Situation für alle Seiten, er bekam Hilfe und die anderen 4 Bauernhöfe mussten die großen Maschinen wie Mähdrescher oder Kartoffelernter nicht mieten oder kaufen.

    Sehr interessant war das Ergebnis, als er aus Gesundheitsgründen den Hof an eine seiner Töchter (Landwirt-Meister) und deren Ehemann (Landwirt-Meister) übergab. Beide super toll ausgebildet änderten das Konzept, die Brachen vielen ihnen sofort zum Opfer, es wurde auf Teufel komm raus gedüngt, schnell wurden Pestizide notwendig, und unterm Strich blieb auf Grund der hohen Kosten für Dünger etc. schon im zweiten Jahr weniger übrig, als bei meinem Onkel, zumal die Qualität der Produkte immer tiefer eingestuft wurde.

     

    Mein Onkel hätte das Bio Siegel wahrscheinlich nicht bekommen obwohl er es aus meiner Perspektive verdient hätte (gab es damals noch gar nicht 1960 - ~1970) , das wäre ihm auch absolut egal gewesen - hätte ihn nicht groß interessiert, weil er sich wirklich bemüht hat, gute Lebensmittel zu erzeugen und sich von all dem neumodischen Krams mit ohne Ende düngen nicht irritieren hat lassen.

     

    meine Cousine, von immer mehr überproportional (relativ zu den Nachbarbauern, die den Ackerbau weiterhin klassisch betrieben) sinkenden Nettogewinn bei immer höheren Bruttoumsätzen, hat den Hof dann irgendwann verkauft und ihr Glück mit Reisanbau am Ohio versucht - keine Ahnung ob sie da wirklich glücklich geworden ist, der Kontakt ist leider abgerissen.

     

    Mir als Ing hat das alles durchaus vor Augen geführt, dass Jahrhunderte altes Wissen durchaus auch eine ökonomische Optimierung ist und schon aus diesem Beispiel heraus es auch ökonomisch sinnvoll ist vielleicht nicht streng ökologisch aber sehr nah dran zu produzieren.

     

    J.Freyer